Pop-up-Radweg in Nürnberg kommt schlecht an

1.9.2020, 05:41 Uhr
Im Umfeld des U-Bahnhofs Sündersbühl gibt es auch Schutzmarkierungen.

© Jo Seuß, NN Im Umfeld des U-Bahnhofs Sündersbühl gibt es auch Schutzmarkierungen.

Die gelben Fahrräder sind nicht zu übersehen. Seit Anfang Juli zieren sie, verbunden mit dicken gelben Streifen, den Asphalt beiderseits der Rothenburger Straße auf einer Länge von über einem Kilometer zwischen Wrede- und Bertha-von-Suttner-Straße. Der bis zu vier Meter breite Radstreifen ist ein Novum in Nürnberg, das Pop-up-Radweg heißt.

Dahinter steckt ein Verkehrsversuch, der aktuell in ganz Deutschland Schule macht, um das Radfahren attraktiver zu machen. Wer nach knapp zwei Monaten aber das Pilotprojekt unter die Lupe nimmt, reibt sich die Augen: Die Zahl der Radfahrenden ist übersichtlich, mittags sind an einem sonnigen Werktag in 30 Minuten 20 Radler unterwegs – insgesamt in beiden Richtungen.

Eine davon ist Angelika Nagler (66) aus Kleinreuth, die schon vor der Pop-up-Radweg-Testphase hier geradelt ist. Wie alle Befragten begrüßt sie den verbreiterten Streifen, weil mehr Platz mehr Sicherheit bedeute; aber die verbliebene Radweglücke in stadteinwärtiger an der Kreuzung zur Von-der-Tann-Straße sei gefährlich und problematisch. Deshalb favorisiert sie weiter die Route durch den Westpark und das Wohnviertel, sofern sie nicht den U-Bahnhof Sündersbühl ansteuert.

Tägliche Nutzer der breiten Spur sind Gerüstbauer Torben Martineit (43) und Rentner Michael Müller (77). Beide haben aber schon schimpfende und hupende Autofahrer erlebt, weil die gekappte Fahrspur für Staus sorgt. Zwischen 16 und 18 Uhr beobachtet Anwohnerin Claudia Kutsch (56) regelmäßig Autokolonnen, während der Radweg „so gut wie leer“ sei. Da ängstliche Radler derweil auf den Gehsteig ausweichen, sagt die Podologin zum Pilotversuch: „Ein wirkliche Hilfe ist das nicht.“

Mehrere Radler wie Dominik S. (23) und Ursula Hubitza (68) halten wegen der geringen Nachfrage die zuvor schon vorhandene schmale Radspur für ausreichend. Anders sieht das ein 35-jähriger Polizist, der anonym bleiben will. Die breite Spur sei „eine wesentliche Verbesserung“. Kritisch sieht er aber, dass wiederholt Autofahrer illegal stadtauswärts auf die hier mit Schutzstreifen versehene Pop-up-Radspur wechseln.

Diesen Missstand bestätigt Polizeisprecherin Elke Schönwald ebenso wie „erheblichen Stauungen zu den Hauptverkehrszeiten“. Fahrzeuge würden „stadteinwärts teilweise ab der Elsa-Brändström-Straße auf der Radspur fahren oder sich ab der VAG-Haltestelle auf dem Radweg zum Rechtsabbiegen anstellen“, was viele andere Verkehrsteilnehmer behindere. Laut Polizei ist auf der Strecke allerdings „ein relativ geringer Radfahreranteil festzustellen. Unfälle aufgrund des Radwegs habe es bisher aber nicht gegeben, so Schönwald.

Im Rathaus weiß Bürgermeister Christian Vogel nach Gesprächen und Beobachtungen vor Ort von der bisher geringe Resonanz auf das neue Radangebot: Augenscheinlich werde es „nicht so stark angenommen wie erwartet oder vielleicht erhofft“. Das Thema Pkw-Staus sieht Vogel aber nicht so dramatisch, er hat nur von „zähfließenden Verkehr“ gehört, was mit der Ferienzeit zusammenhänge. Eine Missachtung des Radwegs durch Pkw ist in der Verwaltung noch nicht bekannt; Vogel macht aber klar, dass solche Vergehen bestraft werden, wenn jemand von der Polizei erwischt wird.

Nachbesserungen seitens der Stadt soll es laut Vogel aber bis zum Ende des Verkehrsversuchs am 31.Oktober nicht geben. „Die aktuellen Einschätzungen und Bewertungen werden in die anstehende Planungen für einen dauerhaften Radweg einfließen.“ Seitens der Stadt sind noch zu verschiedenen Zeiten Verkehrszählungen geplant.

Fahrradverbände wie der ADFC sehen den Pop-up-Radweg in der Rothenburger Straße kritisch, weil es über die Leyher Straße oder den Pegnitztalweg schon gute Ost-West-Verbindungen gebe. Breitere Radwege und Lückenschlüsse entlang der Bayreuther und die Fürther Straße werden für wichtiger gehalten. Verkehrsexperte Thiemo Graf hält Einzelmaßnahmen grundsätzlich für „wenig erfolgversprechend“. Vielmehr müssten „schnell ganze, zusammenhängende Netze geschaffen werden, damit Menschen umsteigen“. Als positives Beispiel nennt er Berlin, wo auch sicher Aufstellstreifen an Kreuzungen geschaffen wurden.

Als ein guter Ansatzpunkt für weitere Pop-up-Radwege gilt das 700 Meter lange Pilotprojekt in Fürth entlang der Gebhardtstraße kurz vor der Stadtgrenze. Nürnberg könnte in der Fürther Straße im Herbst daran anknüpfen.

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