Nie ohne den Jazz

28.5.2019, 19:40 Uhr
Nie ohne den Jazz

© Foto: Michael Matejka

An seinen ersten Abstecher an den Ort, der für ihn später so wichtig werden sollte, erinnert sich der 69-Jährige gut. Um 22 Uhr wurde er, weil zu jung, nach Hause geschickt. "Meine Klamotten haben gestunken — nach dem Kohleofen im Keller und nach Zigarettenqualm."

Der Keim war gelegt, der Jazz hat den Molekularbiologen nie mehr losgelassen. Seit seiner Rückkehr nach Nürnberg 2010 engagiert er sich im Jazz-Studio, 2014 wurde er zum Vorsitzenden gewählt und wenig später übernahm er die Programmplanung. Das sei ein großes Privileg, sagt der sportliche Mann mit der dunklen Brille: "Ich höre hundert Konzerte im Jahr, die ich selber aussuche."

Der blutjunge Jazz-Fan aber wollte selbst Musik machen. Das Trompetespielen lernte er in der Kirchengemeinde am Hasenbuck, wo der Pfarrer gegen die "Teufelsmusik" wetterte. Günther Rieß brachte das nicht ab vom rechten Weg, mit 16 gründete er die "Oldtimers" und pfiff auf die Kirchenmusik. Als Student in Erlangen jammte er mit anderen in einem Gartenhäuschen am Ufer der Schwabach, bis es ihn zur Promotion nach Bielefeld verschlug. Auch dort ging’s nicht ohne eigene Jazz-Band, während der Nürnberger tagsüber stickstofffixierende Bakterien erforschte. Dass sich Hülsenfrüchte so eines Tages selbst düngen würden, sei leider ein Traum geblieben. Es folgte der Job in Frankfurt und die "musiklose Zeit" der 60 bis 80 Wochenstunden. Die Trompete hat er seither nicht mehr angesetzt. Der Jazz blieb.

Als ihn die passive Phase der Altersteilzeit in die Freiheit entließ, zog es Rieß mit seiner Ehefrau, die aus Unna stammt, zurück nach Nürnberg. Das Paar lebt seither in Ziegelstein und teilt, ein Glück, zwei große Leidenschaften: die fürs Rennradfahren ("zwei Stunden täglich") Richtung Kalchreuth oder Lauf — und die für die Musik.

Er könne aushelfen, so stellte sich der Rückkehrer vor neun Jahren im vertrauten Jazz-Studio vor. Er durfte, saß an der Kasse und geriet in den damals akuten Generationenkonflikt im Verein. Die Älteren hätten Hardbop und Swing hören wollen, die Jungen Modernes. Als Programmmacher wählt Günther Rieß immer den Mittelweg. "Das Geheimnis des Erfolgs ist Vielfalt. Nur mit Avantgarde krieg’ ich den Laden nicht voll."

Seine Frau ist mittlerweile für die Vereinsfinanzen zuständig, er wühlt sich daheim bis zu sechs Stunden täglich durch Bandanfragen, bewertet Hörproben, sortiert aus, kontaktiert Musiker. Zusammen mit dem Programmbeirat entsteht der Spielplan der 1954 gegründeten Institution am Paniersplatz. Freitags und samstags finden die Konzerte statt. Immer im Publikum: Günther Rieß.

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