Sargpflicht gekippt: Neue Herausforderung für Friedhofspersonal

23.10.2019, 06:00 Uhr
Auf dem Nürnberger Südfriedhof gibt es ein muslimisches Gräberfeld. Eine Beisetzung im Tuch war bisher nicht möglich, auch dort gilt die Sargpflicht.

© Foto: Roland Fengler Auf dem Nürnberger Südfriedhof gibt es ein muslimisches Gräberfeld. Eine Beisetzung im Tuch war bisher nicht möglich, auch dort gilt die Sargpflicht.

Seit einem Jahr schwelt die Debatte um die Sargpflicht auf Landesebene. Schon im vergangenen Jahrzehnt hatte es häufiger Vorstöße, meist von der SPD, in diese Richtung gegeben, allerdings ohne Erfolg. Doch nun haben die Freien Wähler einen Sieg errungen: Die Sargpflicht, die es inzwischen nur noch in Bayern, Sachsen und Sachsen-Anhalt gibt, wird gekippt. Doch das wird für die Städte massive Folgen haben, denn wie diese neue Lockerung umzusetzen ist, wird jede Stadt für sich entscheiden müssen.

"Das stellt uns vor eine Menge Fragen", sagt Gerhard Kratzer, Chef der Friedhofsverwaltung. Denn die Beisetzung eines Menschen in einem Tuch sei viel schwieriger als in einem Sarg. Diese Form der letzten Ruhe ist vor allem im jüdischen und muslimischen Glauben von Bedeutung. Weil sie in Bayern aber nicht erlaubt ist, überführen viele Muslime und Juden ihre Verstorbenen in andere Länder.

Natürlich seien Glaubensfragen und Pietät wichtig für die Hinterbliebenen, sagt Gerhard Kratzer. Er muss sich aber vor allem mit den praktischen Aspekten einer Beisetzung auseinandersetzen und da sieht er große Vorteile in der Sargpflicht. "Ein Sarg bietet bis zur Beisetzung eine hygienische Aufbewahrungsmöglichkeit für den Verstorbenen." Und – bezieht man sich ausschließlich auf die Erdbestattung, die im Islam und Judentum üblich ist – stellen sich noch ganz andere Fragen. Denn ein Leichnam, den man, nur mit einem Tuch bedeckt, in die Erde legt, zersetzt sich langsamer als ein Verstorbener im Sarg. Denn die Sauerstoffzufuhr, die dafür nötig ist, sei in einem Sarg besser gewährleistet als bei einem Toten, der komplett mit Erde umschlossen ist. "Wir müssten dann überlegen, ob wir die Mindestruhezeit – sie liegt in Nürnberg bisher bei zehn bis zwölf Jahren – verlängern müssen."

Neue Herausforderungen für Mitarbeiter

Er und seine Mitarbeiter seien derzeit dabei, einen Fragenkatalog zu erstellen. Es sei schwierig, über die organisatorischen Aspekte zu sprechen, weil Tod und Begräbnis natürlich eines pietätvollen Umgangs bedürfen, so Kratzer. Aber die Friedhofsmitarbeiter als diejenigen, die die Menschen auf ihrem letzten Weg begleiten, sehen sich mit Problemen konfrontiert. "Dabei geht es eben auch darum: Wie legt man einen Verstorbenen, der nur von einem Tuch umgeben ist, in das Grab? Dafür gibt es Bretter, ja, aber wie sorgt man dafür, dass der Leichnam darauf liegen bleibt?" Zudem sei es Muslimen wichtig, dass der Verstorbene nach Mekka, mit dem Gesicht in Richtung aufgehender Sonne, blickt. Der Kopf kann bei der Benutzung eines Leichentuchs aber erst ausgerichtet werden, wenn der Leichnam im Grab liegt. Das sei bei einer Gräbertiefe von 1,80 Meter jedoch schlicht unmöglich.


"Historischer Tag für Muslime": Sargpflicht in Bayern gelockert


Eine Einäscherung wird von Muslimen und Juden fast nie gewünscht. Sie sei aber in einem Tuch auch nicht möglich, so Kratzer. Zur Verbrennung brauche man immer einen Sarg.

Im Zusammenhang mit Beisetzungen kommt auf Nürnberg aber unter Umständen noch ein ganz anderes Problem zu. "Es ist ebenfalls im Gespräch, ob es eine zweite Leichenschau geben muss", so Kratzer. Alle anderen Bundesländer hätten das längst eingeführt. Muss ein Leichnam jedoch von zwei Ärzten begutachtet werden, stelle sich die Frage, ob es dafür überhaupt genug Personal gäbe. "Das betrifft zwar das öffentliche Gesundheitswesen, aber die Leichenschau muss ja sehr wahrscheinlich bei uns erfolgen, und ist das überhaupt in der vorgeschriebenen Frist zu schaffen?" Das könne die Bestatter räumlich in Kapazitätsschwierigkeiten bringen.

Ein Leichnam muss in Nürnberg bisher innerhalb von 96 Stunden beigesetzt werden. Gezählt wird ab dem Tag nach dem Todestag, Wochenenden werden nicht mit eingerechnet. Der oder die Verstorbene muss in diesem Zeitraum begraben oder eingeäschert werden, die Urnenbeisetzung kann bis zu sechs Wochen später erfolgen.

Der Beschluss zur Lockerung der Sargpflicht wurde unter anderem vom Nürnberger SPD-Landtagsabgeordneten Arif Taşdelen gelobt: Es sei ein "historischer Tag für alle muslimischen und jüdischen Menschen in Bayern". Es sei ein wichtiger Schritt. "Aber warum können wir die Sargpflicht nicht komplett beerdigen? Der Wunsch nach alternativen Bestattungsformen gilt nicht nur für Muslime, sondern auch für Christen." Kritisch sieht der Abgeordnete, dass die Staatsregierung die Verantwortung auf die Friedhofsträger schiebt.

Die Nürnberger SPD-Fraktion sieht in der Lockerung der Sargpflicht "ein überfälliges Zeichen des Respekts vor den unterschiedlichen Bestattungstraditionen in einer immer diverseren Gesellschaft".

SPD-Stadtrat Ulrich Blaschke hat bereits einen Antrag gestellt, demnach die Verwaltung ein Konzept zur Umsetzung auf den städtischen Friedhöfen vorlegen soll, gegebenenfalls verbunden mit einer notwendigen Satzungsänderung.

"Es ist eine Frage des Respekts, Rücksicht zu nehmen auf Weltreligionen, die nur eine Bestattung ohne Sarg vorsehen. Die Lockerung der Sargpflicht war überfällig und sollte in unserem städtischen Verantwortungsbereich zügig umgesetzt werden", so Blaschke.

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