Schule im Shutdown: Lehrer stehen mächtig unter Druck

28.5.2020, 17:17 Uhr
Lehrkräfte stehen wegen Corona vor neuen Herausforderungen. (Symbolbild aus Hamburg)

© Christian Charisius, dpa Lehrkräfte stehen wegen Corona vor neuen Herausforderungen. (Symbolbild aus Hamburg)

"Wir rennen seit Beginn der Krise unter der Knute der nächsten Bekanntmachung des Kultusministeriums", klagt Sandra Schäfer. Ein Beispiel von vielen: Zuerst sei der Pausenverkauf in den wieder geöffneten Schulen verboten gewesen, dann wurde er doch erlaubt. "Wir haben immer wieder von Entscheidungen des Kultusministeriums erst aus der Presse erfahren", sagt der Konrektor der Adalbert-Stifter-Mittelschule, Roland Tischler.



Dieses Reagieren auf die Schnelle, das "Fahren auf Sicht", müsse ein Ende haben, fordert auch der Leiter der Scharrerschule, Markus Philipp. Und die Leiterin der Hegelgrundschule, Gabriele Klaßen, stimmt ein: "Alle stehen unter Druck, aber manchmal ist das jetzt sehr heftig."

Die drei Lehrkräfte gehören zur Fachgruppe Schulleitung des NLLV und wollen Klartext sprechen. Weil viele Kollegen auf dem Zahnfleisch gehen. "Ein Schulleiter rief mich an und sagte: Wenn das nicht mein letztes Schuljahr vor der Pensionierung wäre, würde ich kündigen", sagt Schäfer. Eine Konsequenz aus der Krise müsse es sein, Lehrer zu entlasten. "Sonst wird der Beruf noch unattraktiver."

Das Lernen auf Distanz geht weiter

Dabei fehlen jetzt schon Lehrkräfte an allen Ecken und Enden. Im Januar sprach das Ministerium davon, dass in Grund- und Mittelschulen 1400 Vollzeitstellen besetzt werden müssen. "Aktuell bräuchten wir doppelt so viele Lehrer, weil Klassen geteilt unterrichtet werden, aber woher sollen wir die nehmen?" Hinzu komm, dass bayernweit laut Schäfer rund 20 Prozent der Lehrkräfte keinen Präsenzunterricht abhalten können, weil sie zu einer Risikogruppe gehören.

Wer jetzt vor einer Klasse steht, sei doppelt und dreifach gefordert, sagt Markus Philipp. Die Kinder kämen nach dem Lernen daheim mit mehr oder weniger großen Wissenslücken zurück in die Schule, "die muss der Lehrer engagiert aufarbeiten." Vier Stunden Frontalunterricht seien außerdem anstrengender als sonst übliche Lehrmethoden wie Gruppenarbeit, die wegen der gebotenen Distanz jetzt nicht möglich sind.

In den Abschussklassen sei die Bandbreite des Wissens leider sehr große, "viele unserer Kinder haben zu Hause wenig Unterstützung dabei, eigene Lernstrukturen zu finden", sagt der Hauptschullehrer. Und das Lernen auf Distanz gehe ja weiter, "wobei es immer schwieriger wird, die Kinder zu motivieren."

Dass an einigen Schulen die Lehrer auch noch selber das Klassenzimmer desinfizieren müssen, bevor mittags die zweite Hälfte einer Klasse anrückt, sei ein Unding, sagt Schäfer. Geschuldet ist dieser Putzdienst durch die Lehrer dem Platzmangel. "Wir sind jetzt schon voll", sagt Roland Tischler. Wenn nach den Pfingstferien alle Klassen im wöchentlichen Wechsel in den Unterricht kommen, sei das nur mit viel Geschiebe hinzukriegen.

Eine permanente Anspannung

Im Sinne der Kinder sei es aber nicht, wen sie permanent die Räume wechseln müssen, ergänzt Philipp. Das zu vermeiden sei eine "Dauerherausforderung". Gabriele Klaßen spricht von einer permanenten Anspannung "den Kindern zu geben, was sie brauchen." Und das sei etwas anderes als vor der Krise. "Die Schüler haben sich verändert, sie sind unsicherer und auffallend ruhig." Im Sommer müssen die Lehrer Zeit dafür haben, dass kommende Schuljahr in Ruhe zu planen, fordert Schäfer.

Noch legt sich das Kultusministerium nicht darauf fest, ob in den großen Ferien tatsächlich Lehrer die Notbetreuung übernehmen müssen. Das Konzept befinde sich in der Abstimmung, heißt es aus München.

Schulen müssten aber Zeit haben, sich pädagogische Konzepte zu überlegen, sagt Schäfer. "Wie wollen sie kompensieren, was an Stoff in diesem Schuljahr ausgefallen ist?" Und wie wollen sie Präsenzunterricht trotz der Abstandsregeln agiler gestalten. Möglich wäre der Einsatz von Tablets, mit denen Schüler trotz des räumlichen Abstands zusammen Aufgaben lösen können. Dass dank Bundesmitteln derzeit Schulen mit mehr PCs ausgestattet werden, sei gut. Aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein, so Schäfer.

"Wir müssen beim Thema Digitalisierung und darüber hinaus aus der Krise lernen." Beim Probeunterricht an den weiterführenden Schulen sei bereits eine Chance vertan worden. "Man hätte den Viertklässlern den Druck ersparen und den Übertritt ausnahmsweise über ein Beratungsgespräch durch den Klassenlehrer der Grundschule klären können", sagt Schäfer. Doch das Kultusministerium wollte davon nichts wissen.

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