Situation spitzt sich zu: Gesundheitsamt vor dem Kollaps?

29.10.2020, 06:34 Uhr
Situation spitzt sich zu: Gesundheitsamt vor dem Kollaps?

© Foto: Carsten Koall/dpa

Die Erleichterung ist groß, als das negative Testergebnis des Schülers eintrifft. Doch als er nach der Quarantäne, ausgelöst durch einen Covid-Fall in der Klasse, in die Schule will, winkt die Schulleitung ab. Erst müsse das Gesundheitsamt den Buben offiziell aus der Quarantäne entlassen. Doch das Amt meldet sich nicht.

„Wir haben versucht, dort anzurufen“, sagen die Eltern, „seit zwei Tagen geht niemand ans Telefon.“ Mitschüler seien längst ins Klassenzimmer zurückgekehrt. „Wir wissen nicht, wann unser Sohn wieder in die Schule gehen kann.“

Von Pontius zu Pilatus

Sich freiwillig selbst isoliert hat ein 28-jähriger Auszubildender aus Nürnberg, der in einer Straubinger Berufsschule direkten Kontakt mit einem infizierten Mitschüler hatte. Nur über eine WhatsApp-Gruppe erfährt er davon. Nicht alle, aber viele der Azubis, die aus ganz Bayern nach Straubing kommen, werden von den Behörden kontaktiert.

Nicht so der 28-Jährige, der telefonisch von Pontius zu Pilatus geschickt wird, von der Schule zu den Gesundheitsämtern Straubing und Nürnberg – niemand erklärt sich für zuständig oder schickt ihn zum Test.

Erst am letzten Tag der Quarantäne meldet sich das Nürnberger Gesundheitsamt und erlöst ihn. Die schriftliche Bestätigung kommt erst sechs Tage später per Post. Ähnliche Fälle schildern entnervte Bürgerinnen und Bürger in großer Zahl. Ihre Berichte führen direkt zu der Frage: Was ist los im Gesundheitsamt?

Die Menschen sind genervt

Gerade dort, wo die für die Pandemie-Bekämpfung so wichtigen Infektionsketten zurückverfolgt werden sollen, wird das Pensum kaum mehr bewältigt, so der vorherrschende Eindruck.

Obwohl in Großstädten – auch in Nürnberg – mittlerweile die Bundeswehr mit an den Telefonen sitzt, stehen die Gesundheitsämter bundesweit offenbar kurz vor dem Kollaps. So sieht das auch die Leiterin einer Kinderkrippe im Stadtwesten. An einem Freitag um 9 Uhr erfährt sie, dass eine Mitarbeiterin positiv ist. Im Nürnberger Gesundheitsamt erreicht sie den ganzen Tag niemanden. Auf dem „Meldeformular für meldepflichtige Krankheiten“, das ihr vorliegt, steht der Hinweis: „Nur per Fax“. Eine Technologie, die nicht mehr besonders verbreitet ist.

Die Frau wirft das Formular vorsichtshalber persönlich in den Amtsbriefkasten. Am Montagmorgen schließt sie die Einrichtung. „Eigenmächtig“, wie sie sagt, denn laut Vorschrift darf sie das gar nicht. Erst abends meldet sich das Gesundheitsamt. „Ich dachte, ich fall’ vom Glauben ab“, sagt die Krippen-Leiterin, die von Anfragen ratloser Eltern, die eigentlich in die Arbeit mussten, überrannt wurde. Sie muss sich am Ende ein paar Tage freinehmen, weil sie nah am Nervenzusammenbruch ist.

"Gut gerüstet"

Im Juli sah Umwelt- und Gesundheitsreferentin Britta Walthelm die Stadt noch „gut gerüstet“ für die zweite Welle. Auf die Probleme angesprochen, sagt sie jetzt: „So schlecht läuft’s nicht.“ Auch wenn man ständig nachsteuern müsse.

Mittlerweile treffen 275 Beschäftigte in der Behörde auf Infektionszahlen, die sich binnen vier Wochen vervierfacht haben. Wie groß der aktuelle Rückstau an offenen Fällen ist, sei „schwer zu beziffern“, erklärt Walthelm. 90 neue Corona-Fälle müssten derzeit im Schnitt jeden Tag in die Datenbank eingespeist werden.


So arbeitet das Nürnberger Gesundheitsamt in der Coronakrise


Erst am vergangenen Wochenende habe man die Arbeitsabläufe neu organisiert und Teams anders aufgestellt. Das müsse sich aber erst noch einspielen, heißt es. Letztendlich gehe es vor allem darum, „die Positiven so schnell wie möglich von der Straße zu holen“, so Britta Walthelm. „Aber Ärzte sind leider rar.“

Aktuell sind 17 Amtsärzte, meist in Teilzeit, und drei externe Mediziner(innen) eingespannt. Das müssten schnell mehr werden, so die Referentin. Nicht mehr zu schaffen sei künftig der tägliche Anrufe bei Menschen in Quarantäne. Derweil sind viele von Corona Betroffene verunsichert – oder sauer.


Kein Corona-Testergebnis: Betroffene warten eine Woche in Quarantäne


Sie berichten von verweigerten Tests am Flughafen, trotz online vereinbartem Termin. Oder von einem Jugendlichen, der 21 statt 14 Tage in Quarantäne war, weil ihn das Gesundheitsamt nicht daraus entließ. Am Telefon habe es geheißen, man sei völlig überlastet und ersticke in Arbeit. Andere warteten 14 Tage vergebens auf ein Testergebnis, obwohl der entsprechende QR-Code in die Corona-Warn-App eingegeben und eine sofortige Rückmeldung versprochen wurde. Auch über tagelange vergebliche Versuche, das Bürgertelefon zum Coronavirus bei der Stadt (Telefon 231 10 644) zu erreichen, oder den nach tagelangem Warten erfolgten Hinweis, bei negativem Ergebnis würden Testergebnisse gar nicht mehr rückgemeldet, regen sich viele auf.

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