Korruption im Gesundheitswesen

Milliarden-Betrug - auf Kosten der Patienten

8.9.2021, 13:28 Uhr

"Es gibt wenige Bereiche, die so betrugsanfällig sind wie das Gesundheitswesen" - dieses Fazit zog SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach bereits im Jahr 2016. Damals ging es um Milliardenbetrug durch russische Pflegedienste in Deutschland. Und heute?

Jedes Jahr werden Milliarden in das deutsche Gesundheitssystem gepumpt: 4944 Euro, so das Statistische Bundesamt, betrugen die Gesundheitsausgaben im Jahr 2019 pro Einwohner. 57 Prozent der insgesamt 411 Milliarden Euro für Gesundheitsausgaben kommen von den gesetzlichen Krankenversicherern.

Wo es etwas zu holen gibt, wird betrogen. Dies ist banal - und trotzdem gerät (nicht nur in Pandemie-Zeiten) aus dem Blick, wohin das Geld fließt. Der Gesundheitssektor ist komplex und es gibt sehr viele Beteiligte. Ärzte, Apotheker, Mitarbeiter von Pflegediensten, Patienten, Versicherer und Abrechnungsdienstleister - viele Schnittstellen also, die zu Schwachstellen werden können.

Wenn sich das Gesundheitssystem, das eine Solidargemeinschaft sein soll, zu viel am Profit orientiert, ist der Profit vielleicht ein Virus, das es zu bekämpfen gilt - auf juristischer Ebene hat eine zentral verankerte Staatsanwaltschaft in Nürnberg damit vor einem Jahr bayernweit begonnen. Diese Spezialisierung ist eine gute Nachricht, denn die Praxis ist ausgesprochen komplex. Wo etwa kooperieren Beteiligte im Gesundheitswesen und wann beginnt Korruption?

Ärzte operieren die selbst von ihnen ins Krankenhaus eingewiesenen Patienten, Pharmaunternehmen agieren bei ärztlichen Fortbildungsveranstaltungen als Sponsoren, Apotheker verpacken Tabletten kostenlos für Alten- und Pflegeheime. Diese Beispiele zeigen: Ohne Kooperation funktioniert das Gesundheitssystem nicht. Dazu sind Ärzte und Apotheker auch Unternehmer, die dafür arbeiten, um im Gesundheitsmarkt zu bestehen. Gesundheit ist ein Geschäft. Und in einem gesunden Wettbewerb profitiert letztlich der Patient.

Doch es sieht so aus, als bräuchte es noch einen weiteren Wettbewerb: einen Wettbewerb um die bestmöglichste Versorgung der Patienten und der Pfleger. Stichwort Pflegenotstand. Seit vielen Jahren klagen Pflegekräfte regelmäßig öffentlich darüber, dass sie mit der Stoppuhr pflegen müssen, unterfinanziert, unterbesetzt und unterbewertet arbeiten. Sie "systemrelevant" zu nennen, hilft nicht weiter. Sie arbeiten in einem System, in dem das Personal als reiner Kostenfaktor betrachtet wird und Patienten dann entlassen werden, wenn es sich für die Klinik finanziell rechnet.

Auch deshalb wenden sie sich frustriert von ihren Berufen ab und betrügerische Pflegedienste, die statt qualifizierter Mitarbeiter billige Aushilfen beschäftigen, können in diese Lücke stoßen.

Kriminelle Pflegedienste, diese Bilanz zieht die Nürnberger Spezialstaatsanwaltschaft nach einem Jahr (und mehr als fünf Jahre nach Karl Lautersbachs Zitat) sind die traurigen Spitzenreiter der Betrugsermittlungen im Gesundheitswesen.

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