Nützlich und malerisch: die Feuerwache-West

2.3.2021, 13:34 Uhr
Nützlich und malerisch: die Feuerwache-West

© Foto: Boris Leuthold

Erinnern Sie sich noch an die erste Geschichte vom "Räuber Hotzenplotz"? Da sperren Kasperl und Seppel den fiesen Unhold (der so fies gar nicht ist) ins Spritzenhaus ihres Heimatortes. Vielleicht haben Sie sich beim Lesen oder Hören auch vorgestellt, wie dieses Spritzenhaus wohl ausgesehen haben mag. In die magische Welt von Otfried Preußlers Geschichten hätte unsere alte Feuerwache-West jedenfalls wunderbar gepasst, wenngleich sie bei ihrem Bau 1900–1902 freilich auf die Bedürfnisse einer Großstadt von damals rund 268 000 Einwohnern ausgelegt war.

Genauer gesagt war das neue Feuerwehrhaus – in Ergänzung der Wachen am Kornmarkt und am Maxtor – für den Westen und Nordwesten des Stadtgebietes zuständig. Dabei verkürzte die wenige Jahre zuvor eröffnete Johannisbrücke nebenan den Weg der Rettungskräfte in die Ortsteile rechts der Pegnitz ungemein.

Vorlage für Modellbausatz

Baurat Otto Seegy wusste die Bauaufgabe in genialer Weise in eine Form zu gießen, die sowohl dem Bedürfnis seiner Zeit nach modernster technischer Ausstattung als auch nach malerischer, heimatgebundener und repräsentativer Architektur entgegenkam: Die Baugruppe bestand aus einem Hauptgebäude mit Wagenhallen, Verwaltung, Aufenthaltsräumen und einem Turm mit Obergeschossen aus Sichtfachwerk und Schopfwalmdach. Er diente nicht nur zum Aufhängen und Trocknen der Schläuche, sondern auch als städtebauliche Landmarke. Die verputzte, durch Vor- und Rücksprünge, Risalite, Erker, Zwerchhäuser, Schweifgiebel und einen zwiebelbehelmten Dachreiter belebte Kubatur erhielt dezenten Bauschmuck im Nürnberger Stil, der Merkmale der Gotik und Frührenaissance aufgreift. Die Werkstatt und die später erweiterten Pferdeställe, die das Gelände der Wache wie ein Riegel gegen Norden abschirmen, wurden in analogen Formen gestaltet.

Nützlich und malerisch: die Feuerwache-West

© Foto: Hermann Martin (Sammlung Sebastian Gulden)

Wie sehr die äußerlich nur wenig veränderte Wache dem Idealbild eines historischen Feuerwehrhauses entspricht, zeigt auch, dass die Firma Faller sie vor ein paar Jahren als Modellbausatz im Maßstab H0 auf den Markt gebracht hat (Artikelnummer 130337).

Dem malerischen Stil mit Anleihen an die Alt-Nürnberger Architekturtradition blieb die Stadt auch treu, als sie 1904–1906 die neue Hauptfeuerwache und 1910–1912 das Feuerwehrhaus im Stadtosten (Veilhofstraße 32) errichten ließ, ebenfalls nach Plänen von Otto Seegy. Erstere fiel 1964 dem Ausbau des Germanischen Nationalmuseums zum Opfer, Letztere musste nach Bombenschäden im letzten Weltkrieg vereinfacht instandgesetzt werden.

Kultur und Gastronomie

Nützlich und malerisch: die Feuerwache-West

© Foto: Boris Leuthold

1902 gehörte die Wache in der Reutersbrunnenstraße 24 – von der Kavalleriekaserne im Süden und dem Städtischen Waisenhaus im Westen abgesehen – zu den ersten Bauten im Umfeld. Erst um 1908 rückten die städtischen Mietshäuser an das Feuerwehrgrundstück heran, 1910 folgte die Reutersbrunnenschule.

Doch selbst die modernste Feuerwache hat irgendwann ausgedient. Das ist so bei den Dingen unseres Alltages, bei denen der technische Fortschritt von besonderer Bedeutung für Leib und Leben ist. So entstand 2017–2020 an der Maximilianstraße ein hochmoderner Neubau nach Plan des heimischen Büros BSS Architekten, der dank seiner abgerundeten Gebäudeecke, den prägenden Fensterbändern und der Verkleidung aus Klinkerriemchen ebenso wie seine betagte Vorgängerin stadtbildprägende Wirkung entfaltet. Der Beliebtheit des Bauwerkes und dem Denkmalschutz sei Dank wird die alte Wache jedoch bleiben – mit neuen Nutzungen und neuen Nutzern.

Die jüngsten Planungen, die wegen der angespannten Haushaltslage auf Eis liegen, sehen vor, die unter Denkmalschutz stehenden Gebäude künftig für kulturelle und gastronomische Zwecke zu nutzen. Eine Idee, die sowohl dem Stadtteil, seinen Bewohnerinnen und Bewohnern als auch den wertvollen Bauwerken fraglos zum Vorteil gereichen würde, denn sie böte die Chance, die Bauten behutsam und unter weitgehendem Erhalt ihrer wertvollen Substanz für eine neue Phase ihrer Existenz fit zu machen.

Fortbestehen in Würde

Nützlich und malerisch: die Feuerwache-West

© Foto: Boris Leuthold

Wie klug es indes ist, den Paradeblick von der Willstraße gen Osten auf das Hauptgebäude durch zwei (wenngleich niedrige) Flachbauten zu verstellen und die Reihe der Ställe und Garagen an der Nordseite des Areals für Neubauten und Freiflächen zu durchbrechen, um die Parkfläche an der Roonstraße attraktiver zu machen, sei dahingestellt. Letzteres ist zunächst nur ein Vorschlag und Gegenstand weiterer Abstimmung. Der Räuber Hotzenplotz, der insgeheim durchaus einen Sinn für Natur und Ästhetik hatte, würde es gewiss begrüßen, wenn der malerischen Feuerwache an der Bärenschanze ein Fortleben in Würde beschieden wäre.

Liebe NZ-Leser, haben Sie auch noch alte Fotos von Ansichten aus Nürnberg und der Region? Dann schicken Sie sie uns bitte zu. Wir machen ein aktuelles Foto und erzählen die Geschichte dazu. Per Post: Nürnberger Zeitung, Marienstraße 9, 90402 Nürnberg; per E-Mail: nz-themen@pressenetz.de.

Noch viel mehr Artikel des Projekts "Nürnberg – Stadtbild im Wandel" mit spannenden Ansichten der Stadt und Hintergründen finden Sie im Internet unter www.nuernberg-und-so.de/thema/stadtbild-im-wandel oder www.facebook.com/nuernberg.stadtbildimwandel.

Wer mehr über die Geschichte der Nürnberger Feuerwehr erfahren möchte, dem sei das informative und reich bebilderte Buch "Die Geschichte der Nürnberger Feuerwehr" von Josef Klug, selbst Beamter der Berufsfeuerwehr, ans Herz gelegt (sapakejo-Bücher, 2. Auflage 2017). Obschon im Handel derzeit vergriffen, können Sie das Werk in der Stadtbibliothek entleihen. Wir hoffen auf eine baldige Neuauflage!

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