Schulprojekt

Projekt IceBreaker: Mit Filmclips gegen die Depression

10.6.2021, 11:30 Uhr
In sechs Szenen zeigen die Schülerinnen, wie eine Depression bei Jugendlichen aussehen kann, hier mit Lina Weckert und Alexandra Marquardt.

© Eduard Weigert, NNZ In sechs Szenen zeigen die Schülerinnen, wie eine Depression bei Jugendlichen aussehen kann, hier mit Lina Weckert und Alexandra Marquardt.

Lisa und Anna sind müde. Sie sind bedrückt und unkonzentriert, sie streiten mit der Familie und kämpfen mit ihren schulischen Leistungen. Doch während sich die eine mit der Pubertät herumschlägt, ist die andere an einer schweren Depression erkrankt und verzweifelt unbemerkt.

Leistungsdruck und psychische Verletzlichkeit

Lisa und Anna sind keine realen Personen. Sie sind die Protagonistinnen des Filmprojekts IceBreaker. In ganz Mittelfranken wollen dabei Jugendliche in möglichst niederschwelliger und interaktiver Weise Gleichaltrige über das Thema Depression aufklären. "Wir merken auch bei uns am Gymnasium, dass Leistungsdruck und psychische Verletzlichkeit bei den Schülern eine große Rolle spielen", berichtet Harald Behnisch, Direktor des Städtischen Labenwolf Gymnasiums in Nürnberg.

Dort haben in den Pfingstferien die Dreharbeiten für die kurzen Filmclips stattgefunden, die anschließend in den Nürnberger Schulen gezeigt werden sollen. Tatkräftige Unterstützung kam dafür vom Staatstheater Nürnberg. In insgesamt sechs Alltagsszenen lernen die Filmzuschauer, wie langsam und unbemerkt sich psychische Erkrankungen einschleichen, die gerade bei Jugendlichen anfangs nicht anders wirken als eine pubertäre Stimmungsschwankung.

Nach jeder Szene wird unterbrochen, und das Publikum versucht gemeinsam in der Rolle einer Ärztekonferenz, das Verhalten der beiden Protagonistinnen zu deuten, und zu erkennen, welche von ihnen Hilfe braucht.


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"Mir ist bei dem Projekt noch viel klarer geworden, dass Depression nicht nur Trauer ist, sondern eben auch Hoffnungslosigkeit oder Leere", erzählt Begonya Yilmaz. Sie ist eine der sechs schauspielbegeisterten Schülerinnen zwischen 14 und 17, die eine Woche lang mit viel Engagement beim Dreh dabei waren.

Normalerweise wären sie in Form eines Theaterstücks direkt vor ihren Mitschülern aufgetreten - eine noch intensivere Erfahrung, wie alle Beteiligten beschreiben - doch Corona machte das unmöglich. Und so musste Jean-Francois Drožak, der das Projekt IceBreaker seit 2017 organisiert, umdenken, um seinem Präventionsauftrag gerecht zu werden.

Das hat aber nicht nur Nachteile. "Ich finde es super, dass es nun ein Filmformat ist, weil man damit noch viel mehr Schulen und Klassen erreichen kann", meint beispielsweise Richard Erlbacher von der Präventiven Kinder- und Jugendhilfe der Stadt Nürnberg, der das Projekt mit unterstützt.

Am Labenwolf sollen die Filme beispielsweise allen 7. bis 10. Klassen gezeigt werden. Vorher werden die beteiligten Lehrkräfte von der Schulpsychologin geschult, damit sie hinterher bereit sind, mit ihren Schülern über das Thema Depression zu sprechen.


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Genau deshalb ist es auch Jean-Francois Drožak so wichtig, dass das Projekt schon ab Mitte Juni stattfinden kann, damit vor den Sommerferien genug Zeit bleibt, um zu reagieren: "Wenn die Schüler wieder an den Schulen sind, müssen wir gleich einen Weg finden, denen Hilfe zu geben, die sie brauchen."

Ein großes Team war am Projekt IceBreaker beteiligt: Schülerinnen Ellora Braun, Alexandra Marquardt, Paula Horn, Lina Weckert, Begonya Yilmaz, Rebecca Abebe (v.l.n.r.), Organisator Jean-Francois Drožak, Richard Erlbacher vom Jugendamt Nürnberg, Horst Leitner von der AOK Mittelfranken und Harald Behnisch, Direktor des Labenwolf Gymnasiums.

Ein großes Team war am Projekt IceBreaker beteiligt: Schülerinnen Ellora Braun, Alexandra Marquardt, Paula Horn, Lina Weckert, Begonya Yilmaz, Rebecca Abebe (v.l.n.r.), Organisator Jean-Francois Drožak, Richard Erlbacher vom Jugendamt Nürnberg, Horst Leitner von der AOK Mittelfranken und Harald Behnisch, Direktor des Labenwolf Gymnasiums. © Eduard Weigert, NNZ

Ein weiterer Grund ist Corona. "Die Pandemie hat massiv auf das Leben der Jugendlichen eingewirkt, und das wird bei manchen Einfluss auf die psychische Gesundheit haben", weiß Horst Leitner, Direktor der AOK Mittelfranken, die das Projekt fördert. Bis zu 20 Prozent der Unter-18-Jährigen in Deutschland zeigen der AOK zufolge ein erhöhtes Risiko für psychische Auffälligkeiten. Der lange Lockdown habe dieses Problem noch verstärkt. "Ich finde es wichtig, dass wir das Projekt gerade jetzt gemacht haben", betont auch Schülerin Ellora Braun, "weil man im Lockdown oft mit seinen Gedanken allein ist, Isolation ist Alltag."

Depression entstigmatisieren

Der Filmdreh hat allen sechs Schülerinnen sichtlich Spaß gemacht. Dabei erhielten sie erst vor Ort ihren Text und durften dann direkt loslegen. Zwei Tage lang haben sie die Szenen immer wieder gespielt, bis sie ihre Stichworte kannten und die Rollen ganz authentisch füllen konnten. "Jedes Mal, wenn wir gespielt haben, kam ein bisschen was anderes raus", erzählt Ellora.


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Am dritten Drehtag wurden dann die Aufnahmen gemacht. Ein bisschen seltsam sei es schon, wenn die Filme dann allen gezeigt werden, gerade wenn es die eigenen Klassenkameraden sind, meinen die Mädchen, aber gelohnt habe es sich in jedem Fall. Es sei einfach wichtig, dass Mitschüler über Depression Bescheid wüssten, findet Rebecca Abebe, damit sie nicht noch zusätzlich zu ihrem Leiden Kommentare erdulden müssten oder "zum Opfer von Mobbing werden".

Die Schülerinnen hoffen, dass sie mit ihrem Engagement dazu beitragen können, die Krankheit Depression zu entstigmatisieren. Es sei wichtig, dass offener darüber gesprochen werde, meint Alexandra Marquardt. Sie wünscht sich, "dass jeder aufmerksamer wird und bei den Menschen um sich Anzeichen von Depression erkennt".

Gleichzeitig geht es auch darum, Erkrankten einen Weg zu zeigen. "Betroffene sollen wissen, es ist ok wie es ihnen geht", sagt Paula Horn. "Und dass es nicht ihre Schuld ist", ergänzt Lina Weckert. Dies ist auch Richard Erlbacher vom Jugendamt wichtig: "Jugendliche müssen immer wissen, dass es Leute gibt, mit denen sie reden können."

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