Mehr Freiräume für Kinder

21.8.2019, 08:00 Uhr
Mehr Freiräume für Kinder

© Jörg Carstensen/dpa

Herausgekommen ist ein bemerkenswertes Positionspapier.

1. Freiräume in Familien

Mit Freiräumen sind für Barbara Pantenburg neben tatsächlichen Orten und der nötigen Zeit vor allem die Gelegenheiten gemeint, bei denen sich die Kinder ausprobieren können, um das Selbstbewusstsein und Vertrauen in die eigenen Kräfte finden zu können. "Dabei ist auch Freiraum innerhalb der Familie wichtig", betont das Vorstandsmitglied im Kreisjugendring.

Die Familie habe das Potenzial, hier Kindern – noch einfacher als in Schule oder Kita – die Möglichkeit zu geben, eigenständig darüber zu entscheiden, was man erleben möchte, wie man manches gestalten will und wann es getan wird. "Dabei erfahren Kinder schnell, wo ihre Grenzen sind, überdenken eigene Entscheidungen und lernen daraus."

Leider gebe es immer weniger Freiräume. Als Ursachen nennen sie und ihre Mitstreiterinnen den Ausbau der Ganztagsbetreuung, Zusatzangebote wie Sport oder Musik, Vereinsmitgliedschaften und Lernangebote. "Freiräume müssen daher schrittweise auch immer wieder in der Familie geöffnet . . . werden."

Eltern sollten ihre Kinder als vollwertiges Familienmitglied wahrnehmen und an wichtigen Entscheidungen beteiligen. "Geben Sie Ihrem Kind vor allem in den Bereichen eigene Entscheidungsmöglichkeiten, die es selbst betreffen: zum Beispiel bei der Freizeitgestaltung, beim Zimmer, beim Kleiderschrank und den Spielzeugecken sowie beim Tagesablauf. "Seien Sie mutig, Entscheidungen Ihres Kindes zuzulassen, die Sie für falsch halten." Entweder mache das Kind dann selbst die Erfahrung oder aber die Eltern lernten dazu.

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© Michael Matejka

2. Freiräume in der Schule

Kaum ein anderer Ort werde, so Pantenburg, von Eltern sowie Kindern und Jugendlichen als "größerer Eingriff in die eigenen Freiräume wahrgenommen, als die Schule". Als "Beschneidung" der Freiräume werden nicht nur Leistungsdruck, Fremdbestimmung und Bewertung empfunden. Auch die frühen Anfangszeiten, die starren Lehr- und Lernpläne sowie Raum- und Platzmangel schränken die Freiräume ein.

Auf individuelle Interessen der Kinder, ihre Fähigkeiten, Stärken und Möglichkeiten werde zu wenig eingegangen. Hinzu komme, dass Kindern in der Schule noch immer kaum Mitbestimmung ermöglicht werde.

Die Vertreterin des Kreisjugendrings fordert, das sich "das System Schule flexibler zeigen muss und dem Biorhythmus von Schülern Rechnung tragen sollte". Lehrpläne sollten ausreichend Freiraum für selbst bestimmtes und selbst geleitetes Lernen lassen. Kinder werden auch hier bei allem beteiligt, was sie betrifft: Unterrichtsplanung, Unterrichtsort und -gestaltung. Zumindest sollten sie als Experten gehört werden. Schüler brauchen tatsächlich freie Räume und Platz, wo sie sich zurückziehen und bewegen können.

3. Freiräume in der Freizeit

Schule, Verein, außerschulische Zusatzkurse: Kinder sehen sich auch in der Freizeit noch mit zahlreichen festgelegten Strukturen und Abläufen konfrontiert, gibt Jessica Marcus zu bedenken. Anders als ihre Eltern seien sie es nicht gewohnt, alles planen und strukturieren zu können.

Das freie Spiel bleibe dabei bisweilen auf der Strecke, bedauert die Vorsitzende des Kreisjugendrings. Das freie Spiel trage aber maßgeblich zu einer verbesserten Selbstwahrnehmung und Selbstwirksamkeit bei. "Daher müssen Kinder künftig wieder mehr Zeitfenster eingeräumt werden, in denen sie Ort, Dauer und Inhalt ihres Spiels frei wählen können", plädiert sie. Ihr Motto: "Freizeit, einhergehend mit Freiheit."

Mehr Freiräume für Kinder

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Sie moniert auch, dass sich im Stadtbild ein Großteil der Außenbereiche nach den Bedürfnissen der Erwachsenen richte, nicht nach denen von Kindern. Straßen, Parkplätze oder Grünflächen. Ihre Forderung: "Kinder und Jugendliche müssen daher regelmäßig und mehr in die Stadtplanung einbezogen werden."

In Nürnberg gibt es die Kinderversammlung (vor einer Bürgerversammlung) oder das Beteiligungsprojekt "laut!". Das seien schon sehr gute Ansätze. Doch eine Erweiterung und eine Vernetzung der bestehenden Strukturen, beispielsweise bei der Planung neuer Stadtteile, ist künftig verstärkt wünschenswert, schreibt sie. Möglichkeiten gebe es bei den neuen Stadtteilen Brunecker Straße oder Tiefes Feld. Gerade im Stadtgebiet sind Freiflächen, so Marcus, die von Kindern frei nach ihren eigenen Vorstellungen genutzt werden können, noch spärlich angesiedelt.

4. Freiräume für Beteiligung

Ilka Soldner, Vorsitzende der Kinderkommission, plädiert für noch mehr Beteiligung der Kinder. "Beteiligung kann und soll projektbezogen stattfinden!", meint die Stadträtin. Plane die Stadt neue Einrichtungen, sollten die jungen Bürger ebenso zurate gezogen werden wie bei Schulneubauten. Es gehe bei den Einrichtungen dann um die Gestaltung der Räume, Spiel- und Freiflächen sowie die Planung von Ferienangeboten.

"Grundpfeiler einer jeden Beteiligungsform ist die Haltung der Erwachsenen, welche es ermöglicht, die Kinder bei allen Fragen, die sie betreffen, einzubinden und sich ernsthaft für ihre Sichtweisen und Ideen zu interessieren." Kommunalpolitiker, Mitarbeiter der Stadtverwaltung, Lehrer und Schulleitungen, Erzieher, Haupt- und Ehrenamtliche der Jugendarbeit sowie Eltern sollten sich fragen: Wie viel Beteiligung wollen wir in die Hände der Kinder geben? Wie viel Macht sind wir bereit abzugeben? Trauen wir Kindern genug zu und sind wir bereit, Zeit zu investieren? Und: Sind wir bereit, Ergebnisse der Kinderbeteiligung ernsthaft umzusetzen?

Darauf, dass Kinder und Jugendliche ein gesetzlich verbrieftes Recht auf Beteiligung haben, verweisen Gisela Duschl (Leiterin des Kinder- und Jugendhilfezentrums) und Barbara Ameling (Geschäftsführerin des Kinderschutzbunds). Es hänge nicht vom Wohlwollen der Erwachsenen oder Institutionen ab, ob die Heranwachsenden einbezogen werden. Damit es nicht nur bei Lippenbekenntnissen bleibe, müssten formal festgelegte Verfahren geschaffen werden. Auch wenn Beteiligung zunächst aufwendiger sei, weil mehr Gespräche und mehr Zeit erforderlich seien, trage diese Zeit dazu bei,
"dass Kinder und Jugendliche ihre Selbstwirksamkeit (Überzeugung, dass man das kann, was man macht) spüren und so zu selbstbewussten Erwachsenen werden".

5. Freiräume im öffentlichen Raum

Noch weiter gehen die Forderungen nach mehr öffentlichen Freiräumen für Kinder von vier weiteren Autorinnen: Andrea Bielmeier (Stadträtin), Gerlinde Mathes (Elternverband) sowie Silvina Wiemer-Urtubé und Melanie Mengel (Gesundheitsamt). So soll mehr Partizipation von sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen ermöglicht werden. Etwa über Arbeitskreise "Kinder und Jugend" sowie die Zusammenarbeit mit Kitas, Treffpunkten, Jugendhäusern, Vereinen und Initiativen.

Den Ergebnissen aus den Kinderversammlungen soll mehr Zeit gewidmet werden, damit sie Gewicht und Öffentlichkeitswirksamkeit im Stadtteil bekommen. Sie regen auch eine weitere Beteiligungsform für Kinder und Jugendliche an, die es für Erwachsene schon gibt: Online-Formate. Dies sei notwendig, um mehr altersgerechte Medien einzusetzen.

Auch Bürgervereine sollten sich verstärkt der Wünsche der Kinder annehmen, fordern die Autorinnen. Auch "Mitmachbaustellen" bei konkreten Baumaßnahmen könnten bei Kindern und Jugendlichen (aber auch allen andren Bewohnern) "ein Stück mehr Identifikation mit und Zugehörigkeit zu dem sozialräumlichen Umfeld" ermöglichen.

6. Freiräume für Inklusion

Beate Wittich, Mitglied im Vorstand der Lebenshilfe, bringt noch eine weitere wichtige Sichtweise in das Positionspapier. "Nicht nur aufgrund von Behinderungen und Krankheit, sondern ebenso aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit, der kulturellen oder sozialen Herkunft et cetera können Kinder und Jugendliche von Beteiligungsprozessen und von der individuellen Ausgestaltung ihrer persönlichen Interessen und Bedürfnisse ausgeschlossen sein", schreibt sie in dem Positionspapier.

Nicht nur in Familien mit einem besonderen Kind gebe es Situationen, in denen einem Kind wenig zugetraut werde. Schließlich hätten Kinder auch das Recht auf elterliche Fürsorge und – bei Behinderung – auf Förderung. "Die Balance zu halten zwischen Förderung/Forderung und Gewähren individueller Freiräume, ist daher nicht immer einfach."

Wer selbst wenig Freiräume habe, nehme dem Kind oder Jugendlichen vielleicht Aufgaben ab, die viel zeitlichen Raum benötigten und für die individuelle Entwicklung förderlich wären. Zeitliche Freiräume sind für sie daher eine zentrale Forderung. Auch Kindern und Jugendlichen mit Sprachbarrieren hülfen zeitliche Freiräume, um Barrieren zu überwinden, falsch Verstandenes zu klären oder fehlendes Wissen nachzuholen.

Das Positionspapier steht im Netz unter: www.kinderkommission.nuernberg.de

Mehr Freiräume für Kinder

© Mascha Brichta/dpa/tmn

Umfrage: Das eigene Zimmer

Die Kinderkommission hat auch 77 Mädchen und Jungen befragt, ob sie das Wort "Freiräume" kennen und wissen, was es bedeutet. Und vor allem wollte sie wissen: Welche Freiräume sind ihnen am wichtigsten? Heraus kam, dass fast jedem zweiten Kind der Begriff unbekannt ist. Doch als man ihnen erklärt hatte, worum es geht, konnten auch diese Kinder erklären, was ihnen wichtig ist.

Die meisten Kinder verstehen Freiraum als einen Raum für sich allein, für Ungestörtheit und zum Wohlfühlen. Es soll auch ein Ort zum Spielen sein, wo sie freie Entscheidungen treffen dürfen und wo Geborgenheit und Privatsphäre herrscht. Räumlich gesehen ist dieser Ort das eigene Kinderzimmer oder im Freien.

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