Memorium Nürnberger Prozesse wurde zur Erfolgsgeschichte

23.11.2020, 16:52 Uhr
Erfolgsgeschichte für die Museen der Stadt Nürnberg: Das Memorium Nürnberger Prozesse im Ostflügel des Justizpalasts stößt auf riesiges Interesse.

© Daniel Karmann Erfolgsgeschichte für die Museen der Stadt Nürnberg: Das Memorium Nürnberger Prozesse im Ostflügel des Justizpalasts stößt auf riesiges Interesse.

800.000 Besucher bis heute sind die stolze Bilanz. Zuletzt kamen jährlich doppelt so viele Menschen wie zur Anfangszeit ins Memorium Nürnberger Prozesse. Die Entscheidung, mit dieser Zweigstelle den weltberühmten Schwurgerichtssaal 600 für Publikum zu öffnen und dabei Entstehung und Vermächtnis der hier geborenen internationalen Strafgerichtsbarkeit für die Nachwelt zu vermitteln, sei "eine sehr glückliche" gewesen, so der Abteilungschef der städtischen Museen in einer Pressekonferenz zum Jubiläum.

Das bestätigt ein regelrechter Fan der 2010 eröffneten Einrichtung: Philippe Sands, Professor für Völkerstrafrecht an der Universität London. "Für mich führen alle Wege nach Nürnberg", sagt er. Hier sei die Rechtsbegriffe "Genozid" und "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" begründet worden. Auf den Straftatbeständen, die ab November 1945 im Prozess gegen die NS-Hauptkriegsverbrecher weltweit erstmals zur Anwendung kamen, fuße der Kampf gegen Straflosigkeit in der täglichen Praxis bis heute.


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Sands hat für seine Buchprojekte schon früher im Memorium recherchiert – und er beschwört bei seinem neuerlichen Besuch am Jahrestag die Strahlkraft des Ortes. Auch aus persönlicher Betroffenheit. Die Familie seines Großvaters wurde im Holocaust ausgelöscht. "Nürnberg lebt heute noch. Was in diesem Gerichtssaal passiert ist, inspiriert Juristen zu neuem Handeln, das kann ich Ihnen aus eigener Erfahrung als Anwalt in Völkerrechtsverfahren sagen." Das Völkerstrafrecht, bei allem Versagen in vergangenen und aktuellen Kriegen, entwickle sich mit diesem Anspruch fort. So sei er selbst an der Entwicklung des neuen Straftatbestands "Ökozid" beteiligt, um in Zukunft staatlich verantwortete Umweltzerstörung ahnden zu können.

Erst mal nur ein Provisorium: Die städtischen Museen haben die ehemalige "Pitstop"-Kfz-Werkstatt an der Bärenschanzstraße zum Ausstellungsraum für das Memorium Nürnberger Prozesse umfunktioniert. An dieser Stelle soll später einmal ein Besucherzentrum gebaut werden. 

Erst mal nur ein Provisorium: Die städtischen Museen haben die ehemalige "Pitstop"-Kfz-Werkstatt an der Bärenschanzstraße zum Ausstellungsraum für das Memorium Nürnberger Prozesse umfunktioniert. An dieser Stelle soll später einmal ein Besucherzentrum gebaut werden.  © Stefan Hippel

Die Vorgeschichte des Memoriums beginnt in den 1990er Jahren. Die Erinnerungskultur an die NS-Zeit liegt da noch im Tiefschlaf. Aber immer mehr Besucher aus dem Ausland wollen den Schauplatz der Kriegsverbrecherprozesse sehen. Zeitzeugen, Weltkriegsveteranen, Nachfahren ausgewanderter Nürnberger.


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An die Vorstöße seiner Vorgänger, die wachsende Nachfrage im Gebäude museal zu bedienen, erinnert Thomas Dickert, Präsident des Oberlandesgerichts. Landgerichtspräsident Klaus Kastner und sein Kollege Ewald Behrschmidt hätten sich zunächst mit selbst recherchierten Infotafeln und Vorträgen beholfen. Ab 2005 kam mit dem damaligen städtischen Museenchef Franz Sonnenberger Bewegung in die Sache. Heute sagt Dickert: "Es ist mir zu platt, diesen Ort ein Museum zu nennen. Er ist ein Ort der Begegnung und der Erinnerung."

Ausstellung in ehemaliger Kfz-Werkstatt

Beim Festakt zum Jahrestag des Prozessauftakts 1945 am vergangenen Freitag ist also auch das Memorium mitgefeiert worden. Wäre die Pandemie nicht dazwischengekommen, hätte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an diesem Tag gemeinsam mit Schülern den neuen kleinen Vorbau einweihen und ihr Graffiti-Projekt würdigen sollen. Die ehemalige Auto-Werkstatt vor dem Ostflügel des Justizpalasts dient künftig als Veranstaltungsraum. So wartet der zum "Cube 600" umbenannte weiße Bau geschlossen und still auf erste Besucher einer Fotoschau nach dem Lockdown.

Der Publikumserfolg erweist sich auch als Verhängnis: Die Erweiterung des Memoriums ist überfällig. Sie ruht derzeit, weniger wegen Corona als wegen der ungeklärten Geldfrage. Freistaat und Kommune sind noch immer uneins, wie die möglicherweise 13 Millionen Euro Neugestaltungskosten aufzuteilen wären. Angesichts der dramatischen Haushaltsprobleme der Stadt Nürnberg äußert sich Kulturbürgermeisterin Julia Lehner auch nicht zur Perspektive.

Mit Multimedia den Saal von damals erleben

Hausherr Florian Dierl geht von einer fünfjährigen Umbauphase aus. Unter anderem soll der Schwurgerichtssaal mittels Multimediatechnik in seiner Gestalt zur Zeit der Prozesse erlebbar werden. Die Dauerausstellung im Ostflügel des Gerichtsgebäudes soll endlich eine englischsprachige Fassung und der Vorplatz ein Besucherzentrum bekommen. Viel Aufbauarbeit also für die neue Hausleitung, für die derzeit Vorstellungsgespräche laufen.

Zwei wegen Corona ins Internet verlegte Veranstaltungen reflektieren den 75. Jahrestag der Nürnberger Prozesse. Am 3. Dezember um 19 Uhr gastiert Philippe Sands für eine Online-Lesung aus seinem neuen Buch "Die Rattenlinie" über den in Krakau und Galizien tätigen SS-Führer Otto Wächter. Bereits am Donnerstag, 26. November, um 19.30 Uhr setzen sich fünf bayerische Poetry-Slammer mit dem historischen Ort auseinander. Anmeldung unter: 75jahre-nuernberger-prozesse.de

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