Sieben Monate mitten im Kriegsgebiet

3.2.2015, 20:28 Uhr
Sieben Monate mitten im Kriegsgebiet

© Michael Matejka

Die Bilder zeigen junge Männer, die in die Kamera lachen. 5000 Kilometer von zu Hause entfernt, posieren sie im Norden Afghanistans vor einem Panzer und scheinen viel Spaß zu haben dabei. Dass das Ganze Ernst ist, verrät nur das Maschinengewehr im Hintergrund. In ihrem Camp haben sie einen Kicker und eine Spielkonsole aufgestellt, auch hier herrscht eine gelöste Stimmung.

Ein bisschen wirkt es so, als sei eine Horde junger Männer auf einem Abenteuertrip. Doch der Vortrag von Hans-Christian Landrock, der heute vor den Zwölftklässlern des Martin-Behaim-Gymnasiums spricht, korrigiert diesen Eindruck rasch. Denn der 31-Jährige berichtet von seinen persönlichen Erfahrungen in Afghanistan.

Seinem sieben Monate langen Einsatz im Norden des Landes, rund eine Autostunde von Masar-e-Scharif entfernt, ging eine ebenso lange Vorbereitungszeit voraus. Schießtraining und die Erstversorgung Verwundeter standen unter anderem auf dem Programm. Dass das in dem vom jahrzehntelangen Bürgerkrieg zerrütteten Land überlebenswichtig ist, stellt der junge Hauptmann klar. Was er erst hinterher im direkten Gespräch verrät: Vor dem Abflug hat er noch sein Testament gemacht. „Im schlimmsten Fall war‘s das.“ Und nein, er sei zunächst nicht so begeistert gewesen, als er von diesem Einsatz erfuhr, sagt Landrock, der zu diesem Zeitpunkt Zugführer bei den Panzerfahrern war.

„Respekt vor der Aufgabe“

Auch Eltern und Ehefrau hatten Bedenken, doch über eine — unter bestimmten Umständen mögliche — Absage dachte der junge Mann nicht nach. Die intensive Vorbereitung habe ihm geholfen, dennoch reiste er im Januar 2012 mit „viel Respekt vor der Aufgabe“ aus Deutschland ab.

Sieben Monate mitten im Kriegsgebiet

© privat

Vor den Schülern steht er jetzt als externer Experte. Für den Direktor des Behaim-Gymnasiums ist das eine demokratische Selbstverständlichkeit und überhaupt nichts Ungewöhnliches. „Wir haben ein offenes Ohr für alle Institutionen und Organisationen“, sagt Harald Pinzner, der auch den Auftritt des Jugendoffiziers für „gut und sinnvoll“ hält. Zumal Landrock sogar aus erster Hand berichten könne. „Wir bekommen ja normalerweise nur von den Medien gefilterte Informationen.“

Bevor er seinen Einsatz Revue passieren lässt, führt Landrock die Schüler ein in die Geschichte und aktuelle Situation in Afghanistan. Im Schnelldurchgang erfahren die angehenden Abiturienten von Monarchie, kommunistischem Regime, russischer Besatzung, Bürgerkrieg, Taliban-Regime und dem amerikanischen Krieg gegen den Terrorismus. Fast zehn Jahre lang beteiligte sich auch Deutschland an der Operation Enduring Freedom.

Landrock kam später mit der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe Isaf unter Führung der Nato ins Land. Auch wenn die freundlichen Gesichter der Soldaten auf den Bundeswehr-Bildern mitunter harmlos wirken: Der junge Hauptmann, der beim Aufbau der afghanischen Armee half, war nie ohne Personenschutz unterwegs. Fotos zeigen auch, wie das Team Sprengsätze aus dem Boden gräbt.

Den Schülern beschreibt Landrock anschaulich die Zustände in einem Land, dessen Infrastruktur weitgehend zerstört war und in dem das Durchschnittseinkommen bei 600 Euro pro Kopf liegt — im Jahr. Er erzählt von der komplett anderen Mentalität, die den Deutschen viel Geduld abverlangte.

„Zeit spielt keine Rolle dort, oft muss man erst mal Tee trinken.“ Wichtigster Türöffner sei der Übersetzer gewesen, so der Nürnberger, der im Nachbarschaftshaus Gostenhof ein paar Worte Farsi lernte, um wenigstens Guten Tag sagen zu können. Hat der Einsatz etwas bewirkt? In seinem Vortrag nimmt der Jugendoffizier die Frage vorweg und verweist auf den kürzlich veröffentlichten Fortschrittsbericht der Bundesregierung. Die Sicherheitslage sei nach wie vor „nicht gut“, dafür brachte die internationale Mission Fortschritte im Bereich der Bildung. Berufsschulen nach deutschem Vorbild entstanden, die Zahl der Studenten stieg von 8000 auf 100 000, rund fünf Millionen Afghanen kehrten zurück in ihr Land. „Es bewegt sich etwas.“ Doch eine Prognose, wie es weitergeht, wagt Landrock nicht. „Der Aufbruch steht und fällt mit der Sicherheitslage.“

„Sehr sachlich“

Sieht so Nachwuchswerbung aus? Artöm hat es nicht so empfunden. „Es gab absolut keine Beeinflussung“, findet der 18-Jährige, der sich einen Einsatz bei der Bundeswehr theoretisch durchaus vorstellen könnte. „Aber meine Eltern würden das nie zulassen.“ Und ins Ausland ziehe es ihn auch nicht. „Ich will nicht abgeschossen werden.“

Als „sehr sachlich gehalten“ empfand auch Daniel (19) den Vortrag. Landrock habe auch die negativen Seiten deutlich geschildert, sagt die 19-jährige Aya. Viel Zeit für Diskussionen bleibt nicht, doch werde der Auftritt im Unterricht nachbereitet, so Pinzner. Er glaubt, dass die Informationen aus erster Hand den ein oder anderen Schüler auch davor bewahren können, „sich blauäugig in ein Abenteuer zu stürzen“.

Landrock dagegen hat seine anfänglichen Vorbehalte hinter sich gelassen. Für ihn war es eine prägende Erfahrung. „Ich würde wieder hingehen“, sagt er den Schülern. Allzu viel Zeit bleibt ihm dafür nicht: 2016 scheidet er aus der Bundeswehr aus.

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