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Skandal um Rosi: Eine unglaubliche Geschichte aus dem Tiergarten Nürnberg

2.2.2022, 10:21 Uhr
Skandal um Rosi: Eine unglaubliche Geschichte aus dem Tiergarten Nürnberg

© Foto: Isabel-Marie Köppel

Rosi aus dem Sperrbezirk hat dünne Beine, lockiges Haar und große Augen. Dass der "Skandal um Rosi"-Hit der Spider Murphy Gang einmal auf die Entführung eines filigranen Lämmchens passen würde, hat die Münchner Band vermutlich nicht geahnt.

Rosi ist ein Rotkopfschaf, das im Nürnberger Tiergarten lebt und vor fünf Jahren für Furore sorgte. Am 11. Mai 2015 steht in ihrer Zooakte: "Nach Mittagsfütterung spurlos verschwunden!!! Gestohlen? Gefressen?" Damals war das Wollknäuel gerade einmal zwei Wochen alt.

Neun Tage später griffen Polizisten ein Lamm in München auf. Sie fanden es bei einer Drogenrazzia in einem Stundenhotel. Eine damals 25-jährige Prostituierte hielt es in ihrem Zimmer.

Die Beamten veröffentlichten ein Foto der kleinen Rosi mit den abstehenden Ohren und dem rötlichen Fell. Eine Mitarbeiterin des Tiergartens erkannte sie aufgrund ihres weißen Flecks auf der Stirn und einer Ohrmarkierung, die alle Schafe nach der Geburt bekommen, um sie unterscheiden zu können.

Eine Vorliebe für Schafe

Die Münchner Prostituierte war früher in Wuppertal Schäferin gewesen und hatte an ihrem damaligen Wohnort 25 Tiere gehalten. "Na ja, sie mag halt offenbar Schafe", kommentierte damals ein Polizeisprecher das Verhalten der Transsexuellen. Allerdings hatte ihr das Veterinäramt von Nordrhein-Westfalen bereits verboten, Tiere zu halten.

"Rosi ist damals nichts Schlimmes widerfahren. Sie war auch nicht verstört", sagt Harriet Wolter, die Revierleiterin des Kinderzoos. Die 50-Jährige arbeitet seit 20 Jahren im Tiergarten und zog Rosi mit der Flasche auf: "Handaufzuchten sind auf Menschen geprägt und kommen auch zum Zaun, weil sie denken, es gibt die nächste Flasche." Deshalb konnte die Prostituierte das Lamm vermutlich so einfach stehlen. Sie muss die Schranke passiert haben und zum Gehege gegangen sein, was Besuchern nicht gestattet ist.

"Skandalschaf" Rosi fällt heute innerhalb ihrer Herde nicht auf. Sie ist eher ruhig und zutraulich, beschreibt Wolter. Das dichte Fell ist grau vom Schmutz und hängt ihr schlaff vom Hals – sie hat etwas zugelegt. Ihr markanter Fleck ist mittlerweile verblasst, doch ihren hypnotischen Blick, die helle Iris und die länglichen Pupillen hat sie behalten. Die Tierpflegerin kennt Rosi unter den insgesamt elf weiblichen Rotkopfschafen ohne Probleme heraus, als sie das Gehege mit ein paar Leckereien betritt.

Kein Wunder, denn Wolter hat eine besondere Beziehung zu dem Schaf. Am 26. April 2015 fand sie das Neugeborene gesund im Stall. Drei Tage später war das Lamm "mehr tot als lebendig", erinnert sich Wolter. Die Mutter kümmerte sich nicht ausreichend um ihren Nachwuchs, also nahm sich die Tierpflegerin des Wollknäuels an: "Ich hatte sehr großen Ehrgeiz, dass es überlebt."

Alle halbe Stunde musste das Kleine mit Milch aus einer Spritze gefüttert werden. Deshalb nahm Harriet Wolter das Jungtier über Nacht mit nach Hause. Zu der Zeit las die Tierpflegerin das Buch "Das Rosie-Projekt" – und so wurde das Schaf zu ihrem Rosi(e)-Projekt und bekam einen Namen, was sonst nicht üblich ist.

Mittlerweile hat das ausgewachsene Schaf selbst drei Geburten hinter sich. Es sorgte gut für seine Nachkömmlinge in den Jahren 2017 und 2018, nur den jüngsten weiblichen Nachwuchs ließ es irgendwann nicht mehr trinken. Vermutlich hatte Rosi nicht genügend Milch, um ihre Zwillinge zu versorgen, weshalb das Weibchen auch die Flasche bekam, wie seine Mutter einst. So mischt sich jetzt noch ein Schaf mit Namen unter die Herde: Trudi.

Gierig gespitztes Maul

Als Harriet Wolter das Gehege mit dem Eimer voller Pellets betritt, ist die neugierige und zutrauliche Trudi gleich zur Stelle. Gierig spitzt sie das Maul und knabbert ein Pellet nach dem anderen aus Wolters Hand.

Trudi ist noch zu jung, doch Rosi dürfte selbst noch mal Mutter werden und zum ersten Mal Oma. Denn ihr 2018 geborener Nachwuchs müsste auch trächtig sein. Immer im Herbst zieht ein Bock kurzzeitig zum Decken in das Tiergarten-Gehege ein. Das restliche Jahr verbringen die 15 männlichen Rotkopfschafe in einem Gehege bei Schwaig.

Seit 1981 leben Rotkopfschafe im Nürnberger Tiergarten. Die Rasse "Rouge du Roussillon" stammt ursprünglich aus den französischen Pyrenäen und gilt als stark gefährdet. In den 1970er Jahren war eine der letzten Herden bereits auf dem Weg zum Schlachter, zwei männliche und zwölf weibliche Rotkopfschafe wurden gerettet und nach Deutschland gebracht. Heute gibt es bundesweit etwa 300 Tiere.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel stammt aus dem Jahr 2020. Rotkopfschaf Rosi erzählt ihre Geschichte nun im Rotkopfschaf-Himmel. Sie ist mittlerweile verstorben.

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