Messerstecher-Prozess: Daniel G. erzählt viel, aber sagt wenig aus

19.9.2019, 10:32 Uhr
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann versuchten Mord in drei Fällen vor. Der zur Tat obdachlose Deutsche soll im Dezember 2018 auf offener Straße drei Frauen scheinbar wahllos und ohne jede Vorwarnung niedergestochen haben.

© Daniel Karmann, dpa Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann versuchten Mord in drei Fällen vor. Der zur Tat obdachlose Deutsche soll im Dezember 2018 auf offener Straße drei Frauen scheinbar wahllos und ohne jede Vorwarnung niedergestochen haben.

An den Stoß, der sie fast aus dem Leben warf, erinnert sich Maria M. (Namen der Betroffenen geändert) gut – er traf sie am gegen 22.45 Uhr, am 13. Dezember 2018. Sie war an jenem Abend auf dem Heimweg, hatte Bekannte in einem griechischen Lokal getroffen, schildert die 35-Jährige vor der Schwurgerichtskammer. "Der Mann ist direkt auf mich zugelaufen. Sein Blick war leer – dann rammte er mir seinen Ellenbogen in den Bauch und ging einfach weiter."

Maria M. drehte sich um, sah, dass der Unbekannte ein Messer umklammerte; sie griff sich an den Bauch. "Und dann hielt ich mein Gyros vom Abendessen in der Hand", schildert sie. Daniel G. (39), der Mann, der ihr das angetan haben soll, sitzt im Landgericht Nürnberg-Fürth nur wenige Meter von ihr entfernt. Die Stichverletzung ging in den linken Oberbauch, der Magen und der Aufhängeapparat des Darms wurden durchfetzt, zig Blutgefäße verletzt. Der Stich durchtrennte eine Dünndarmschlinge, das Messer war knapp neben der großen Körperschlagader in den Bauch eingedrungen.


Messerstecher von St. Johannis hatte ein Drogenproblem


"Ich habe geschrien", erinnert sich Maria M.: Ihr Mann und ihr Anwalt Maximilian Bär sitzen rechts und links von ihr im Zeugenstand. Sie wirkt ruhig – auch nach der Attacke reagierte sie souverän: "Ich hab meinem Mann per Handy meinen Standort geschickt. Ich glaube, ich habe das Telefon einem Passanten in die Hand gedrückt." Die Rettungskräfte fuhren vor. "Und ich hörte noch einen Sanitäter sagen, ich sei schon die dritte Frau an diesem Abend."

Mordversuch in drei Fällen, das ist der Vorwurf, den Oberstaatsanwalt Thomas Weyde erhebt. Folgen die drei Berufsrichter und zwei Schöffen in ihrem Urteil der Anklage, erwartet Daniel G. eine lange Strafe. Grundsätzlich sieht das Gesetz für einen Mordversuch dieselbe Strafe vor wie für einen vollendeten Mord, also lebenslang – allerdings wird in aller Regel von einer lebenslangen Strafe abgesehen.

"Ich möchte mich bei den Frauen entschuldigen. Es tut mir unheimlich leid", sagt G., als er seine Personalien angibt. Mehr kommt ihm am ersten Prozesstag nicht über die Lippen. Und zu diesem Zeitpunkt sitzt noch kein Zeuge im Saal.

Sehr viel ausführlicher äußerte er sich am 29. Januar 2019: Er sagte bei der Nürnberger Kriminalpolizei aus, die Vernehmung wurde mit der Videokamera festgehalten – und wird nun zu Prozessbeginn gezeigt. G. ist im Großformat auf der eigenes aufgebauten Leinwand zu sehen. Im echten Leben sieht Daniel G. nicht hin, während die Dokumentation mit seinem Geständnis läuft.
Um es vorwegzunehmen: Gut zwei Stunden dauert die Aufnahme – doch am Ende haben die Prozessbeteiligten und das Publikum, das sich im Saal drängt, auch nicht viel mehr gehört als gestammelte Entschuldigungen und die Erklärung, dass er die Messerangriffe eben nicht erklären kann.

Seit 15. Dezember sitzt er in U-Haft, in der Vernehmung trägt er den blauen Drillich der Gefangenen, zwei Beamte befragen ihn, man befinde sich in den Räumen des Kommissariats 11. Daniel G., Familienstand ledig, gelernter Lagerist, geboren in Eisleben, bat selbst um die Vernehmung.

Seinen Anwalt braucht er nicht, sagt er. Ein Verhörzimmer, so trostlos wie im TV-"Tatort". Auf dem Fußboden graue Auslegeware, die Büromöbel weiß und grau, selbst die Kommissare tragen graue Kleidung.


So fasste die Polizei den mutmaßlichen Messerstecher


"Wie geht es Ihnen? Fühlen Sie sich in der Lage, mit uns zu reden?" Damit die Vernehmung vor Gericht verwertbar ist, sind eine Reihe von Formalien einzuhalten. Die Polizisten, schließlich werden sie selbst gefilmt, geben sich Mühe. Sie bieten Wasser an und Toilettenpausen, und als G. jammert und schluchzt, halten sie Taschentücher bereit. Es gilt, Vertrauen herzustellen – freilich in der Hoffnung, dass der Beschuldigte plaudert. Nicht jedem Zuschauer im Publikum leuchtet so viel (vermeintliches) Verständnis ein, mancher schnauft laut durch.

Daniel G. ist ein Wohnungsloser, der aus Sachsen-Anhalt stammt – er hat 18 Vorstrafen. Er saß wegen Drogendelikten, Betrug, Beleidigung und Diebstahl im Gefängnis. Vor 17 Jahren verurteilte ihn das Amtsgericht Gotha wegen Vergewaltigung.

Er habe an jenem Tag eine Flasche Schnaps gestohlen. "Saurer Apfel", sagt er. Als die Flasche leer war, sei ihm die Idee gekommen, einen Überfall zu begehen.

Er stahl, um sich Mut anzutrinken, eine weitere Flasche Schnaps und ein Messer und wurde um 17.40 Uhr im Marktkauf am Plärrer erwischt. Die Polizei nahm ihm die Beute ab, und ließ ihn laufen.

"Ich weiß nicht, wie das passiert ist"

Später sorgte dies für Kopfschütteln. Doch das Vorstrafenregister des G. ist erst heute bekannt, damals ahnten die Beamten nichts von seiner kriminellen Karriere. Denn dazu ist ein Ausdruck aus dem Bundeszentralregister nötig und dieser kann nicht auf Knopfdruck eingeholt werden, dies dauert Stunden.
G. besorgte sich damals noch zwei Flaschen Bier und ein Messer in einem "Ein-Euro-Shop". "Das Tatmesser", stammelt er. "Ich weiß nicht, wie das passiert ist, ich verstehe es selbst nicht. Ich habe sonst immer Frauen beschützt." Er atmet schwer.

"Man könnte vermuten, dass Sie Frauen hassen", sagt einer der Polizisten – G. antwortet nicht direkt. Dann sagt er "Nein" und erzählt, dass er eine kleine Tochter habe, doch darüber wolle er nicht reden. Über seine Familie wolle er auch nicht reden.

"Ich habe ein Mädchen gesehen, der habe ich in den Rücken gestochen. Ich bin weitergelaufen. Tut unheimlich weh, so was." Unklar bleibt, ob er sich meint oder die geschädigte Frau. "Ich würde das gerne rückgängig machen, das bin ich den drei Frauen schuldig. Lebenslang muss ich ins Gefängnis." Er weint.
Plagt ihn wirklich sein Gewissen? Oder sitzt hier ein Berufskrimineller, der aus taktischen Gründen Reue bekundet?

Es fällt auf, dass er sich nicht direkt entschuldigt. Als die drei Frauen in den Zeugenstand treten, guckt er zu Boden. Der kräftig gebaute Mann, der bis zum Hals tätowiert ist, bringt den Mut für persönliche Worte nicht auf.

Um 19.20 Uhr wurde eine Zahnarzt-Angestellte (56) zum ersten Opfer. G. kannte sie nicht – ein Zufallsopfer, wie die anderen beiden Frauen auch. G. verbarg sein Messer, seine Angriffe waren heimtückisch, die Frauen arg- und wehrlos. "Hätten die Frauen es vorher merken können?", hakt ein Polizist in der Vernehmung nach. "Nein", sagte G.

Die Zahnarzthelferin wartete damals auf den Bus. Ganz sachlich, flankiert von Opferanwältin Andrea Kühne, schildert sie, wie kalt jener Abend war und dass sich der Bus verspätet hatte. Um "etwas für die Gesundheit zu tun", sei sie eine Haltestelle vorausgelaufen, als ihr ein Mann entgegenkam. "Blitzschnell führte er die rechte Hand an meinen Oberkörper, ein entsetzlicher Schlag, ich vermutete einen Elektroschocker. Ich habe noch gedacht, das ist ein Witz."

Erst als sie ihren Mantel öffnete, sah sie, dass sich ihre weiße Arbeitskleidung rot verfärbte. "Ich bekam Todesangst. Ich habe fest gedrückt, damit die Blutung gleich gestillt wird." Ein Passant wählte den Notruf. Fünf Tage lag sie im Krankenhaus, eine Notoperation war nötig.

Zum Glück, so sagt die Frau, wollte ihr Chef die Arztpraxis damals über Weihnachten ohnehin 14 Tage zusperren, so musste sie nicht zu lange in den Krankenstand gehen.

Und heute? "Na ja, der Ort des Geschehens ist eben nur ein paar Meter von meiner Arbeitsstelle weg. Wenn es geht, wechsle ich die Straßenseite."

Laut Anklage stach Daniel G. um 22.40 Uhr sein zweites Opfer in der Arndtstraße nieder: Auch diese Frau, eine 26-jährige Apothekerin, schildert ganz sachlich, was ihr angetan wurde: Sie kam von einer Weihnachtsfeier aus dem Lokal "Zum Spießgesellen", gegen 22.40 Uhr wurde sie in der Arndtstraße, nicht weit von ihrer Haustür entfernt, in den Rücken gestochen. Sie habe schon gemerkt, dass ihr ein Mann folgte, sagt sie. Deshalb kramte sie aus ihrer Handtasche schon mal den Schlüssel raus. Sekunden später der Schlag.

Auch sie musste eine Woche ins Krankenhaus, konnte wochenlang nicht arbeiten. Heute wage sie sich im Dunklen nicht mehr unbedingt allein auf die Straße, doch von dem Übergriff wolle sie sich in ihrem Leben nicht einschränken lassen, sagt sie. Auch ihre Aussage, ganz ruhig – und ganz im Gegensatz zum Auftritt des Angeklagten.

Maria M., die Frau, die der mutmaßliche Messerstecher von St. Johannis am schwersten verletzt hat, spricht von "Lebensmut" – sie wolle ihn nicht verlieren. Und: Sie habe "Gottvertrauen". Gerade ist sie mit ihrem zweiten Kind schwanger. Der Prozess wird fortgesetzt.