Mutter will ihren Sohn zu Hause unterrichten: Haft droht

3.1.2015, 14:57 Uhr
Mutter will ihren Sohn zu Hause unterrichten: Haft droht

© Michael Kasperowitsch

Claudia Brunner hat es schwarz auf weiß. Sie erzieht und fördert ihren Sohn Wenzel zusammen mit seinem Vater „vorbildlich“. Der Junge zeige mit Blick auf kognitive Lernziele eine Leistungsbereitschaft, die im oberen durchschnittlichen Bereich liege. Auch in sozialer und emotionaler Hinsicht gebe es keine Defizite bei der Entwicklung.

Wenzel erhalte Musikunterricht, gehe mit anderen Kindern zum Chor, hole sich mit seinem Vater Bücher aus der Bibliothek, hat einen Schwimmkurs absolviert und lernt bei seinem Vater — er wohnt nicht mit Wenzels Mutter zusammen — handwerkliche Fähigkeiten. Außerdem helfe er bei Vorbereitung einer Kindergruppe, die immer mittwochs auf dem Tierhof seiner Mutter stattfindet. Von einer Kindeswohlgefährdung könne derzeit keine Rede sein.

Vorerst gescheitert

So hat das Dr. Roland Albert in seinem psychiatrischen Gutachten über den heute Achtjährigen für das Amtsgericht in Neustadt/Aisch festgehalten. Das Gericht teilte am Ende die Einschätzung des Experten. Allerdings werde, so heißt es in dem Beschluss, eine erneute Überprüfung erforderlich sein, „sollten die Eltern Wenzel in den nächsten Jahren weiterhin nicht beschulen lassen“.

Zunächst scheiterte aber mit der Gerichtsentscheidung der Versuch des Kreisjugendamtes, der Mutter das Sorgerecht wenigstens zum Teil entziehen zu lassen. Unter dem Dach des Landratsamtes gibt es aber noch die Abteilung Kommunalwesen, die aus ihrer Sicht mit Argusaugen auch über die Einhaltung der Schulpflicht zu wachen hat. Und diese Behörde hat beim Ansbacher Verwaltungsgericht im Oktober einen Beschluss gegen Claudia Brunner erwirkt. Wenn der wirksam wird, muss die Mutter zunächst sieben Tage ins Gefängnis. Es könnten noch mehr werden. Ersatzzwangshaft nennt sich das.

Eine Ausnahme von der Schulpflicht, so Ansbach, sähen Gesetze und Bestimmungen nun mal nicht vor. Und bereits aufgelaufene Bußgelder in Höhe von mittlerweile insgesamt 2700 Euro kann die 42-Jährige nicht bezahlen. Dazu ist ihr Einkommen zu niedrig.

Zu der drakonisch wirkenden Maßnahme sehen die Verwaltungsrichter keine Alternative. Sie berufen sich dabei auf die Rechtsprechung bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht. Danach können Eltern die Erfüllung der Schulpflicht aus Gewissensgründen nicht verweigern.

Und die Auswahl der Zwangsmittel dürfe, so heißt es im Ansbacher Beschluss weiter, nicht zur Disposition des Pflichtigen, in diesem Fall also von Claudia Brunner, gestellt werden, denn das käme einer „nicht hinnehmbaren Privilegierung desjenigen gleich, der die Erfüllung seiner Pflichten mit besonderer Hartnäckigkeit verweigert“. Und hartnäckig ist die Mutter von Wenzel ohne Zweifel.

Geldbuße nicht bezahlt

2013 saß sie schon einmal acht Tage im Nürnberger Gefängnis, weil sie eine Geldbuße wegen ihres wild entschlossenen Schulstreiks nicht begleichen konnte. Während dieser Haft besuchte Wenzel als vorübergehender Gast die Montessori-Schule Rothenburg-Neusitz. Bleiben wollte er dort nicht. „Ich mochte das nicht so“, sagt er, „ich lerne, wann ich will und nicht zu festgelegten Zeiten.“ Die Mutter nahm ihn nach ihrer Freilassung wieder mit nach Hause.

Die zwei leben in Oberickelsheim auf einem renovierungsbedürftigen Gnadenhof für Tiere. „Lucky Farm“ heißt er. Im Hof tummelt sich ein kleines Rudel Hunde, im Stall stehen Pferde und Esel. Die kleine Familie wartet nun auf die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, wo ihr Anwalt, Professor Arnold Köpcke-Duttler, ein Jurist und Pädagoge, Beschwerde gegen die Ansbacher Entscheidung eingelegt hat.

Claudia Brunner folgt auf ihrem Hof streng einer eigenen Lebensphilosophie von Freiheit. Sie hat sich ein weites Netzwerk von Menschen geschaffen, die sich gegenseitig helfen. „Jeder bringt das ein, was er gut kann.“ Sie hat erlebt, dass das Prinzip funktioniert.

Beispielsweise musste sie für Wenzel noch kein einziges Kleidungsstück kaufen. Einmal wurde der Strom abgestellt, weil sie mit der Zahlung im Rückstand war, da legte der Nachbar eine Leitung von seiner Photovoltaikanlage in ihr Haus.

Das sogenannte Homeschooling, den Schulunterricht zu Hause, lernte sie bei amerikanischen Familien im Raum Würzburg kennen, die mit ihren Kindern zu ihr auf den Tierhof kamen. Als bei Wenzel die Schulanmeldung anstand, war bei der 42-Jährigen die Erkenntnis gereift: „Wir brauchen keine Schule.“ Seit dieser Zeit gibt es massiven Ärger mit den Behörden.

Sie empfindet die bestehende Form der Schulpflicht als unangemessenen Zwang. „Ich habe noch nie gemacht, was ich nicht wollte.“ Diese Haltung hat sie ihrem Sohn weitervererbt. Dass sie ihm damit Chancen raubt, kann sie nicht erkennen. Sie sieht sich vielmehr als hoffnungsvolle Vorreiterin für ähnlich gesinnte Eltern: „Früher oder später wird sich da was ändern.“ Und sie fügt ein Beispiel dafür an, dass sich klares Engagement und zähe Geduld lohnen: „Bei der Heirat homosexueller Paare hat es auch lange gedauert, bis das gesetzlich erlaubt war.“

Wenzel kann heute lesen, schreiben und rechnen. Kürzlich hat er einen Antrag als Junghelfer beim THW ausgefüllt und mit seinem Vater war er auf einem Seminar der Bayerischen Landesanstalt für Wein- und Gartenbau in Veitshöchheim. „Die Bodenfruchtbarkeit biologisch fördern“ hieß das Thema.

Weil Wenzel Brunner so gut mitmachte, bekam er vom Leiter sogar eine hochoffizielle Teilnahmebestätigung. „Auch die Haft wird an meinem Standpunkt nichts ändern“, bekräftigt Brunner und fügt in tiefster Überzeugung hinzu: „Und an dem von Wenzel noch viel weniger.“

Sorgerechtsentzug droht

Nach den bisherigen Erfahrungen mit der Familie Brunner zweifelt Günter Lorz, Sachgebietsleiter Kommunalwesen am Landratsamt, keinen Moment daran, dass dies so sein wird. Was dann? Wenn die Möglichkeiten der Ersatzzwangshaft ausgeschöpft sind, „haben wir ein Problem“, meint er.

Unter Umständen werden dann wieder die Kollegen vom Kreisjugendamt in Richtung Sorgerechtsentzug tätig. Man hält Kontakt. Härte und Unnachgiebigkeit sind aus Sicht des Landratsamtes in dieser Frage strikt geboten. „Wir wollen ja kein Beispiel für andere Familien geben“, betont Lorz.

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