Obdachloser in Müllwagen gekippt: Wie konnte das passieren?

8.12.2017, 16:30 Uhr
Obdachloser in Müllwagen gekippt: Wie konnte das passieren?

© Frank Leonhardt/dpa

In der Nacht ist es lausekalt, der Wetterdienst misst Temperaturen um die null Grad. Ein frierender Obdachloser hält einen Altpapiercontainer für einen geeigneten Schlafplatz und legt sich hinein. Als dann frühmorgens die Müllabfuhr anrückt, nimmt das Drama seinen Lauf: Mitarbeiter leeren den Container - ohne zu wissen, dass darin ein Mensch schläft. Der Mann wird samt Papierunrat ins Innere des Mülllasters gekippt. Als dieser losfährt, hört ein Müllwerker auf dem Trittbrett plötzlich Hilferufe aus dem Laderaum. Sofort lässt er den Lastwagen und das Schubwerk stoppen, das den Papiermüll im Innern zusammenschiebt.

Zunächst finden die Arbeiter niemanden. Erst, nachdem sie Altpapier beiseite geschoben haben, entdecken sie den Mann im Laderaum. Wie ein Sprecher der Polizei am Freitag berichtet, erlitt der 41-Jährige womöglich schwere innere Verletzungen. Er schwebt in Lebensgefahr.

Der tragische Fall wirft ein Schlaglicht auf ein Problem, das sich in Deutschland zusehends verschärft. 2016 waren rund 860.000 Menschen, darunter rund 440.000 anerkannte Flüchtlinge, bundesweit ohne Wohnung - seit 2014 ein Anstieg um rund 150 Prozent, wie die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) erst jüngst mitteilte. Fürs laufende und kommende Jahr rechnet sie mit einem weiteren Zuwachs um 350.000 auf dann rund 1,2 Millionen Menschen.

Es ist eine Entwicklung, die der BAG W-Geschäftsführer Thomas Beck nicht nur mit der Zuwanderung erklärte. Die wesentlichen Ursachen für Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit lägen in einer seit Jahrzehnten verfehlten Wohnungspolitik in Deutschland, in Verbindung mit der unzureichenden Armutsbekämpfung, betonte er kürzlich.

Nürnberg meldet verstärkt Probleme

Auch Nürnberg meldet Probleme mit zunehmender Obdachlosigkeit. Doch müsse keiner im Papiercontainer übernachten, erklärte ein Vertreter des Amts für Existenzsicherung und soziale Integration der Stadt auf Nachfrage. Dafür gebe es im Winter 150 Plätze in Notschlafstellen, die von freien Trägern oder einer städtischen Einrichtung betrieben würden. In diesen Unterkünften liege die Auslastung in der Regel bei rund 90 Prozent, es gebe immer unbelegte Restplätze.

In Nürnberg seien zudem rund 900 Menschen in Pensionen untergebracht, die nach dem Sozialgesetzbuch Anspruch auf Grundsicherung hätten, sagte der Fachmann. "Wenn sich jemand in einen Container legt, macht er das nicht, weil wir ihn nicht unterbringen konnten."

Warum sich der Obdachlose für einen Container als Übernachtungsort entschied - darüber kann der Behördenvertreter nur spekulieren. Es gebe obdachlose Menschen, die womöglich viele Schlafgenossen "auf einem Fleck" nicht ertrügen. Diese zögen dann Schlafplätze unter Brücken oder in Containern Notunterkünften vor, weil sie ihre Ruhe haben wollten. Viele Obdachlose seien zudem drogenabhängig und daher nicht Herr ihrer Sinne, sagte er.

Wo die Menschen letztlich übernachteten, "können wir nicht steuern". In Notschlafstellen würden Betroffene abends aufgenommen, am folgenden Tag gebe es ein Beratungsgespräch mit einem Sozialpädagogen. Dieser kläre die Menschen über weitere Möglichkeiten der Unterbringung auf. Er kenne aber auch viele Betroffene, die "unbedingt ihren Platz unter der Brücke" haben wollten, obwohl "wir gefühlt 100 Mal Angebote gemacht haben".

Der Fall des im Müllwagen gelandeten Obdachlosen sei tragisch. "Aber das kann morgen wieder passieren und übermorgen auch wieder", warnte der Beamte. "Das müsste nicht sein."


Hier geht es zu allen aktuellen Polizeimeldungen.