Rettung für Süchtige: Nürnberg testet Naloxon

15.3.2019, 06:00 Uhr
Naloxon - ein Gegenmittel bei Opiatsüchtigen. Das Modellprojekt läuft unter anderem in Nürnberg.

© FABIENNE FAUR, NN Naloxon - ein Gegenmittel bei Opiatsüchtigen. Das Modellprojekt läuft unter anderem in Nürnberg.

Es heißt Naloxon und kann Leben retten - das Leben von Drogenabhängigen, die sich eine Überdosis gesetzt haben. Bisher war der Einsatz des Gegenmittlels bei Opiatsüchtigen nur Ärzten vorbehalten. Doch in Bayern läuft derzeit in vier Großstädten, darunter auch Nürnberg, ein Modellprojekt, bei dem Naloxon direkt an Abhängige ausgegeben wird.

Ein Mensch liegt am Boden, seine Atmung lässt nach. Er ist bewusstlos, sein Gesicht läuft blau an, die Pupillen sind verengt. Das Spritzbesteck neben dem reglosen Körper liefert den Hinweis: Der Mann hat sich eben einen Schuss gesetzt. Seine körperlichen Anzeichen deuten auf eine Überdosis hin, er braucht dringend Hilfe.

Seit Anfang dieses Jahres sind in Nürnberg bereits vier Menschen an einer Überdosis Heroin gestorben. Als 2013 die Zahl der Drogentoten in der Stadt auf 30 anstieg, nahm Nürnberg, gemessen an der Zahl der Einwohner, bundesweit den traurigen Spitzenplatz ein. Es blieb glücklicherweise nicht dabei, in den Folgejahren sank die Zahl wieder.

Dennoch sterben bis heute nirgendwo so viele Menschen an verbotenen Rauschmitteln wie in Bayern. 2017 kamen in Deutschland 1272 Menschen durch Rauschgift ums Leben — ein Rückgang von etwa fünf Prozent gegenüber dem Vorjahr (1333). Die meisten Drogentoten wurden, wie bereits in den Vorjahren, im Freistaat (308 Tote) und in Nordrhein-Westfalen (203 Tote) registriert. Die Zahlen für 2018 hält das Bundeskriminalamt noch zurück.

Regelmäßig wird die Forderung von Fachleuten nach Drogenkonsumräumen von der Landesregierung zurückgewiesen. Doch angesichts der vielen Drogentoten stieg der Druck auf die Politik. Die CSU gab einer an deren Lösung den Vorzug, um eine Drogenkrise abzuwenden: dem Einsatz von Naloxon. Das Medikament gibt es schon seit Jahrzehnten, doch bisher durften es nur Mediziner verabreichen. In den USA, wo jährlich mehrere Tausend Menschen an Opiat-Überdosen sterben, tragen sogar Polizisten ein Naloxon-Nasenspray bei sich, um Süchtigen im Ernstfall das Leben zu retten. In Kanada wurde das Gegenmittel zigfach als Notfall-Set an Abhängige ausgegeben.

Modellprojekt an vier Standorten in Bayern

In Bayern tastet man sich nun an die Ausgabe an Rauschgiftsüchtige heran. Das Gesundheitsministerium hat jüngst ein Naloxon-Modellprojekt an vier Standorten gestartet: München, Nürnberg, Augsburg und Regensburg. In Nürnberg hat die Drogenhilfe Mudra die Federführung übernommen und bietet seit Jahresanfang Trainingseinheiten für Abhängige an. Im Kern geht es darum, den Teilnehmern nach der Schulung ein Notfall-Set mit Naloxon-Nasenspray mitzugeben.

Das Medikament "trennt nach der Einnahme das Opiat von den Rezeptoren im Hirn", erklärt Bertram Wehner von der Drogenhilfe Mudra. Das Gegenmittel kann binnen Minuten die Atemnot des Betroffenen beheben, die nach einer Überdosis von Heroin oder eines anderen Opiats einsetzt. Bisher hat der gerufene Notarzt Naloxon verabreichen dürfen, doch zählt für Betroffene jede Minute. Wenn der Arzt erst nach zehn Minuten kommt, kann es schon zu spät sein.

"Unsere zentrale Botschaft ist, dass man sich nie alleine in der Wohnung oder Bahnhofstoilette einen Schuss setzen sollte", so Wehner. Angehörige und Freunde sollten über das Notfall-Set informiert sein. Sie können in akuten Situationen Naloxon verabreichen, falls der Abhängige dazu selbst nicht mehr in der Lage ist. Man dürfe sich aber nicht täuschen lassen: Auch wenn die Atmung wieder einsetzt und der Patient das Bewusstsein wiedererlangt, muss die 112 gewählt werden — ohne Notarzt geht es auf keinen Fall, so Wehner. Naloxon verdrängt Heroin nämlich nur etwa 60 bis 90 Minuten lang. Dann kann es die Atmung wieder lähmen.

Mudra-Streetworker mit dem Notfall-Kit für Drogenabhängige.

Mudra-Streetworker mit dem Notfall-Kit für Drogenabhängige. © e-arc-tmp_20190311-180627-002.jpg, NN

Mudra-Streetworker Martin Kießling tauchte in die Szene ein und rührte die Werbetrommel für das Modellprojekt und das Training. Am ersten Kurs nahmen sieben Probanden teil, im zweiten waren es schon elf Leute. "Es läuft gut", sagt Kießling.

Die Naloxon-Abgabe durch die Mudra wird von den Unis in Regensburg und Bamberg wissenschaftlich begleitet. Für die Forschung füllen die Teilnehmer beim Training einen Fragebogen aus. Außerdem ist das Programm mit den Behörden rechtlich abgestimmt. "Die Polizeidienststellen in Nürnberg wurden über das bayerische Pilotprojekt informiert. Auch da rüber, dass in diesem Zusammenhang opiatabhängige Personen ein Naloxon-Notfall-Kit mit dem entsprechenden Nasenspray mitführen können", teilt Polizeipressesprecher Robert Sandmann auf Anfrage mit. Bei einer Personenkontrolle stellen Streifenbeamte das Notfall-Set nicht sicher.

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