Maly: So hat sich Nürnberg in seiner Amtszeit gewandelt

26.2.2020, 05:12 Uhr
Mit Gruß an Bob Dylan: An diesem "Nürnberg"-Bild von Thomas Kilpper geht OB Ulrich Maly täglich im Rathausflur vorbei.

© Roland Fengler Mit Gruß an Bob Dylan: An diesem "Nürnberg"-Bild von Thomas Kilpper geht OB Ulrich Maly täglich im Rathausflur vorbei.

Herr Maly, wenn Sie die letzten 18 Jahre Revue passieren lassen: In welchen Stadtteilen gab es die meisten und gravierendsten Veränderungen?

Potenziell überall. Denn die Veränderung, die überall passiert, ist erst mal die, die man gar nicht sieht: unsere 5000 Menschen Nettozuwachs, die wir in Nürnberg im Jahresdurchschnitt haben. Das sind 40 000 Zuzüge und 35 000 Wegzüge. Im Prinzip hat sich in den 18 Jahren die Stadtgesellschaft einmal komplett ausgetauscht. Das stimmt natürlich nicht, weil Zu- und Wegzüge oft dieselben Menschen betreffen.


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Was folgern Sie daraus?

Die Illusion, in der wir hier im Rathaus vielleicht ebenso wie ihr in der Zeitungsredaktion leben, dass man den typischen Erlenstegener genauso kennt wie den typischen Schweinauer oder Gostenhofer, ist ein Stück weit Selbstbetrug.

Es gibt aber Gebiete, wo der Wandel unterschiedlich schnell vorangeht.

Ja, wir haben Stadtteile mit einer extrem hohen Umlaufgeschwindigkeit – wie in der Südstadt, die für Leute, die als Studierende hierherkommen, oft die erste Station in der Stadt ist. Dann kommt der Sehnsuchtsort Gostenhof und danach was anderes. Echte Communitys gibt es mehr in den Reihenhausgebieten, aber auch dort gibt es Generationswechsel. Mal leben mehr alte Leute dort, dann werden die Häuser verkauft, junge Familien ziehen ein und es gibt wieder Kinder.

Die Stadtverwaltung muss also immer auf Veränderungen vorbereitet sein.

Im Zentrum der Veränderung stehen zum einen Gegenden, wo wir noch Entwicklungsmöglichkeiten haben, also selber entscheiden konnten, ob neu gebaut wird. Im Hotspot stehen aber auch Gegenden, wo der wirtschaftliche Strukturwandel zugeschlagen hat, Stichwort AEG, Stichwort Quelle.


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Da sind wir in der Weststadt, wo sich sehr viel verändert hat.

Aber in der Südstadt hat sich fast genauso viel getan, die Weststadt hat nur mehr Aufmerksamkeit bekommen, auch von der Presse.

Wenn Sie die Entwicklung heute im "wilden Westen" Nürnbergs anschauen: Sind Sie zufrieden mit dem Erreichten?

Zufrieden ist eine schwierige Kategorie, weil der Grat zwischen Zufrieden- und Selbstzufriedenheit ein ganz schmaler ist. Wahrscheinlich kann man mit Stadtentwicklung nie ganz zufrieden sein. Die Weststadt hat die größte Wellenbewegung durchgemacht. Da waren die Depressionsereignisse Triumph-Adler, AEG und dann Quelle. Ich glaube, dass wir vieles richtig gemacht haben, indem wir dort in den Gewerbebrachen über Bebauungsplanverfahren verhindert haben, dass Aldi, Lidl, Takko hinkommen – die Schnelldreher, mit denen man immer Geld verdienen kann. Bei AEG hatten wir Glück, dass mit der MIB und Bertram Schultze ein Entwickler kam, der für Kunst und Kultur offen war. Künstler sind ein guter Katalysator, um aus der Depression herauszukommen.

Bei der Quelle war es schwieriger.

Allein die schiere Größe und die Summe, die man investieren muss, waren ein Riesenproblem. Ich glaube, es hat sich gelohnt, dass wir gesagt haben: Qualität geht vor Geschwindigkeit. Hier wird fast ein neuer Stadtteil im Stadtteil entstehen – mit Wohnen, Verbesserungen des Umfelds und einem neuen Park.

Es hat sich noch mehr getan in der Weststadt. Welche Projekte sind noch wichtig gewesen?

Da waren große private Investitionen von der Datev, große staatliche Investitionen ins Strafjustizzentrum und große städtische Investition in die neue Feuerwache. Und da sind Ladenhüter gewesen, die plötzlich marktfähig wurden – wenn man zum Beispiel an das alte Straßenbahndepot denkt, wo gerade teurer Wohnraum verkauft wird.

Das einzige Problem ist höchstens, dass es Auf AEG nichts mit der Technischen Hochschule geworden ist.

Das ist noch nicht sicher. Die MIB bewirbt sich nach meiner Kenntnis in dem PPP-Verfahren des Freistaats Bayern. Es kann sein, dass die TH zumindest in Teilen dort hinzieht.

Sie waren in 18 Jahren viel unterwegs in den Stadtteilen, bei mobilen oder normalen Bürgerversammlungen oder sonstigen Ortsterminen. Sind Sie da auch auf Entdeckungen gestoßen, die Sie nicht für möglich hielten?

Na ja, ich bin Nürnberger, ich kannte die Stadt. Nicht jeden Winkel, aber nach 18 Jahren kann man als OB mit kurzer Lehrzeit den Taxi-Schein bestehen, weil man über den Verkehrs- und Stadtplanungsausschuss viel mitkriegt. Und es gibt viele reizende Ecken. Als Hobbykoch hab‘ ich selber einen speziellen Aktionsradius – ich kaufe bei meinen Stammmetzgern und beim Biancardi, dem italienischen Supermarkt in Gostenhof. Durch Bekannte in der ganzen Stadt habe ich die eine oder andere Entdeckung gemacht, aber die komplette Überraschung gab es eigentlich nicht.

Gibt es, anders gesehen, ein paar Sorgenkinder, wo man hingucken muss?

Ja, die kennen wir auch von Umfragen. Nehmen wir die Werderau: Wenn, wie dort, zu schnelle Veränderung der Bevölkerungsstruktur einhergeht mit sozialer Verunsicherung, weil die Wohnanlage verkauft worden ist und keiner so recht weiß, wie es weitergeht, dann ist das ein toxisches Gemisch, das immer mal hochgehen kann. Man muss sich natürlich die ethnischen Communitys anschauen – in St. Leonhard und Schweinau, in Röthenbach, in Gostenhof als Schmelztiegel. Das bleibt sicher auch die Südstadt, weil sich die Zusammensetzung der Bevölkerung dort am schnellsten im Stadtgebiet verändert, noch schneller als in Gostenhof. Da ist Muggenhof, wo man auch auf das subjektive Sicherheitsgefühl der Menschen dort gucken muss. Aber ich würde das Wort Brennpunkt nicht zulassen für ein Nürnberger Stadtquartier.

Auch nicht rund um den Jamnitzerplatz, wo die Autonomen schon mal Rabatz machen?

Ich würde das Quartier in Gostenhof nie als Problemviertel bezeichnen. Es ist, wie es ist, da wohnen halt Leute, die etwas pampig bei einer Bürgerversammlung auftreten. Aber das gibt es in jeder Großstadt.

Manche Kritiker sehen ein Nord-Süd-Gefälle in der Stadt.

Ich sehe da eher einen Ost-West-Konflikt – mit den Bestverdienern in Mögeldorf und Erlenstegen im Osten und den Ärmeren im Westen und Südwesten. Aber wir haben in Nürnberg die Besonderheit, dass wohlhabendere und ärmere Viertel oft nur fünf Meter entfernt sind. Du hast Schafhof neben Erlenstegen, du hast das Nibelungenviertel mitten in der Südstadt als "Villen-Enklave". Doch das ist es, was Großstadt heute auszeichnet. In Schwabing können heute nur Menschen wohnen mit einem Mindesteinkommen von 150 000 Euro, sonst kann sich kein Mensch das dort leisten. In Gostenhof wohnt das junge Arztehepaar tatsächlich neben den Autonomen, vielleicht im gleichen Häuserblock – das verändert sich zwar immer wieder, deshalb demonstrieren die einen auch gegen Gentrifizierung und die anderen gegen Müll. Aber diese Spannung ist letztlich das, was Großstadt spannend macht.

Sie haben im Städtetag viele unterschiedliche Menschen getroffen. Was haben Sie dort über Nürnberg gehört?

Der erste Satz fängt oft mit "O, das hätte ich nicht gedacht" an. Und wir sind hochgeschätzt für unsere Erinnerungskultur und den Umgang mit dem Reichsparteitagsgelände – das hat kein anderer. Nürnberg ist auch für seine Stadtteilsanierung vorbildlich seit 40 Jahren, und wir gelten auch als vorbildlich, wie wir zum Beispiel am Nordostbahnhof Fördergelder eingesetzt haben. Und das Überraschendste ist der Satz "Die Leute sind ja so nett", was man selber nicht immer so sieht, und man gelobt wird von Kollegen aus anderen Großstädten wegen der Sauberkeit in der Stadt, auch wenn mir das hier keiner glaubt.

Mit welchen Stadtteilen sind Sie persönlich verbandelt?

Natürlich mit Schweinau, da bin ich aufgewachsen und habe die ersten 14 Lebensjahre verbracht. In der Ambergerschule waren wir 44 Schüler, 43 Bio-Deutsche und eine Italienerin – die Tochter des Eisdielenbesitzers. Dann bin ich mit den Eltern nach Langwasser gezogen. Ab der fünften Klasse im Scharrer-Gymnasium war das Aktionsgebiet aber die Altstadt. Die zwei, drei Jahre in der Schoppershofstraße in der Junggesellenwohnung waren eine wilde Zeit. Danach habe ich in der Schloßstraße in Gleißhammer mit meiner heutigen Frau in einem Hinterhaus gewohnt – eine sehr schöne Zeit. Dann sind wir in die Falkenheim-Siedlung gezogen.

Wo zieht es Sie denn noch hin?

Ich habe fünf Stufen zur Haustür. Solange ich die bewältigen kann, bleibe ich genau hier.

Wo sind Ihre Lieblingsorte in Nürnberg?

Ich finde Johannis klasse, das Ensemble Klein- und Großweidenmühlstraße mit der Hallerwiese und dem Schnepperschütz, wo Großstadt lebt. Dann entweder die Einsamkeit des Kreuzigungshofs oder das völlig ungezwungene Leben am Tiergärtnertorplatz. Ich mag auch die Bürgermeistergärten, die ja ein Biotop sind, das neue Schauspielhaus und das Plärrer-Hochhaus, von innen wie von außen. Es ist für mich das Symbol des Wiederaufbaus, da drin bin ich als Kind Paternoster gefahren. Allen Unkenrufen zum Trotz halte ich die neue Stadtbibliothek für gelungen, vor allem von innen für die Nutzerinnen und Nutzer.

Drei große Wohngebiete sind in Wetzendorf, im Tiefen Feld und in Neulichtenhof in Planung. Sind das die letzten großen Wachstumspotenziale in Nürnberg?

Man weiß es nicht genau, weil sich ja immer was verändert. Die Produktion verändert sich – womöglich entstehen einmal mitten in der Südstadt Industriebrachen. Und die Frage ist, ob es den Rangierbahnhof noch in 100 Jahren braucht. Die Stadt ist nie zu Ende gebaut. Weil am Stadtrand aber überall Bannwald ist, brauchen wir eine intelligente Innenentwicklung.

Augustinerhof, Volksbad und Reichsparteitagsgelände haben Sie zur Chefsache erklärt. Da hat sich was getan, sind das persönliche Erfolge von Ulrich Maly?

Erfolg ist relativ. Denn auch ein Herr Schmidt oder eine Frau Müller hätten als OB hier etwas gemacht. Die Frage ist: Was ist daran Maly? Es ist gut ausgegangen oder auf einem guten Weg. Aber ich wehre mich dagegen, das zu personalisieren.

 

 

 

Da sind Sie aber bescheiden.

Das ist die Distanz zur eigenen Bedeutung, die ich mir bewahrt habe, um zu überleben. Neulich hat ein alter Freund zu mir gesagt: Das Schönste ist, dass du dich in 18 Jahren nicht verändert hast. Ein schöneres Kompliment kann einem eigentlich keiner machen.

Am 30. April endet Ihre Zeit als Oberbürgermeister. Andere werden danach ernten, was in Ihrer Ära gesät wurde.

Es ist normal, dass es noch einen Haufen Bügelwäsche gibt, die die anderen zu Ende bügeln müssen. Ja, die Stadt wird sich weiterbewegen. Es wird Entscheidungen geben, die mir nicht gefallen, aber ich werd’s keinem verraten und ich schreib‘ keine Leserbriefe (lacht) und besuche auch keine Bürgerversammlungen. Die Probleme gehen den Nachfolgern sicher nicht aus, aber die Einweihungen auch nicht.

Worüber würden Sie sich freuen?

Wenn es mit der Kulturhauptstadt 2025 klappt, das fände ich grandios. Weil es uns guttäte, auch als Auffrischung und Infragestellen und um sich selbst zu vergewissern, wie wir uns sehen wollen und wie wir gesehen werden wollen.

Letzte Frage: Wenn die gute Fee käme und Ihnen noch drei Wünsche für Nürnberg erfüllen würde ... Welche wären das?

Das ist schwer, ich würde es an drei Überschriften festmachen, was die Fee daraus macht, muss sie selber schauen. 1. Die Stadt soll Heimat für alle sein. 2. Die Stadt soll sich definieren über Lebensqualität – das beginnt bei der individuellen Sicherheit, geht über bezahlbaren Wohnraum bis zur Wirtshauskultur. Und 3. Die Stadt darf aufgrund ihrer Geschichte nie geschichtsvergessen werden. Dann schafft sie auch die Zukunft.

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