Respektlos: Nürnberger Müllmann mit Milchtüten beworfen

24.7.2020, 05:55 Uhr
 Müllmann Jürgen Soller bekommt oft Unverschämtheiten von seiner Kundschaft zu hören: "Beleidigungen sind leider unser täglich Brot."

© Hartmut Voigt  Müllmann Jürgen Soller bekommt oft Unverschämtheiten von seiner Kundschaft zu hören: "Beleidigungen sind leider unser täglich Brot."

Als Jürgen Soller und seine Kollegen vor einem halben Jahr Sperrmüll abholen wollten, wurden sie aus einem Hochhaus in Langwasser mit Milchbeuteln und Broten beworfen: "Einem Anwohner war unsere Müllpresse zu laut. Er rief, wir sollen abhauen, und schmiss noch Ravioli herunter", berichtet Soller.

Bahn-Mitarbeiterin wurde von Elfjähriger beschimpft

Kein Einzelfall: Auf den 55 Touren der Nürnberger Müllabfuhr komme es häufig zu verbalen Attacken und Drohungen. "Beleidigungen sind unser täglich Brot", seufzt der Mann in orangefarbener Dienstkleidung. Nicht anders erging es vor wenigen Tagen Bahn-Mitarbeiterin Kathrin Held: "Ich kontrollierte eine Elfjährige im Zug, die keinen Fahrschein hatte. Als ich sie belehrt habe, beschimpfte sie mich als Hure. Die Aggressivität wird immer schlimmer."

Üble Erfahrungen machen viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst. Ob Polizistin, Feuerwehrmann oder Mitarbeiter des Ordnungsamts: Sie alle erzählen bei einem Pressegespräch des DGB Mittelfranken von zahlreichen Übergriffen.

"Unrechtbewusstsein tendiert gegen null"

Ulrike Rauskolb-Kunz von der Gewerkschaft der Polizei hat in der offiziellen Statistik nachgeschaut: Allein in Mittelfranken gab es im vergangenen Jahr 974 Fälle von Beleidigung, Tätlichkeit und Körperverletzung. "Die Polizei als Helfer wird zum Prügelknaben", meint sie, "das Unrechtsbewusstsein von Bürgern tendiert gegen null."


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Der Deutsche Gewerkschaftsbund startet eine Kampagne, um die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren. "Schluss mit Gewalt gegen Beschäftigte des öffentlichen und privatisierten Sektors", so heißt die Aktion offiziell, für die auch auf Großplakaten geworben wird.

Der offizielle Button der DGB-Kampagne.

Der offizielle Button der DGB-Kampagne. © Hartmut Voigt

Bessere Entlohnung als Zeichen der Wertschätzung

Stephan Doll, Vorsitzender des DGB Mittelfranken, sieht in der zunehmenden Verrohung der Gesellschaft und im Rückzug des Staates aus der Öffentlichkeit Ursachen für die Ausfälligkeiten und die Gewalt. Ziel der DGB-Aktion, die bis Ende 2021 läuft, ist es, für mehr Respekt gegenüber den Beschäftigten einzutreten. Außerdem fordert Doll ganz konkret eine bessere Entlohnung als Zeichen echter Wertschätzung, gerade angesichts der jetzigen Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst. Die Aktion hat das Motto "Vergiss nie, hier arbeitet ein Mensch", das auf Flyern und Ansteckknöpfen zu lesen ist.

Konsequentes Anzeigen von verbalen Ausrastern führt leider oft nicht zum Ziel – diese Erfahrungen haben Betroffene gemacht. Harry Hofmann von der Nürnberger Berufsfeuerwehr berichtet: "Bei der Rechtsprechung bekommen wir dann zu hören: ,Das müssen Sie aushalten.‘ In der Justiz fehlt das Verständnis für unsere Situation."

Kritik an der Staatsanwaltschaft

Christian Sendelbeck, Mitarbeiter im Einwohneramt, pflichtet dem bei: "Die Staatsanwaltschaft stellt Verfahren oft wegen Geringfügigkeit ein. Und das ist nicht hilfreich." Unabhängig von einer Strafverfolgung würden Beleidigungen die Betroffenen psychisch verletzen. Die Opfer müssten mehr Schutz und Unterstützung erhalten.

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