Bluttat in Gebersdorf

Nürnberger Doppelmord: Briefe aus der U-Haft ohne jede Reue

6.12.2021, 19:03 Uhr
Nürnberger Doppelmord:  Briefe aus der U-Haft ohne jede Reue

© Daniel Karmann, dpa

"Korrigiert eure Aussage. All dies ist eine Familiensache. Ich bin nicht der Schuldige. Ich habe nur ausgeführt. Wenn ihr mir Unrecht tut, werdet ihr euer ganzes Leben leiden", so schrieb Ibrahim D. aus der U-Haft an seine Söhne. Er nennt sie "meine beiden Schätze".

Am 21. November 2020 hat er seine Ehefrau Sevda D. (63) und ihren vermeintlichen Geliebten, den Taxifahrer Erkan J. (62), niedergeschossen. Das Verbrechen gibt Ibrahim D. zu - allein über die Gründe für die Schüsse auf offener Straße wurde tagelang verhandelt.

Vermeintlicher Nebenbuhler als Taxifahrer

An jenem Samstagvormittag war Ibrahim D. am Einkaufszentrum Röthenbach in das Taxi des Erkan J. gestiegen und hatte sich in die Bibertstraße im Nürnberger Stadtteil Gebersdorf kutschieren lassen.

Hier wohnte seine Noch-Ehefrau Sevda D. mit ihren zwei gemeinsamen Söhnen. Nun, um 10.47 Uhr, rannte der jüngere Sohn schockiert auf die Straße - gerade hatte er mit seiner Mutter noch beim Frühstück gesessen. Nun lag sie in ihrem eigenen Blut auf dem Asphalt. Getötet, vom eigenen Vater. Erkan J. saß tot hinter dem Steuer, Ibrahim D. hatte auch auf den Taxi-Fahrer gefeuert.

Briefe aus der U-Haft geschmuggelt

Was Ibrahim D. zu der Tat trieb, konnten die beiden Söhne vor wenigen Monaten in zwei langen Briefen nachlesen: Im Mai und September 2021 wurden die langen Schreiben aus der U-Haft geschmuggelt - D. hatte sein Geständnis mit pseudoreligiösen Verweisen ergänzt. Er sei nur der Täter, schuldig sei er nicht, schrieb er.

Bereits zu Prozessbeginn am 29. November 2021 gab der 67-Jährige über seine Anwälte die Bluttat zu. Doch während Staatsanwalt Daniel Hader von einem Doppelmord aus Eifersucht spricht, beschreibt die Verteidigung (Thomas Skapczyk und Michael Löwe) eine Tat im Affekt.

Illusionen über den Verkaufspreis des Taxis gemacht

Ibrahim D. habe den Verdacht gehegt, dass Taxerer Erkan J. die Taxiunternehmerin Sevda D. finanziell über den Tisch ziehen wollte. Aus Altersgründen wollte sich Sevda D. zur Ruhe setzen, ihr Taxi und die Konzession an J. verkaufen, die Hälfte des Erlöses sollte an Ibrahim D. gehen. Doch Ibrahim D., so schilderten Zeugen, wollte nicht wahr haben, dass in Corona-Zeiten auch der Wert einer Taxikonzession sinkt, er habe sich Illusionen über den Verkaufspreis gemacht.

Vor der Tür sei es zu einem Streit gekommen, Ibrahim D. geriet in Rage - und so hörte sich seine Schilderung der Bluttat zu Prozessbeginn schon fast wie ein Unfall an.

Man kann nur ahnen, wie die beiden Söhne von Ibrahim und Sevda D. leiden. Ihr Vater bat sie im Sitzungssaal um Verzeihung - seine Entschuldigung musste in ihren Ohren wie Hohn klingen. Danach übergaben die jungen Männer die Schreiben ihres Vaters.

Untreu war er: Bordell-Besuche und eine weitere Beziehung

Denn in diesen Briefen, die bereits im Mai und im September 2021 aus der U-Haft zu den Söhnen geschmuggelt wurden, zeichnete D. ein ganz anderes Bild. Der Mann mit der Halbglatze und dem dünnen Haarkranz wirft seiner Noch-Ehefrau Sevda D. vor, sie hätte ihn nur ausgenutzt, betrogen und belogen.

Folgt man seiner Logik, gibt es in dieser Tragödie vor allem ein Opfer: Ibrahim D. selbst. Er sei kein schlechter Mensch, er habe nie Alkohol getrunken, sich nicht dem Glückspiel verschrieben oder dem Nachtleben. Er habe seine Frau erst zur Taxi-Unternehmerin gemacht - und nun sei eingetreten, wovor ihn sein eigener Vater bereits gewarnt habe: Die Frau habe ihn auf halber Strecke im Stich gelassen.

Als sie mit Erkan J. auch noch Ehebruch beging, habe er sie und den ehrlosen Nebenbuhler ins Jenseits geschickt. Sein Wunsch sei nur, dass Gott den beiden Söhnen, seinen "lieben Schätzen" eine "gesegnete Frau" zuteil werden lasse. Er sei nur der Täter des Geschehens, nicht aber der Schuldige.

Eifersucht war völlig unberechtigt

Tatsächlich bestätigten mehrere Zeugen, dass seine Eifersucht völlig unberechtigt war. Mehr als Freundschaft gab es zwischen Sevda D. und Erkan J. nicht. Und viel gearbeitet habe vor allem die Frau - Ibrahim D. war zuletzt nur noch als 450-Euro-Kraft tätig.

Von Treue hielt er selbst wenig: Er war bereits - vor der Ehe mit Sevda - in der Türkei eine Bindung mit einer Frau eingegangen, mit ihr hat er vier erwachsene Kinder. Und noch nach der Hochzeit mit Sevda besuchte er die Frau in der Türkei immer wieder. Auch regelmäßige Bordell-Aufenthalte, diese schilderte Ibrahim D. gegenüber Psychiater Michael Wörthmüller, konnte D. mit seinen Moralvorstellungen vereinbaren.

Ibrahim D. litt weder unter Wahnvorstellungen, noch plagten ihn Halluzinationen. Im Gegenteil: Der Psychiater nennt Ibrahim D. geistig gesund und intelligent, Hinweise auf eine Tat im Affekt oder einen Ausnahmezustand sieht der Gutachter nicht.

Tatort-Fotos als Großaufnahme an der Wand

Ibrahim D. habe in Erkan J. einen Nebenbuhler vermutet, er fürchtete finanzielle Nachteile und allein, dass er eine Pistole dabei hatte, belegt, dass sich Ibrahim D. vorbereitet hatte - und an diesem Tag nicht unter einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung litt.

D. verpasste, dies ist durch die Untersuchung von Peter Betz, Professor für Rechtsmedizin, belegt, Sevda D. einen Streifschuss am rechten Ohr. Er tötete sie mit einem Schädeldurchschuss. Und mit seiner Pistole erschoss er auch Erkan J.

Im Schwurgerichtssaal werden die Fotografien des Tatorts im Großformat an die Wand projiziert, Sevda D. liegt auf dem dreckigen Asphalt in ihrem eigenen Blut. Erkan J. sitzt tot in seinem Taxi. Die Söhne verlassen den Saal, zumindest diese Bilder ersparen sie sich.

Am 7. Dezember werden im Strafjustizzentrum die Schlussvorträge gehalten, ein Urteil soll voraussichtlich am Donnerstag gegen 14 Uhr verkündet werden.