"Meine Tochter war erst lesbisch, dann ist sie mein Sohn geworden"

2.1.2018, 19:32 Uhr

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"Meine Tochter war erst lesbisch, dann ist sie mein Sohn geworden und steht immer noch auf Frauen", sagt Alex und lächelt gelassen. Mit 16 habe seine Tochter festgestellt, dass sie transsexuell ist. Bis dahin sei sie ein schüchternes Mädchen gewesen, das Verantwortung gerne bei den Eltern ablud. "Doch als sie den Entschluss gefasst hatte, als Mann leben zu wollen, ergriff sie die Initiative und kämpfte für ihr Ziel", sagt der 58-Jährige.

Sie brachte die psychologische Prüfung und zig Ämtergänge hinter sich. "Die Lehrer in der Schule, vor allem die aus der 68er-Generation, waren bemüht, ihr zu helfen." Jetzt ist sein Sohn 21 Jahre alt — und ein zufriedener Mensch. "Und das ist das Einzige, was zählt", sagt Alex.

"Ich war erst einmal etwas geschockt und habe mir Sorgen darüber gemacht, was auf mein Kind alles zukommt", ergänzt seine Frau. Ein typisches Mädchen sei ihre Tochter nie gewesen: "Sie ging lieber zum Fußball als zum Reiten, sie spielte nie die Königin, immer den König." Ihre Freundinnen hätten die Verwandlung in einen Jungen zum Glück sogar toll gefunden. Sie sagten: "Unsere beste Freundin ist jetzt unser bester Freund."

Nicht auf den Mund gefallen

Alex und seine Frau kommen zum Stammtisch von Eltern queerer Kids, der zum Verein Fliederlich e. V. gehört, weil sie anderen helfen wollen. Mit Tipps für Ämtergänge, mit Informationen über Ärzte, die Transsexualität offen gegenüberstehen. "Wir sind nicht auf den Mund gefallen, hatten aber schon Ängste vor den Reaktionen von Nachbarn und Bekannten", geben sie zu. Sie möchten anderen dabei helfen, auch mit dummen Sprüchen klarzukommen.

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Es gibt sie nämlich immer noch, verständnislose Kommentare wie "Unter jedem Dach ein Ach", wenn Eltern erzählen, dass ihr Kind schwul, lesbisch oder transgender lebt. "Es gibt spaßgebremste Nachbarn, die den Kopf schütteln, wenn statt der Tochter ein Sohn am Gartenzaun steht", sagt Alex. Es gibt Großeltern, die überzeugt werden müssen, dass Liebe wunderbar ist, "egal zu wem", sagt Susanne Türk. Die 46-Jährige rief mit ihrem Mann Jens den Stammtisch ins Leben.

Oder besser gesagt: Sie reanimierte ihn. Denn von 1987 bis 2015 gab es ihn in Nürnberg schon mal. Unter anderen gesellschaftlichen und politischen Vorzeichen. Inge Breuling war in den 80er Jahren dabei, die 76-Jährige ist immer noch im Schwullesbischen Zentrum Fliederlich aktiv.

Inge Breulings Sohn outete sich 1992 mit 19 Jahren, "meine erste Reaktion war: Jetzt bekomme ich keine Enkel." Was ihr aber schließlich nicht so viel ausmachte, wie befürchtet. "Meine Schwester hat sechs Enkel und ich kümmere mich auch um sie, manchmal ist mir das fast schon zu viel", lacht sie.

Schwierige Situation

Gar nicht zum Lachen sei die Situation der Schwulen und Lesben Ende der 80er Jahre gewesen. "Eltern kamen voller Verzweiflung zum Stammtisch, sie hatten sich für ihre Kinder ein Leben ausgemalt und in dem kam Schwulsein nicht vor." Eine Mutter habe das Wort Homosexualität im Lexikon nachgeschlagen und entsetzt lesen müssen, dass ihr Sohn etwas Strafbares tut.

"Die Ablehnung in der Bevölkerung war noch größer." Auch nachdem 1994 der sogenannte "Schwulen-Paragraf" aus dem Strafgesetzbuch gestrichen worden war, habe sich die Einstellung in der Gesellschaft nur langsam geändert. Bis ins Jahr 2000 hat Inge Breuling bei vielen Eltern gespürt, wie sehr sie die Homosexualität ihrer Kinder belastet. "Oft ging es darum, wer schuld ist am Schwulsein. Immer wieder wurde den Müttern vorgeworfen, dass sie in der Erziehung zu dominant oder im Gegenteil zu lax gewesen seien."

Diese Debatte gebe es heute im Übrigen immer noch. Wenn Breuling am Christopher Street Day am Info-Stand von Fliederlich steht, hört sie dankbare Worte von jungen Schwulen und Lesben. Nach dem Motto: Ach, wenn meine Mutter doch auch zur Parade käme und mich so akzeptieren würde, wie ich bin.

Sabine (Name geändert) hat kein Problem damit, dass eine ihrer Töchter transsexuell ist. "Als sie zwölf Jahre alt war, kam sie in die Küche und sagte mit Nachdruck: ,Mama, ich weiß jetzt, was mein Problem ist, ich bin ein Junge‘." Vorher hatte ihre Tochter große psychische Probleme, litt am Leben. "Wir fanden keine Ursache, jetzt geht es ihr gut."

Sie trug nie Kleidchen

Sabines Tochter trug nie Kleidchen, "im Kleiderschrank mussten wir nichts ändern". Ihre Tochter ist jetzt ihr Sohn und trägt einen Jungennamen, der im Ergänzungsausweis offiziell festgehalten ist. Sabine ist stolz darauf, wie er mit seinem neuen Leben umgeht. "Mit zwölf schrieb er aus eigenem Antrieb in einem toll formulierten Brief an seine Lehrer: Ich möchte ab sofort ein Junge sein, bitte unterstützen Sie mich darin."

Natürlich sei sie auch besorgt, was auf ihren Sohn, der noch im Körper eines Mädchens steckt, an medizinischen Eingriffen zukommt. Auch deshalb ist für Sabine der Stammtisch so wichtig: Weil sie ihre Sorgen teilen und Ratschläge anderer Eltern mitnehmen kann. "Es gibt nicht nur nette Kinder, der Weg ist für meinen Sohn nicht leicht", ergänzt sie noch.

"Wir wollen mit dem Stammtisch raus aus der Jammerecke, uns austauschen, vernetzen und eine Gesellschaft mitgestalten, in der es egal ist, wer wen liebt", sagt Susanne Türk. Ihr Sohn Ben outete sich mit 14, "er veröffentlichte auf Facebook den Namen seines Freundes, damit war das durch". Ben habe unterschieden zwischen Menschen, die ihm wichtig sind, "und den Blöden, deren Kommentare ihm nichts bedeuten". Seine Freunde hätten es nur mit einem gleichgültigen Schulterzucken quittiert, dass Ben Männer liebt.

Aber Türk will die Probleme nicht kleinreden. "Bens Freund ist etwas älter und hat schon schlechte Erfahrungen gemacht. Auf dem Volksfest wollte er mit Ben vor dem Rockzelt nicht Hand in Hand laufen, aus Angst, aufgeklatscht zu werden." Es gebe leider noch Menschen, für die Schwule, Lesben und Transsexuelle ein abnormales Leben führen. Daran etwas zu ändern, gerade auch für ihre Kinder, sei das Anliegen des Stammtischs.

Der Stammtisch von Eltern queerer Kids trifft sich wieder am Dienstag, 9. Januar, um 18 Uhr im Literaturhaus, Luitpoldstraße 6, und dann wieder an jedem ersten Dienstag im Monat.

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