Seine Schützlinge waren seine Kinder

26.1.2010, 00:00 Uhr

In Galizien geboren, studierte Hallemann zwar Philosophie, Mathematik und Physik und legte seinen Doktor in Philosophie ab. Doch statt Naturwissenschaften oder Philosophie pflegte Hallemann den Religionsunterricht und die Pädagogik. Als er 1929 die Leitung des Jüdischen Waisenhauses in Fürth übernahm, deutete nichts auf die Katastrophe hin.

Fürth verfügte über eine lange Tradition des friedlichen Zusammenlebens von Juden, Protestanten und Katholiken. Sieben Synagogen, diverse Schulen und eine Talmud-Schule sorgten für die Bildung. Das Waisenhaus für jüdische Buben (das sich schließlich auch für Mädchen öffnete), das erste jüdische Waisenhaus in ganz Deutschland und das einzige in Bayern, existierte bereits seit 1763. Die «Fromme Gesellschaft der Waisenerzieher» stellte den Waisen Pflege, Wohnung, Kleidung, Erziehung und den Einstieg in einen Beruf zur Verfügung.

Im Gegenzug waren die Kinder verpflichtet, an den Gedenktagen für das Seelenheil ihrer (meist kinderlosen) Wohltäter zu beten. Denn: «Arme sollst du nicht beschämen», erklärt Gisela Blume. Ein Vertrag auf Gegenseitigkeit hebt die Scham der erwiesenen Wohltat auf.

Die Kinder als Individuen behandelt

1868 hatte man das neue Waisenhaus in der Julienstraße 2 errichtet. Als Isaak Hallemann zusammen mit seiner Frau Clara die Leitung übernahm, führte er gleich einige Neuerungen ein: Zentralheizung, Linoleumboden, neue Möbel, frische Farben. Vor allem aber behandelte Hallemann analog zu Korczak jedes Kind als Individuum. Deshalb schaffte er die Uniform ab, gestand jedem Waisenkind einen eigenen Schrank zu und strich den Ausdruck «Waise» aus dem Vokabular. Seine Schützlinge waren seine Kinder. Hallemanns ältester Sohn Ralf umschrieb dies so: «Unsere Eltern waren nun Eltern von vierzig Kindern.»

Isaak Hallemann war hellsichtig genug, aus den alltäglichen Anfeindungen die kommende Katastrophe herauszulesen. Bereits 1936 bemühte er sich, mit allen Kindern nach Palästina auszuwandern (das damals noch unter britischem Protektorat stand). Doch die jüdischen Kuratoriumsmitglieder verhinderten dies. Die Satzung der Stiftung hatte festgelegt, dass das Waisenhaus für alle Zeiten in Fürth zu bleiben habe. «So deutsch, so naiv waren die Verantwortlichen», urteilt Gisela Blume, «und so unvorstellbar die Folgen.»

Der Weg führte ins KZ

Die Folgen, das waren die «Reichskristallnacht» 1938, in der Männer, Frauen und Kinder in bibbernder Novemberkälte auf der Fürther Freiheit ausharren und sich misshandeln lassen mussten. Und das waren die Deportationen im November 1941 und März 1942. «Wohin die mir anvertrauten Kinder gebracht werden, da gehe auch ich hin», ließ Hallemann seine Freunde wissen. Der Weg führte ihn, seine Familie und seine Kinder ins KZ. Das Letzte, was er hinterließ, war ein Schreiben in hebräischer Schrift, darin er das Versteck der Thorarollen barg.

Nach so einer Geschichte ist es kein Trost zu wissen, dass Nachkommen überlebt haben, Enkelkinder gedeihen, Mahnmale errichtet werden. Eher sticht das Absurde ins Auge: «Suchet der Stadt Bestes» heißt der Arbeitskreis der Freien Christengemeinde, in der Gisela Blume ihren Vortrag hielt, und um der Stadt Bestes willen sollte das Waisenhaus in Fürth bleiben.

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