Quelle der Jugend, Wonneborn, Wasser des Lebens

7.4.2010, 00:00 Uhr

So seufzt der Dichter im Vorspiel zu Goethes »Faust». Bei Goethe verjüngt sich Faust durch einen Zaubertrank. Ein paar hundert Jahre davor, anno 1546, hatte Lucas Cranach der Ältere den »Jungbrunnen» gemalt. Von links humpeln Greise und alte Muttchen an Krücken heran. Mit letzter Kraft lassen sie sich in ein Becken fallen. O Wunder! Schon plantschen Jünglinge und Maiden im Wasser, entsteigen in ranker, faltenloser Wohlgestalt dem Bade, um an reichgedeckten Tafeln mit allen Zähnen im Munde zu speisen, oder sich in Zelte zurückzuziehen. Was darin wohl vor sich gehen mag?

Eines hat Lucas Cranach, damals bereits 74 Jahre alt, mit Bedacht ausgelassen: die Arbeit! Keiner seiner verjüngten Männer stellt sich wieder hinter den Pflug, kein Mädel hockt sich hinters Spinnrad. Ab sofort wird nur noch dem Vergnügen gefrönt.

Sukanya, du schöne Maid, geh’n wir schwimmen hier zu zweit?

Die älteste Quelle zum Jungbrunnen sprudelt in den Veden, der Mythologie der Hindus. In der jahrtausendealten Legende vom »Teich der Jugend» lebt die blühende Königstochter Sukanya mit dem vertrockneten Gelehrten Cyravana zusammen. Da begegnen ihnen zwei Halbgötter in ewiger Jugend und verführen Sukanya: »O Sukanya, schöne Maid! Wie kannst du bei diesem Alten von gespenstischer Gestalt liegen? Komm zu uns beiden!» Sukanya aber widersteht und bleibt ihrem Alten treu. Derart gerührt, gewähren die Götter einen Wunsch. Cyravana will so jung sein wie seine Frau. Da führen die Halbgötter den Greis zum Teich der Jugend, dem er göttlich schön und jung entsteigt.

Doch Vorsicht, solche Tauchbäder können auch böse ausgehen! Die beschlagenste Kräuterhexe der hellenischen Mythologie ist Medea, die Königstochter der Kolcher, die mit Iason und seinen Argonauten durchbrennt und das Goldene Vlies stibitzt. Endlich gelangen sie daheim an, und was ist da los? Der alte König Peleus hat Iasons Eltern umgebracht und den Palast besetzt. Da bietet Medea Peleus die ewige Jugend an. Hierzu schlachtet sie einen alten Widder, zerteilt ihn in 13 Teile, wirft diese in einen Topf und gibt Hexenkräuter dazu – schon springt ein Böcklein aus dem Kessel. Peleus‘ Töchter greifen darob zum Messer, zerstückeln ihren Vater und werfen ihn in den Kessel. Das Ergebnis? Metzelsuppe.

Natürlich plätschert der Jungbrunnen nicht um die Ecke, sondern am Ende der Welt. Für alte Leute ein guter Grund, aufzubrechen und den Jüngeren Platz zu machen. So verorteten die Hellenen hoch im Norden bei den Hyperboräern ein Volk, dass tausend Jahre lang lebe und sich schließlich vor Langeweile von den Klippen stürze. Das haben die wohl mit den Lemmingen verwechselt.

Einer, der ganz weit übers Meer schipperte, war der spanische Conquistador Juan Ponce de Leon. Die Indianer erzählten ihm von einer »Quelle der Jugend», die auf der Insel Bimini sprudele. De Leon erforschte anno 1513 ganz Florida, welches er für besagte Insel hielt. Als der Conquistador acht Jahre später nochmal dort anlegte, ereilte ihn der Tod durch einen Giftpfeil.

Ironie des Schicksals: Die Insel Bimini gibt es tatsächlich, nämlich bei den Bahamas. Und gleich zweimal. Während sich auf der Nordinsel die Sportfischer tummeln, blubbert in den Mangrovenwäldern der Südinsel das »Heilende Loch». Dies ist ein Tümpel, der mit anderen Tümpeln durch ein Tunnelsystem in Verbindung steht. Im Wechsel von Ebbe und Flut fließt Süßwasser aus den umliegenden Teichen in das heilende Loch, und mit ihm Lithium und Schwefel. Damit ist das heilende Loch ein Heilbad.

Und damit dürften wir beim wahren Kern der Legende angelangt sein: Jungbrunnen sind Mineralquellen, die neben der medizinischen Wirkung auch neue Lebenskraft suggerieren. Welcher Kranke hat nach einer Kur nicht das Gefühl, verjüngt durchs Leben zu hupfen? Dass die Zuhörer an den Lagerfeuern solche Erzählungen für bare Münze nahmen, konnte den Siedlern an der Heilquelle nur recht und billig sein.

Shangri-La im Himalaya oder ewiges Exil am Nil

Und dann gibt es das Märchen von Shangri-La: Im tiefsten Himalaya, umstellt von unbezwingbaren Bergen, befindet sich ein Tal mit mildem Klima, reiner Luft und klarstem Quellwasser. Die Bewohner, geleitet von Mönchen und Nonnen, leben in Frieden und erreichen ein Alter von 250 Jahren. Doch es ist nicht das Klima, das jung hält, sondern ein Zauber, der über dem Ort weilt. Denn wer die Grenze überschreitet, altert binnen Stunden und verwelkt zur Mumie. Somit ist Shangri-La ein Ort, an dem die biologische Uhr äußerst langsam tickt – und gleichzeitig ein goldener Käfig der Jugend.

Allerdings beruht Shangri-La nicht auf einer Legende, sondern auf »Lost Horizon» (Irgendwo in Tibet), dem Fantasy-Roman des Schriftstellers James Hilton aus dem Jahr 1933. Hilton wiederum hat von Henry Rider Haggards »Herrscherin der Wüste» (1887) abgekupfert, der die Oase ewiger Jugend in der Wüste Ägyptens ansiedelt. Hier wie dort übertritt eine Frau die Grenze und welkt dahin. Zitat aus »Herrscherin der Wüste»: »Sie, vor zwei Minuten noch das schönste, edelste, herrlichste Weib, das je die Welt gesehen, sie lag regungslos vor uns, neben sich die Lockenpracht ihres eigenen dunklen Haares, nicht größer als ein Affe und hässlich – ach, so hässlich, dass es sich nicht schildern lässt!»

Die schönste Blume zerbröselt zur Krume

Da haben wir die Kehrseite: Hier wie dort sind »Raum der Jugend» und Welt nicht miteinander vereinbar. Oder: Teilnahme an der Welt bedeutet Aufreiben und Altern, ewige Jugend hingegen Abgeschiedenheit, Treibhausklima und Stumpfsinn. Das Verwelken der begehrenswerten Frau darf man getrost als Rachefantasie interpretieren, als heimliches Einverständnis zwischen abgeblitztem Schriftsteller und spätpubertierendem Leser: »Wenn ich sie schon nicht kriege, soll sie kein anderer haben!» bzw. »Was wollt ihr denn? Alt und hässlich werden sie am Ende ja doch alle!»

Die Verfilmung »In den Fesseln von Shangri-La» (1937) unter der Regie von Frank Capra war in den USA ein ungeheurer Kassenerfolg, denn die Amerikaner sehnten sich in der Zeit zwischen Depression und Zweitem Weltkrieg nach nichts mehr denn nach einer Welt voll Frieden, Freude und Eierkuchen. Damit ging Shangri-La in die Populärkultur ein.

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