Vorsorge und Früherkennung

Nürnberger Chefarzt erklärt: Darum sterben Männer zu jung

22.11.2021, 05:57 Uhr
Man kann den Patienten richtig helfen, und das ist ihnen vielleicht nicht bewusst. Viele Männer denken: Wenn ich das bekomme, bekomme ich es halt. Das ist falsch. 

© imago images/Jochen Tack, NN Man kann den Patienten richtig helfen, und das ist ihnen vielleicht nicht bewusst. Viele Männer denken: Wenn ich das bekomme, bekomme ich es halt. Das ist falsch. 

Männer sterben zu jung. Mit diesem Satz fasst die Stiftung "Movember" das Problem zusammen, auf das sie in jedem November weltweit die Aufmerksamkeit zu lenken versucht: Männer leben ungesünder als Frauen und nutzen ärztliche Hilfe nicht im nötigen Maß, zum Beispiel bei der Früherkennung und Krebsvorsorge. Privatdozent Dr. Georgios Hatzichristodoulou, Urologie-Chefarzt am Krankenhaus Martha-Maria, sieht das in seiner Arbeit auch. Er findet, das Gesundheitswesen könnte Arztmuffel besser umwerben.

Herr Dr. Hatzichristodoulou, fällt Ihnen ein Patient ein, bei dem Sie sich zuletzt gedacht haben "Oje, wäre er doch nur eher gekommen"?
Ja, tatsächlich. Vor zwei Wochen kam ein Patient zu mir, Mitte 60, belesen, taff, Geschäftsführer. Er war noch nie bei der Vorsorge oder Früherkennung gewesen, weil es ihm immer gut ging, erzählte er. Sein Hausarzt hatte ihm neulich vorgeschlagen, doch mal den PSA-Wert zu prüfen (Blutwert, der ein Prostatakarzinom anzeigen kann, Anm. d. Red.), der war dann deutlich erhöht. Leider hat er einen ziemlich weit fortgeschrittenen Prostatakrebs. Wäre er ein paar Jährchen vorher zum Urologen gegangen, hätte man den Krebs in einem früheren Stadium erkennen können, und eine Operation hätte ihn mit größerer Wahrscheinlichkeit geheilt.

"Mir geht es doch gut." Welche Ausreden hören Sie noch?
Ich war noch nie in meinem Leben krank. Ich bin ja kein Weichei. Ich bin fit, spiele Tennis und jogge, es kann gar nicht sein, dass etwas nicht stimmt.

Also das Selbstbild vom harten Kerl. Andererseits sagt man Männern nach, sie würden sich bei einer banalen Erkältung wie Schwerkranke benehmen. Was haben die Arztmuffel denn gemeinsam?
Das Verneinen und Ignorieren von Krankheit. Angst und Scham spielen natürlich eine Rolle. Das hat aber auch mit dem Geschlecht an sich zu tun. Frauen haben die Krebsvorsorge verinnerlicht, weil sie wegen Regelblutung, Verhütung oder Schwangerschaften fast automatisch in jungen Jahren ein- oder mehrmals einen Gynäkologen aufsuchen. Ich kenne keine genauen Zahlen, aber der Großteil der Frauen nutzt die Vorsorge und leider nur ein geringer Prozentsatz der Männer. Männer gehen erst zum Arzt, wenn etwas nicht mehr funktioniert oder etwas wehtut. Dann sind auf einmal Brustschmerzen und der Herzinfarkt da.

Männer haben in Deutschland eine fünf Jahre kürzere Lebenserwartung als Frauen. Was hätten sie für einen Nutzen, wenn sie öfter zur Vorsorge gingen?
Wenn sie jedes Jahr Blutdruck, Blutfette und Blutzucker kontrollieren lassen würden, mal ein EKG schreiben und die Prostata untersuchen lassen, dann würde man viele Erkrankungen viel früher feststellen, zu einem Zeitpunkt, wo man sie gut behandeln oder sogar heilen kann. Man könnte einen Herzinfarkt oder Schlaganfall oft abwenden, einen bösartigen Tumor heilen. Man kann den Patienten richtig helfen, und das ist ihnen vielleicht nicht bewusst. Viele Männer denken: Wenn ich das bekomme, bekomme ich es halt. Das ist falsch.

Dr. Georgios Hatzichristodoulou, Urologie-Chefarzt am Krankenhaus Martha-Maria

Dr. Georgios Hatzichristodoulou, Urologie-Chefarzt am Krankenhaus Martha-Maria © Peter Dörfel, Krankenhaus Martha-Maria Nürnberg

Wenn wir in Ihrem Fachgebiet bleiben: Muss man sich vor der urologischen Untersuchung fürchten?
Zur urologischen Vorsorge gehört die Befragung des Patienten. Dann folgt die Untersuchung von Bauch, Hoden, Penis und Prostata. Dazu muss ich die Prostata einmal mit dem Finger und mit dem Ultraschall durch den Enddarm untersuchen. Das ist eine ganz große Hürde für viele Männer, sie wehren entsetzt ab oder denken zumindest, es würde sehr unangenehm. Ich habe die Erfahrung gemacht, wenn ich das sehr vorsichtig und langsam mache und alles erkläre, entspannen sie sich – und hinterher sagen sie, ach, so schlimm war es gar nicht. Es tut nicht weh, es dauert zwei, drei Minuten, nur einmal im Jahr!

Männer gehen längst zur Geburt mit, kochen und machen Yoga. Ändert sich was in der jüngeren Generation?
Definitiv. Die heute 45-, 50-Jährigen kommen viel häufiger mit ihrer Partnerin zum Urologen und besprechen die Dinge ganz offen. Trotzdem bleiben die Frauen häufig die treibende Kraft. Wenn sie in einem guten Ton mit den Männern sprechen und ihnen die Angst nehmen und sie motivieren, kann das helfen.

Der Nürnberger "Männergesundheitstag" ist wieder von der Bildfläche verschwunden. Anfang des Jahres hat ein Privatsender mit einem bemerkenswerten Format ("Showtime of my life") TV-Promis für Krebsvorsorge bei Männern und bei Frauen werben lassen – aber eben nur ein Mal. Was müsste gesellschaftlich passieren, damit die Prävention vom Fleck kommt?
Es bräuchte mehr Werbekampagnen für die Männervorsorge. Warum schreiben die Krankenkassen ihre Patienten nicht ein Mal im Jahr an? Der "Movember", der das Bewusstsein mit Veranstaltungen wecken will (unter anderem durch Wachsenlassen eines Schnurrbarts, englisch "moustache", im November, daher die Begriffsverschmelzung, Anm. d. Red.), ist eine gute Idee. Aber zum Beispiel in Südeuropa hat er deutlich mehr Gewicht, in Deutschland ist die Aktion ziemlich eingeschlafen.

Sollte die Vorsorge verpflichtend werden?
Das mögen die Menschen nicht. Gerade Männer möchten selbst entscheiden. Aber man könnte sie belohnen, wenn sie ein Mal im Jahr zum Hausarzt oder Urologen gehen. Mit einer Bonuskarte oder Gutscheinen für Spotify oder Ähnlichem.

Sie sind der Chef und könnten Ihr Team doch auch zum Schnurrbarttragen motivieren.
In der aktuellen Corona-Pandemie ist das leider erschwert. Ich kam im Herbst vor zwei Jahren nach Nürnberg. Zuerst war ich noch zu neu, dann kam Corona. Seit ein paar Tagen haben die Krankenhäuser, bedingt durch die Pandemie, wieder große Schwierigkeiten. So eine Schnurrbart-Movember-Aktion passt aktuell nicht.

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