Nürnbergs Kliniken kämpfen gegen die Corona-Überlastung

7.12.2020, 16:34 Uhr
Überall in Franken arbeiten Krankenhäuser an der Belastungsgrenze. Dieses Foto zeigt die Intensivstation in Fürth, wo derzeit sieben Corona-Patienten beatmet werden müssen. 

© Hans-Joachim Winckler Überall in Franken arbeiten Krankenhäuser an der Belastungsgrenze. Dieses Foto zeigt die Intensivstation in Fürth, wo derzeit sieben Corona-Patienten beatmet werden müssen. 

An der Prozentzahl der freien Intensivbetten in Nürnberg lässt sich ablesen, wie kritisch die Corona-Situation ist. Im Register der Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, kurz Divi, schimmert das Stadtgebiet dunkelrot. Die großen Kliniken sind an einer Grenze, stellenweise bereits darüber. "Wir haben eine Überlastung des Gesundheitssystems", sagte Ministerpräsident Markus Söder. "In Bayern stirbt alle 20 Minuten ein Mensch an Corona."


Beatmen oder nicht? Wie Ärzte in der Corona-Krise um Leben kämpfen


Deshalb setzen Nord- und Südklinikum seit einigen Tagen auf ein Überlaufsystem, wie es Söder am Sonntag nannte. Konkret heißt das: Intensivpatienten, die in Nürnberg nicht mehr versorgt werden können, werden ins Umland verlegt.

Experten blickten mit Sorge auf das vergangene Wochenende. Erstmals mussten seit Freitag mehr als 4000 Corona-Patienten intensiv betreut werden, gut 60 Prozent von ihnen werden beatmet. In Nürnberg habe man die Akutversorgung im Bereich der zuständigen Leitstelle für den Großraum zwar aufrecht erhalten können, sagt Sabine Stoll, Sprecherin des Klinikums. Aber die Situation sei "nur durch die hohe Solidarität der Krankenhäuser der benachbarten Bereiche so gut zu bewältigen" gewesen. Die Kapazitäten sind knapp, Spielraum gibt es kaum noch.

In Nürnberg werden derzeit 25 Covid-Patienten beatmet

Mehrere Patienten mussten in umliegende Krankenhäuser verlegt werden. Aktuell werden in Nürnbergs Kliniken 174 Covid-Erkrankte stationär behandelt. "Das sind mehr als dreimal so viele wie während der ersten Welle", sagt Stoll. Davon werden 33 Männer und Frauen intensiv versorgt, 25 brauchen eine Beatmung. Ein gewaltiger Kraftakt für Pfleger und Ärzte.

Auch vor dem medizinischen Personal macht Corona nicht Halt, immer wieder erkranken Beschäftigte oder müssen als Kontaktpersonen in Quarantäne. Das reduziert die Zahl der Intensivbetten, die dann zwar vorhanden sind, aber nicht betreut werden können. "Die Versorgung der Patienten steht und fällt damit, dass ausreichend Personal vorhanden ist", sagt Stoll. "Deshalb ist es ganz wichtig, dass sich alle strikt an die Hygieneregeln halten."

Patienten müssen stabil sein

"Es wird in Einzelfällen wahrscheinlich auch in Zukunft nötig werden in weniger belastete Nachbarbereiche - auch außerhalb Mittelfrankens - zu verlegen", sagt Stoll. Voraussetzung sei immer, dass die Betroffenen in einem stabilen Zustand sind - andernfalls sei der Transport ins Umland zu riskant. Nur mit derartigen Maßnahmen könne man die Akutversorgung von Intensivpatienten aufrecht erhalten, sagt Stoll. In allen Krankenhäusern werden zudem Behandlungen und Eingriffe verschoben, bei denen es medizinisch vertretbar ist.

Bislang setzte das Nürnberger Klinikum auf ein Stufenkonzept. Bei Bedarf wurde in der Vergangenheit die Zahl der Intensivbetten sukzessive erhöht, dafür der Betrieb auf anderen Stationen stark eingeschränkt. Doch auch dieses System stößt an Grenzen.

Chef der Krankenhausgesellschaft gegen Weihnachts-Lockerungen

Experten blicken mit Sorge auf die kommenden Wochen. Besonders die geplanten Lockerungen über die Weihnachtsfeiertage geraten zunehmend in die Kritik. "Ich rate aufgrund der aktuellen Lage dringend dazu, diese angekündigten Lockerungen nicht aufrechtzuerhalten", sagte etwa der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, dem Handelsblatt. Die Kliniken stünden an der Schwelle zur Überlastung. "Wir haben heute 40 Prozent mehr Intensivpatienten als im Frühjahr, und anders als im Frühjahr ist dies keine kurzzeitige Situation, sondern schon seit Wochen so, ohne dass wir ein Ende erkennen können."

Auch an anderen Krankenhäusern spitzt sich die Lage zu - etwa in Erlangen, einer der größten Kliniken in Franken. Aktuell werden dort 97 Patienten mit Covid-19 stationär behandelt, 22 von ihnen liegen derzeit auf Intensivstation. Innerhalb von vier Wochen haben sich die schweren Verläufe, die in Erlangen behandelt werden müssen, fast vervierfacht. "Alleine diese Steigerungszahlen innerhalb nur eines Monats verdeutlichen die ungeheure Dynamik des aktuellen Infektionsgeschehens", sagt Uniklinikum-Sprecher Johannes Eissing.

Erlanger Uniklinik: "Blicken mit Sorge auf Weihnachtslockerungen"

"Die Lage ist noch stabil, aber jeder bei uns im Haus weiß, dass diese Stabilität sehr fragil ist." Man sehe den Lockerungen über die Weihnachtsfeiertage "mit extremer Sorge entgegen", so Eissing. "Wir können nur an die Bevölkerung appellieren, direkte soziale Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren."

Auch das Fürther Klinikum rutscht immer wieder in die Überlastung. "Wir müssen hin und wieder mehr Patienten aufnehmen, als geplant", sagt Manfred Wagner, Direktor für den nicht-operativen Bereich. "Die Situation ist weiter angespannt, aber kontrolliert." Auch in Fürth habe man am Wochenende den Akutbetrieb aufrecht erhalten können, "wenn auch mit großer Kraftanstrengung", sagt Wagner. Aktuell werden dort sieben Covid-Patienten auf der Intensiv- und 41 auf Normalstation behandelt.

In Fürth werden, wie überall in Bayern, derzeit planbare Eingriffe verschoben. "Wir würden aktuell keinen unkomplizierten Leistenbruch oder eine nicht akut entzündete Gallenblase operieren", erklärt Wagner. "Tumorpatienten lassen wir in der Regel aber nicht warten - und wenn, dann wird eine OP nur tagesaktuell verschoben."

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