So durchbrechen Nürnberger Altenheime die Corona-Isolation

29.4.2020, 05:51 Uhr
So durchbrechen Nürnberger Altenheime die Corona-Isolation

© Caritasverband Nürnberg

"Es ist wirklich schlimm, die Stimmung bei uns ist sehr gedrückt. Unsere Senioren fühlen sich eingesperrt", meint Jutta Tiefel, Heimleiterin des Hans-Schneider-Altenheims der Arbeiterwohlfahrt in Langwasser, "und wir fühlen uns selbst ein bisschen wie im Knast. Nur: Wir können nach neun Stunden wieder raus."

Dass Depressionen, Verzweiflung und Traurigkeit bei vielen der 135 Bewohnern wachsen, ist für Tiefel mit den Händen zu greifen. Angehörige geben zwar täglich Schokolade und Päckchen ab, doch das ersetzt nun mal keine Umarmung, kein direktes Gespräch. Daher baut man jetzt in den Wintergarten eine Plexiglasscheibe ein: Drinnen sitzen die Senioren und können dann mit ihren draußen wartenden Angehörigen sprechen.

"Ein bisschen Trost"

Auch das Skypen am Laptop nehmen immerhin elf Heimbewohner regelmäßig wahr. Es werden feste Termine vereinbart, um mit den Kindern oder Verwandten und Freunden zu plaudern.

Der katholische Caritasverband hat für seine sechs Nürnberger Seniorenheime Smartphones zur Videotelefonie angeschafft. "Das ist beliebt. Es bringt wirklich viel, wenn unsere Bewohner ihre Kinder oder Enkel auf dem Bildschirm sehen. Das gibt ein bisschen Trost" ", berichtet Gabriela Mrugala, die bei der sozialen Betreuung im Heim St. Willibald im Stadtteil Rangierbahnhof arbeitet.


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Wenn die Senioren es wünschen, bleibt sie beim Telefonat dabei: Nicht alle können mit dem Handy umgehen, manchmal drücken sie versehentlich eine Taste und das Gespräch ist unterbrochen. Doch wenn es funktioniert, hält sich Mrugala diskret abseits, um die vertrauliche Atmosphäre nicht zu stören.

Nicht für demente Menschen geeignet

Allerdings ist Videotelefonie nicht für alle geeignet: Demente alte Menschen haben kaum etwas davon. Manche von ihnen verstehen nicht, warum jetzt plötzlich ihr Angehöriger in dem kleinen technischen Gerät steckt. Aber beim Hören der vertrauten Stimme kommt vielleicht doch ein beruhigendes Gefühl auf.

Die Frage, die bei jedem Videotelefonat gestellt wird, ist natürlich: "Wie geht es Dir?" Außerdem erzählen die Heimbewohner, was sie heute gegessen haben und erkundigen sich nach der Familie. Manche verabreden sich am Fenster im Erdgeschoss, um sich wenigstens zu sehen. Doch das Glas bleibt als Sicherheits-Barriere zwischen ihnen.


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Die bestmögliche Abschottung ist das zentrale Anliegen aller Heimbetreiber: Sie fürchten sich vor Katastrophen wie in einem Würzburger Pflegeheim, wo nach einer Corona-Infektion 25 Bewohner gestorben sind. Daher sieht es Michael Pflügner, zweiter Werkleiter des NürnbergStift als "hochkritisch" an, wenn rüstige Senioren spazieren gehen und sich außerhalb des Geländes mit Angehörigen treffen.

Ungewöhnlicher Gottesdienst

Den Kontakt zur Außenwelt hält das NürnbergStift mit einer speziellen Software: Über die Myo App kann man aktuelle Fotos und Videos am Handy verschicken. Rund 60 der 640 NüSt-Bewohner beteiligen sich daran. Die Angehörigen sind erleichtert, wenn sie sehen, dass es den Senioren gut geht.

Ein etwas ungewöhnlicher Gottesdienst im Heilig-Geist-Spital kam gut an: Die Geistlichen feierten im Innenhof, auf den umgebenden Balkonen nahmen die Senioren teil. Der räumliche Abstand wurde eingehalten, doch die Teilnehmer spürten menschliche Nähe.

Forderung an die Politik

Eine andere kreative Aktion fand ebenfalls viel Widerhall: Die Stadtverwaltung hatte die Bürger dazu aufgerufen, ein Gedicht, aufmunternde Worte oder herzliche Grüße zu schicken. Die alten Menschen sollten erfahren, dass man an sie denkt. Über 400 Briefe und Karten sind eingetroffen und wurden an die Bewohner des NürnbergStifts verteilt.

Die städtische Einrichtung würde gern einen Besuchsraum einrichten oder Begegnungen im Garten mit entsprechendem Sicherheitsabstand ermöglichen. Doch dazu müssten die Bestimmungen des Besuchverbots geändert werden.

Awo-Heimleiterin Tiefel appelliert an die bayerische Staatsregierung, Besuche im Altenheim unter strengen Hygieneauflagen — mit Mundschutz und Schutzkittel — baldmöglichst zu genehmigen. "Die alten Menschen haben jetzt schon fast keine Rechte mehr. Wo bleibt denn da die Lebensqualität?", fragt Tiefel.


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