Klassenzimmer unter Bäumen

Nürnberg: So gut tut Kindern die "Draußenschule" im Wald

24.7.2021, 05:59 Uhr
Der Wald wird zum Klassenzimmer: Stefanie Horn unterrichtet derzeit einmal in der Woche in der Natur.

© Katharina Fittkau Der Wald wird zum Klassenzimmer: Stefanie Horn unterrichtet derzeit einmal in der Woche in der Natur.

Fast 45 Minuten brauchen Stefanie Horn und ihre Klasse von der Schule bis zum Waldstück. Doch der Weg zu ihrem Klassenzimmer unter Bäumen ist bereits Teil des Abenteuers. „Bis wir überhaupt im Wald ankommen, sind schon 1000 Dinge geschehen.“, erzählt die Klassenlehrerin. So entdeckte die Gruppe am Wegesrand einige Schmetterlingsraupen. Jede Woche konnten sie deren Entwicklung beobachten, bis schließlich nur noch die Hüllen der Puppen an den Blättern hingen.

Von und in der Natur lernen, das ist das Konzept der Draußenschule.

Von und in der Natur lernen, das ist das Konzept der Draußenschule. © privat

Seit dem Ende des zweiten Lockdowns Mitte Mai erprobt die Bismarckschule Nürnberg in drei zweiten Klassen die Draußenschule. Das Konzept: An einem festen Schultag in der Woche findet der Unterricht im Freien statt. Entstanden ist die „Udeskole“ in den 1990er Jahren in Dänemark und ist vor allem in Skandinavien verbreitet.

Hierzulande hat sich ein regelmäßiger Draußentag in der Schulwoche noch nicht etabliert. „Doch die Pandemie hat dem Konzept einige Türen geöffnet.“, sagt Anna Hunklinger vom Projektmanagement "Unterricht im Wald" der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW).

Wunsch nach sozialer Interaktion ist groß

Denn der Wunsch nach mehr Bewegung und sozialer Interaktion in der Schule ist nach nervenaufreibenden Monaten des Homeschoolings und hygienekonformem Frontalunterricht im Klassenzimmer aktuell besonders groß. Einen Lösungsansatz sah Horn in der Bildung einer Waldklasse. Mit dem Schulwald war schnell ein geeigneter Ort gefunden und dank der SDW konnte eine Waldpädagogin als weitere Begleitperson finanziert werden.

Nachdem Horn und die Kinder im Waldklassenzimmer angekommen sind, wird erstmal zusammen gefrühstückt. Anschließend ist „Stillezeit“: Alle suchen sich einen gemütlichen Platz zwischen den Bäumen und beobachten und lauschen aufmerksam. Als letztes Ritual folgt ein gemeinsamer Tanz, bevor dann für eineinhalb Stunden Unterricht gemacht wird.

„Mir ist wichtig, dass der Schulstoff nicht zu kurz kommt“, sagt Horn. Dabei werden neben Fächern wie Heimat- und Sachkunde, die ohnehin Themenfelder der Natur behandeln, auch Deutsch oder Mathe unterrichtet. Horn lässt die Kinder dann Zapfen und Blätter sammeln, um damit das Plus-und-Minus-Rechnen zu wiederholen. „Wenn die Schülerinnen und Schüler erst einmal ihre Materialien zusammensuchen müssen, ist automatisch viel Bewegung im Spiel und das sorgt für eine bessere Lernfähigkeit.“

"Ruhiger und ausgeglichener"

Unterricht im Wald ist für Stefanie Horn vor allem „kindgerecht“. Viele positive Veränderungen kann sie bereits nach kurzer Zeit beobachten: „Die fünf Draußenstunden jede Woche führen dazu, dass die Kinder in der Schule und Zuhause ruhiger, aufmerksamer und ausgeglichener sind. Diese Rückmeldungen bekomme ich auch von den Eltern.“

Auch Deutsch und Mathe stehen auf dem Plan.

Auch Deutsch und Mathe stehen auf dem Plan. © Katharina Fittkau

Die positive Wirkung des Unterrichts im Freien kann Volker Weiß, Konrektor der Pestalozzischule Erlangen, bestätigen. Von einer Draußenschule in Norwegen hörte er zum ersten Mal vor zehn Jahren und setzte daraufhin die Idee auch in seiner Grundschulklasse um. Dabei ist „draußen“ für Weiß nicht nur auf die Natur begrenzt. In „Bauen und Konstruieren“ haben die Schülerinnen und Schüler beispielweise auf der Sportwiese ein Holzhaus errichtet. Der Lehrer sieht seit Jahren, wie gut die Kinder das Konzept annehmen: „Oft sagen sie zu mir, dass sich das gar nicht nach Schule anfühle, dabei lernen sie so vieles gleichzeitig.“

Solche Erfahrungen machen – gerade nach dem Lockdown – immer mehr Lehrkräfte. Auch Silke Baumgärtel von der Scharrerschule Nürnberg plant nach einem Ausflug mit ihrer 4. Klasse zum Abenteuerspielplatz Goldbachwiese im nächsten Schuljahr eine Draußenklasse. Während die Kinder im Klassenzimmer zunehmend müde und antriebslos auf ihren Stühlen saßen, schienen sie auf dem Spielplatz „plötzlich zu erwachen“. Ihre Neugierde und ihr Entdeckungsdrang waren wieder geweckt. „Ich lernte viele Kinder völlig neu kennen“, sagt Baumgärtel.

"Wir hätten wirklich Schwierigkeiten gehabt"

An der Bismarckschule ist das Projekt gerade noch in der Erprobungsphase, manche Fragen sind noch ungeklärt. Doch Horn plant fest, den Waldtag im nächsten Schuljahr fortzuführen. „Durch den Tag draußen ist zum einen das natürliche Bewegungsbedürfnis der Kinder gestillt, zum anderen haben sie dort nochmal ganz andere Möglichkeiten sozial miteinander zu agieren. Das sind zwei grundlegende Dinge, die bei vielen Kindern während des Lockdowns vollkommen untergegangen sind.“

Horn ist sich sicher: „Wenn wir nach so einer langen Zeit des Homeschoolings unsere zwanzig Schulstunden nur im Klassenzimmer abgesessen hätten, dann hätten wir wirklich Schwierigkeiten gehabt.“



Der Bayerische Elternverband (BEV) fördert aktiv die Umsetzung der „Draußenschule“ und hat für interessierte Lehrkräfte eine praktische Einführung erarbeitet. Außerdem bietet der BEV Möglichkeiten der Vernetzung an. Informationen gibt es auf der Webseite des Elternverbands.

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