Rassistisch und frauenfeindlich? Stadt geht bei Straßen-Benennung neue Wege

28.12.2019, 06:00 Uhr
Rassistisch und frauenfeindlich? Stadt geht bei Straßen-Benennung neue Wege

© Foto: Christine Dierenbach/Stadt Nürnberg

"Der Stadtverwaltung und dem Stadtrat ist bewusst, dass zu wenig Straßen in Nürnberg nach Frauen benannt sind", räumt Wirtschaftsreferent Michael Fraas ein. Zum Amtsbereich von Fraas gehört das Amt für Geoinformation, das für die Straßenbenennungen zuständig ist. Auch wenn es nur eine Absichtserklärung der Mitglieder des Verkehrsausschusses in seiner Sitzung vom Oktober gibt, so werden künftig mehr Straßen nach Frauen benannt werden, darin sind sich die Fraktionen einig.

Seit Oktober erfolgten 14 Straßenbenennungen, davon elf nach Personen und hiervon wiederum sieben nach Frauen. Zuletzt wurde ein Weg in dem neu entstehenden Wohngebiet im Tafel-Areal nach Gertrud Krüger, die 1996 gestorben ist, benannt. Krüger arbeitete als Schuhfacharbeiterin und war eine engagierte Betriebsrätin. Sie war Mitglied des Landesfrauenausschusses des DGB und trat 1926 in die SPD ein. Von 1950 bis 1966 vertrat sie als direkt gewählte Kandidatin einen Nürnberger Stimmkreis im Landtag.


Wie rassistisch sind Nürnbergs Straßennamen?


Laut Fraas werden die künftigen Straßen in dem Wohnungsneubaugebiet im nördlichen Teil des ehemaligen Südbahnhofs an der Brunecker Straße nach Persönlichkeiten aus dem Widerstand gegen das NS-Regime benannt, Frauen wie Männer. Für die Auswahl der Namen soll das Frauenbüro Vorschläge machen. Die Straßen auf dem künftigen Gelände der geplanten Technischen Universität Nürnberg, also im südlichen Teil des ehemaligen Südbahnhofs, werden ausschließlich nach Wissenschaftlerinnen benannt. Die im Tiefen Feld entstehenden Straßen sollen nach Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der Astronomie benannt werden. "Ursprünglich war angedacht, dass diese Personen regionalen Bezug haben müssen. Darauf verzichten wir nun, gerade damit mehr Frauen in Betracht kommen", so Fraas.

Um aus dem Dilemma herauszukommen, Straßen umzubenennen, weil sie einen umstrittenen Namen tragen, und weil eine Umbenennung bei den Anliegern nicht auf Zustimmung stößt, hat sich die Stadt grundsätzlich zu einem neuen Vorgehen entschieden. Unter dem Straßenschild der Stehrstraße in Fischbach hängt ein weiteres Schild mit folgendem Text: "Der niederschlesische Schriftsteller Hermann Stehr (1864–1940) ließ sich vom nationalsozialistischen Regime freudig vereinnahmen. Er unterstützte fortan auf der Basis einer völkischen und antisemitischen Haltung nachdrücklich die NS-Diktatur durch sein Handeln und sein schriftstellerisches Wirken."

Vor der Eingemeindung Fischbachs nach Nürnberg hieß die Straße ursprünglich Fischergasse. Im Zuge der Eingemeindung wurde sie 1973 in Stehrstraße umbenannt, um Verwechslungen mit der Peter Vischer–Straße zu vermeiden.

Aufgrund der Rolle Stehrs in der NS-Zeit regten erstmals 2015 Mitglieder des Bürgervereins Südost an, die Straße erneut umzubenennen. Dem folgte eine grundsätzliche Diskussion in der Stadtverwaltung und im – heute für Straßenbenennungen zuständigen – Verkehrsausschuss des Stadtrats über den Umgang mit historisch belasteten Straßennamen.

Wirtschaftsreferent Fraas machte folgenden Vorschlag für das weitere Vorgehen, der auch eine Mehrheit fand: "Eine Umbenennung sollte insbesondere dann erfolgen, wenn eine – aus heutiger Sicht wie unter Einbeziehung der Zeitumstände zu Lebzeiten des Namensgebers – evidente, schwere Verletzung fundamentaler Verfassungswerte durch den Namensgeber die weitere Verwendung dessen Namen als Straßenbezeichnung als nicht hinnehmbar erscheinen lässt."

Keine Umbenennung, aber kritische Auseinandersetzung

Es sollte, wie im Fall Stehr, die Anbringung eines Zusatzschildes mit einem erläuternden Text als Option geprüft werden. "Dies ist der anspruchsvollere und auch schwierigere Weg im Vergleich zu einer Umbenennung, die einen strittigen Namen verschwinden ließe, aber auch wie ein schnelles, problemloses Weißwaschen aussehen könnte", stellt Fraas fest. Das Zusatzschild soll zu einer kritischen Auseinandersetzung mit einem historisch belasteten Namensgeber anregen. "Am Ende ist es immer eine konkrete Einzelfallentscheidung", so der Wirtschaftsreferent.

Im Falle der Stehrstraße wurde es als vertretbar erachtet, den Straßennamen beizubehalten. Eine Anwohnerbefragung ergab, dass eine Mehrheit für die Beibehaltung des Straßennamens war. Mit einem Zusatzschild sollte auf die Rolle Stehrs in der NS-Zeit hingewiesen werden. Stehrstraßen gibt es aber nicht nur in Nürnberg: Die Steinfurter nannten die Stehrstraße in Ringelnatzstraße um, in Münster blieb es beim Stehrweg.

Umstrittene Entscheidungen

Größere Umbenennungsaktionen von Straßen gab es in der NS-Zeit und nach Kriegsende. Noch bevor in Nürnberg Ende Juni 1945 die ameri-kanische Militärregierung die Hoheit über die Stadt übernahm, erhielten 24 nach NS-Größen benannte Straßen und Plätze ihren ursprünglichen Namen zurück. Außerdem bekam die amerikanische Militärregierung eine Liste mit rund 100 Straßennamen, die einer Umbenennung bedurften. 30 erhielten ihren Namen von vor der NS-Zeit zurück. 1989 gab man der Treitschkestraße mit Steuerwald-Landmann-Straße einen neuen Namen und die im Jahr 1957 benannte Bischof-Meiser-Straße bekam 2007 den neuen Namen Spitalgasse.

In der NS-Zeit erhielten insgesamt 263 Straßen einen neuen Namen. Die meisten nach Orten aus der näheren Umgebung und nach Städten. 69 Straßennamen nach Personen, die keinen weiteren Anstoß erregten, heißt es in einer städtischen Untersuchung aus dem Jahr 1989. Umstritten war die Entscheidung des Stadtrats 1996, die Pausalastraße nicht umzubenennen. Pausalastraße steht für den Nürnberger Dichter Paul Rieß, der sich den Nazis anbiederte.

Inzwischen wurden aber auch schon bei anderen Straßennamen Erklärungsschilder angebracht: Der Leo–Katzenberger-Weg in der Altstadt erinnert an den von Nazis ermordeten Geschäftsmann jüdischer Herkunft. Zusatzschilder gibt es auch beim Von-Nassau-Weg in Kornburg oder bei der Kolpinggasse in der Altstadt.

Nach und nach sollen alle nach Personen benannten Straßen Zusatzschilder bekommen, so Fraas. Am Magnus–Hirschfeld-Platz in der Altstadt und an der Helmut–Bloß-Straße in Katzwang ist es bereits geschehen. An der Harry-Klinger-, Schmidt-Burkhardt-, Käthe-Reichert-, Babette-Müller- und Elise–Hopf-Straße, die alle im neuen Baugebiet Kornburg-Nord angesiedelt sind, werden die Straßen- und Zusatzschilder nach Abschluss der Bautätigkeiten angebracht.

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