"Parteiverrat": Hohe Geldstrafe für Nürnberger Anwalt

9.5.2018, 14:26 Uhr

© Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa

Die Misere beginnt im Januar 2017 - damals entpuppte sich Faschingsprinz Oliver I. als Drogenkönig. Mitten in der Faschingszeit kam den Nürnbergern der Narr abhanden: Er hatte mit Komplizen Kokain von Spanien nach Nürnberg geschmuggelt, das Rauschgift wurde in einem argentinischen Steak-Lokal in der Innenstadt verscherbelt. Prinz Koks und zwei weitere Männer, beide kochten in der Gaststätte, kassierten später Haftstrafen zwischen sechs und sieben Jahren.

Zwei Kilogramm Kokain in bester Qualität - normalerweise bedeutet dies über zehn Jahre Haft. Doch die drei Angeklagten packten aus, nannten Hintermänner, Zwischenhändler und Konsumenten. Für sie ging die Rechnung auf, als Kronzeugen erhielten sie Strafrabatt, schließlich verschafft, wer informiert, der Polizei und der Justiz einen Blick hinter die Kulissen des Drogenhandels.

Affäre um den Faschingsprinzen

Es waren aufwendige Ermittlungen, die Staatsanwalt Matthias Held führte. Im Dunstkreis des Steakhauses weitete sich die Affäre immer weiter aus. Später, jedoch zeitlich versetzt, landeten auch zwei Beschuldigte in der Kanzlei des nun angeklagten Rechtsanwalts Hugo M. (Name geändert): Einer der beiden war in dem Steakhaus als Kellner tätig und wurde verdächtigt, Drogengelder in Empfang genommen zu haben; der andere Beschuldigte verkaufte als Zwischenhändler Marihuana weiter.

Zwei Mandanten in einem Verfahren zu vertreten, dies sei, so wirft nun die aktuelle Anklage dem Anwalt vor, "Parteiverrat" - schließlich seien die Interessen des Kellners und des Zwischenhändlers widerstreitend. Parteiverrat ist eine besondere Straftat, sie kann nur von Rechtsanwälten begangen werden. Als reine Interessenvertreter werden sie dafür bezahlt, dass sie für ihre Mandanten das beste Ergebnis herausholen - zu ihren Pflichten gehört, "keine widerstreitenden Interessen zu vertreten". Vereinfacht ausgedrückt: Man kann nicht zwei Herren dienen.

Der potenzielle Interessensgegensatz genügt

Wie leicht sich Anwälte in diesem strafrechtlichen Fallstrick verheddern können, zeigt die Anklage: Demnach lautet die Frage nicht, ob die konkrete Tätigkeit des Anwalts tatsächlich zu einer Beeinträchtigung von Parteiinteressen geführt hat - bereits der potenzielle Interessensgegensatz genügt. Fakt ist: Wie vorher die Hauptverdächtigen, der Faschingsprinz und dessen Komplizen, hätten auch der Kellner und der Zwischenhändler, die nun Rat und Beistand bei Hugo M. suchten, auf ihre "Ganovenehre" pfeifen, Kumpels und Hintermänner verraten und der Justiz helfen können. Auch sie hätten die Chance auf eine mildere Strafe ergreifen oder sich gegenseitig belasten können. Der Haken: Tritt einer von beiden als Kronzeuge auf, scheidet diese Chance für den anderen aus.

Doch Fakt ist auch: Nicht jeder reagiert begeistert auf die Kronzeugenregelung des Betäubungsmittelgesetzes, nicht jeder will andere Insider hinhängen - und manchmal können es Beschuldigte, mangels Wissen, auch gar nicht. So auch hier: Im April 2017 suchte der Kellner Anwalt Hugo M. auf, allein eine Ladung zur Vernehmung in der Hand. Der Verdacht: "Betäubungsmittelverstoß". Dass der Kellner, der seine Unschuld beteuerte, mit dem Steakhaus zu tun hatte - der Anwalt M. konnte dies damals nicht einmal ahnen. Und weil er keine objektiven Hinweise auf ein strafrechtliches Verhalten des Kellners sah, schrieb er im Juli 2017 an die Staatsanwaltschaft und regte an, das Ermittlungsverfahren einzustellen.

Staatsanwalt bot Einstellung an

Die Staatsanwaltschaft ermittelte nicht weiter. Doch erst im Februar 2018 war man auch bei der Strafverfolgungsbehörde überzeugt, dass die Ergebnisse der Ermittlungen gegen den Kellner nicht reichen. Anklage wurde nicht erhoben, das Verfahren wurde eingestellt. Dazu kommt: Der Zwischenhändler wurde, im Rahmen einer Verständigung, verurteilt. Hier rückte die Staatsanwaltschaft klar von dem Vorwurf ab, dass Kellner und Zwischenhändler gemeinsam agiert haben. Schon deshalb, so die Strafverteidiger Benjamin Schmidt und Jan Böckemühl, sie vertreten den angeklagten Anwalt, könne von einer Interessenskollision keine Rede sein, ein Parteiverrat sei nicht gegeben. Sie fordern Freispruch.

Die Rechte der Beschuldigten 

Das Angebot der Staatsanwaltschaft, das Verfahren gegen eine Geldauflage im fünfstelligen Bereich einzustellen, lehnen sie ab. Eine Verfahrenseinstellung nach 153 a Strafprozessordnung bedeutet nämlich immer auch, dass an den Vorwürfen etwas dran ist und offen ist, was dies standesrechtlich für den Anwalt vor dem Anwaltsgericht bedeutet. Dazu kommt: Hugo M. kämpft seit Jahrzehnten für die Rechte von Beschuldigten.

Er schaut dem Polizeiapparat auf die Finger, sucht Risse in der glatten Beweisführung der Strafverfolgungsbehörde, dabei poltert und provoziert er häufig. Und nun, da er sich zu Unrecht beschuldigt fühlt, kriegt er das bittere Gefühl nicht los, die Staatsanwaltschaft wolle ihn, den unbequemen Strafverteidiger, mit diesem Verfahren disziplinieren.

Obendrein habe die Justiz seine mutmaßliche Straftat ja erst erzeugt: Der beschuldigte Kellner war bereits Mandant bei ihm, als im Juni der beschuldigte Zwischenhändler vor dem Ermittlungsrichter stand - und Hugo M. von der Justiz als dessen Pflichtverteidiger bestellt wurde. Von möglichen entgegenstehenden Interessen der beiden Männer konnte der Anwalt nichts ahnen, weder die Kripo noch der Ermittlungsrichter hatten das Problemfeld gesehen. "Aber der Anwalt soll es dann schmecken", kommentiert Hugo M. Allerdings: Staatsanwalt Matthias Held schrieb dem Anwalt im Juli 2017 und wies ihn auf das Verbot der Mehrfachverteidigung hin.

"Absurde" Vorwürfe

Jura sei eben, so Verteidiger Jan Böckemühl, "Rede und Gegenrede" und nicht "nur Diktat der Justiz". Hugo M. reagierte schriftlich auf den Hinweis - widerstrebende Interessen sah er nicht, zudem regte er damals die Einstellung des Verfahrens gegen den Kellner an. Pikant aus Sicht der Verteidigung: Die Staatsanwaltschaft folgte dieser Anregung Monate später - und zwar exakt einen Tag, nachdem das Amtsgericht die Anklage gegen Hugo M. zugelassen hatte. Er werde dafür bestraft, dass er ein gutes halbes Jahr vor der Staatsanwaltschaft den Sachverhalt richtig eingeordnet habe, meint Hugo M., die Vorwürfe nennt er "absurd".

Das Paket, das auf ihm lastet, wiegt schwer - weil es voller Zorn steckt. Um Missverständnisse zu vermeiden: Weder ist die Zulassung des renommierten Rechtsanwalts bedroht, noch vermag das Urteil von Amtsrichterin Helga Kastner seinen Ruf zu erschüttern. Er bewertet die Rechtslage gänzlich anders. Als Rechtsanwalt sei er ein unabhängiges Organ der Rechtspflege. Deshalb sei es nicht einzusehen, dass er die Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft, die er für falsch hält, einfach übernehmen solle. Rechtskräftig ist das Urteil noch nicht.