Polizeieinsatz am Weißen Turm: Betroffene werfen Beamten Rassismus vor

12.9.2020, 05:08 Uhr
Ein Video des Einsatzes, hier ein Screenshot, zeigt Betroffene und Beamte auf der Straße im Betzengäßchen. 

© Screenshot Maria Segat Ein Video des Einsatzes, hier ein Screenshot, zeigt Betroffene und Beamte auf der Straße im Betzengäßchen. 

Was ist in einer warmen Augustnacht vor gut zwei Wochen im Betzengäßchen in der Nürnberger Innenstadt passiert? Auf diese Frage gibt es, je nach dem wen man fragt, verschiedene Antworten. Hat die Polizei eine eskalierende Party aufgelöst? Oder haben sich Beamte rassistisch verhalten, indem sie auf eine Ruhestörung mit übertriebener Härte reagiert haben?

Letztlich geht es nicht um die Frage, ob in der Gemeinschaftsküche eines Studentenwohnheims Musik lief oder nicht, wie viele Leute da waren oder wie laut die vermeintliche Party war. Es geht darum, dass nach einem Polizeieinsatz in Nürnberg mehrere schwarze Menschen sagen: "Hätten wir weiße Haut, wäre das so nicht passiert."

"Wir wollten keinen Ärger"

Die Studenten, die sich an jenem Abend in dem Wohnheim getroffen haben, berichten von einem gemütlichen Treffen unter Freunden, die nach einem Fußballspiel gemeinsam etwas getrunken haben. Am späten Abend habe die Polizei geklingelt und gesagt, es sei zu laut. Dass man im Fall einer Ruhestörung eigentlich zunächst ermahnt wird, leiser zu sein, und nicht gleich nach Hause gehen muss, das wissen die jungen Männer.

"Aber wir wollten keinen Ärger", sagt einer von ihnen. Also hätten sie beschlossen, ihr Treffen aufzulösen. Trotzdem habe einer der Beamten sofort aggressiv und abfällig mit ihnen gesprochen. "Er hat gesagt, wir sollen schneller gehen und hat uns mit dem Schlagstock bedroht", so einer der Zeugen. "Er hat mit uns geredet, als ob wir keine Menschen wären."

"Weiß bis heute nicht, was mir vorgeworfen wird"

Die fünf Studenten, die sich zum Gespräch mit den Nürnberger Nachrichten bereit erklärt haben, möchten anonym bleiben. Sie alle kommen aus Kamerun - sie sind junge, schwarze Männer. Einige von ihnen wohnen in dem Studentenwohnheim auf dem Palmenhof-Gelände, andere waren an jenem Abend zu Gast.

Bei einer Personenkontrolle vor dem Haus seien sie von Polizisten geschubst worden, berichten die Männer. Sie hätten trotz mehrfacher Nachfragen keinerlei Auskunft darüber bekommen, was sie falsch gemacht hätten - selbst dann nicht, als zwei von ihnen in Gewahrsam genommen wurden. Erst nach mehreren Stunden auf der Wache habe man ihn gehen lassen, sagt einer von ihnen. "Ich weiß bis heute nicht, was mir vorgeworfen wird."

Gäste seien "hoch aggressiv" gewesen

Die Nürnberger Polizei dagegen schildert einen völlig anderen Einsatz: Die Polizisten hätten eine "lautstarke Party" auflösen wollen, deren Gäste darauf "sofort hoch aggressiv" reagiert und die Beamten "umringt und bedrängt" hätten. Da sich die Situation nicht habe beruhigen lassen, seien mehrfach Unterstützungskräfte angefordert worden, bis "ein Großaufgebot der Nürnberger Polizei" vor Ort gewesen sei.

Erst dann habe vor dem Haus eine Personenkontrolle stattfinden können, woraufhin mehrere Platzverweise erteilt worden seien. "Bei der Durchsetzung des Platzverweises wurden mehrere Personen, die sich weigerten, die Örtlichkeit zu verlassen, durch die Beamten weggedrängt", heißt es in einer Stellungnahme der Polizei. Zwei Personen seien "aufgrund ihres Verhaltens in Unterbindungsgewahrsam genommen" worden. Dass man die Männer nicht über die Maßnahmen aufgeklärt habe, bestreitet ein Sprecher der Nürnberger Polizei mit Verweis darauf, dass dies "grundsätzlich unverzüglich" passiere.

Videos zeigen den Einsatz

Auf einem Video, das der Redaktion vorliegt, ist zu sehen, wie die Männer - die Fußballtaschen schon auf dem Rücken, die Gläser noch in der Hand - im Flur des Wohnheims mit zwei Polizeibeamten sprechen. Zu hören ist ein lautes Stimmengewirr auf Deutsch und Französisch. Die Situation wirkt angespannt. Die Beamten sind in der Unterzahl, aber sie sind keinesfalls umringt. Einer der Polizisten hält einen Schlagstock in der Hand, der andere nicht. "Raus, wir gehen raus", sagt einer der Studenten, bevor die Aufnahme abbricht.

Ein weiteres Video zeigt, wie die Männer vor dem Haus in einem Lichtkegel stehen, ihnen gegenüber zahlreiche Beamte, um sie herum etwa zehn Einsatzfahrzeuge der Polizei. Über die massive Polizeipräsenz wunderten sich auch Nachbarinnen, die sich nach der ersten Berichterstattung über den Einsatz bei der Redaktion als Augenzeuginnen meldeten. Gizem Fesli und Anna Altman, die beide ebenfalls im Studentenwohnheim leben, hatten sich durch das Beisammensein ihrer Nachbarn zuvor nicht gestört gefühlt. "Ich habe gar nichts davon mitbekommen, bis die Polizei kam", so Altman.

Sehr angespannte Situation

Gizem Fesli, die sich im Kreisvorstand Nürnberg-Fürth der Partei Die Linke engagiert, hat das Geschehen von einem Fenster im 4. Stock beobachtet. Sie beschreibt: "Die Beamten riefen 'Jetzt sofort Ausweise her' in einem sehr lauten und aggressiven Ton, was nicht notwendig war, da die Betroffenen an die Wand gedrängt da standen".

Die Situation sei insgesamt sehr angespannt gewesen. "Selbst ich als Außenstehende habe Angst bekommen, weil die Polizei in so einem unverhältnismäßigen Aufzug angefahren kam und auf aggressivste Weise aufgetreten ist - und das, obwohl ich noch nicht mal involviert war."


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