Namensschilder wider das Vergessen

31.7.2019, 18:44 Uhr
Namensschilder wider das Vergessen

© Foto: Michael Matejka

Gostenhof – vor dem Holocaust sei es ein "Klein-Jerusalem" gewesen, sagt Jean-François Drozak. "Im Stadtteil wohnten viele Jüdinnen und Juden, doch davon sieht man heute nichts mehr." Nachdem vor zwei Jahren der Belgier Alain Jesuran vor Drozaks Haus in der Volprechtstraße 21 gestanden hatte, weil dort dessen Großeltern bis zu ihrer Flucht vor den Nazis 1933 gelebt hatten, spürte der Theaterpädagoge Wunsch und Verpflichtung, an die Judenverfolgung in Gostenhof zu erinnern.

"Gehört uns das Haus rechtmäßig, wenn es die Großeltern von Alain Jesuran aus Angst vor den Nazis verkaufen mussten?" fragt sich Drozak. Längst sind seine und die Familie Jesuran befreundet, Jugendliche des Dürer-Gymnasiums schreiben an der Geschichte der Volprechtstraße 21.

Doch dem 45-Jährigen, der in der Rothenburger Straße den Verein Nordkurve und einen offenen Treffpunkt organisiert, geht das nicht weit genug. Er möchte an die Deportationen möglichst vieler jüdischer Mitbürger erinnern. Mit schlichten schwarz-weißen Schildern, auf denen jeweils der Name eines Deportierten und das Datum der Verschleppung stehen, entnommen aus dem "Gedenkbuch für Nürnberger Opfer der Shoa".

"Möglichst in jedem Wohnblock in Gostenhof sollte jemand ein Namensschild an seinem Briefkasten anbringen", wünscht sich Drozak. Wobei die Person, an die erinnert wird, nicht in dem Haus gewohnt haben muss. Die Idee ist es, dass die Bewohner im Treppenhaus ins Gespräch kommen. Die Schilder irritieren. Oder wie es SPD-Stadträtin und Mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde, Diana Liberova, formuliert: "Bewohner und Besucher stolpern gedanklich über die Schilder."

Die Namen der Deportierten rücken das Vergessene wieder in den Vordergrund. Julie Abraham macht den Anfang. Ihr Namensschild ist das erste, das in Gostenhof an einen Briefkasten geklebt wurde und zwar an den von Sandrine und ihrer Familie. "Es ist wichtig, sich zu erinnern", sagt Sandrine. "Es kann schneller wieder zu Verfolgung und Ausgrenzung kommen, als man denkt." Bis jetzt haben sich 30 Menschen aus Gostenhof bereiterklärt, ein Schild an ihren Briefkasten zu kleben.

Bundesweit bekannt sind die Stolpersteine, mit denen der Künstler Gunter Demnig an Opfer des Nationalsozialismus erinnert. Über 70 000 wurden bereits verlegt. "Alain Jesuran wünschte sich eine andere Form des Erinnerns", sagt Drozak. Die Stolpersteine sind umstritten, "die häufigste Debatte mit Opferfamilien befasst sich mit der Frage, wie sie damit umgehen, wenn jemand auf die Namen ihrer Familienangehörigen tritt", sagt Liberova. Die Namensschilder-Aktion gefällt ihr so gut, dass sie deren Schirmherrin wurde. Sie denkt auch an die Nachfahren der Deportierten, die wie Alain Jesuran nach ihren Wurzeln suchen. "Wenn sie an Briefkästen ein solches Schild sehen, zeigt es ihnen, dass hier Erinnerung aktiv gelebt wird."

Martina Mittenhuber, Leiterin des Menschenrechtsbüros, das die Aktion mit 5000 Euro unterstützt, lobt an der Initiative, dass sie auch Menschen erreiche, die sich für das laufende Bildungsprogramm nicht interessieren.

Wer an seinem Briefkasten ein Schild anbringen möchte, kann an info@nordkurve.info schreiben.

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