Streit um Zeppelintribüne: Beim NN-Forum wurde heiß diskutiert

3.10.2019, 14:31 Uhr
Das Zeppelinfeld soll künftig mit dem Doku-Zentrum – das laut OB Ulrich Maly (Mitte) demnächst erweitert werde – und dem Memorium im Zusammenhang gesehen und Besuchern zugänglich gemacht werden. Weitere Gäste des NN-Forums waren Dr.Jens-Christian Wagner und Karl Freller, Michael Husarek (rechts) moderierte die Runde.

© Michael Matejka Das Zeppelinfeld soll künftig mit dem Doku-Zentrum – das laut OB Ulrich Maly (Mitte) demnächst erweitert werde – und dem Memorium im Zusammenhang gesehen und Besuchern zugänglich gemacht werden. Weitere Gäste des NN-Forums waren Dr.Jens-Christian Wagner und Karl Freller, Michael Husarek (rechts) moderierte die Runde.

Können, sollen und dürfen die Stadt Nürnberg, Land und Bund zusammen wirklich 85 Millionen Euro in ein so problematisches Erbe wie die marode Zeppelintribüne mit dem Zeppelinfeld stecken? "Nur" um sie als zentrale Relikte des einstigen NS-Reichsparteitagsgeländes auch für künftige Generationen zu sichern und "begehbar" zu halten? Die Antwort "Ja" haben – nach vielen Expertenrunden, öffentlichen Diskussionsforen und gründlichen Voruntersuchungen – alle zuständigen Instanzen längst gegeben.

Und doch bewegt die Frage weiter die Gemüter, wie sich auch bei einem gut besuchten NN-Forum im Nürnberger Doku-Zentrum zeigte. Zu verantworten sei das Sicherungsvorhaben nur, wenn intensive didaktische Begleitangebote "die Steine zum Sprechen bringen". Darin waren sich die drei Gäste in der von NN-Chefredakteur Michael Husarek moderierten Runde auch einig. "Mindestens die Hälfte der Summe" müsse für pädagogische Programme und Mitarbeiter bereit gestellt werden, verlangte Jens-Christian Wagner, der Geschäftsführer der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten.

Zunächst stieß sich der Historiker aus Celle allerdings daran, dass die hohe Förderung des Bundes für Nürnberg im Koalitionsvertrag in einer Art "Hinterzimmerpolitik" ausgekugelt worden sei – und an den wissenschaftlichen Expertengremien vorbei. Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly konterte den Vorwurf mit dem Hinweis, dass alle Mittelzusagen von den zuständigen Parlamenten gebilligt wurden. "Eine höhere als diese demokratische Legitimation gibt es nicht." Vor allem aber sei mit der Sonderfinanzierung sichergestellt, " dass wir niemandem etwas wegnehmen". Allein die schiere Größe des Nürnberger Vorhabens hätte die Bundesgedenkstätten-Stiftung leicht überfordert.

"Mut zum Verlust"

Dabei stehe auch für ihn, unterstrich Wagner mehrfach, die überragende Bedeutung der NS-Relikte in Nürnberg außer Frage. Im Gegenteil: Es gelte sogar, einen gewissen "Opferzentrismus" zu überwinden und darauf zu achten, dass Relikte nicht zu "Reliquien" stilisiert werden. "Wir brauchen beide Orte", um die Funktionsweise der radikal rassistischen NS-Gesellschaft anschaulich zu machen. "In Nürnberg viel Geld zu investieren, ist schon richtig." Auch wenn es am Ende durchaus auch "Mut zum Verlust" brauche, weil sich kaum überall alles erhalten lasse.

Da setzen auch Wagners Überlegungen zur Verhältnismäßigkeit an: Würde es nicht reichen, exemplarisch nur einen Teil der Tribüne zu erhalten – und den Rest dem Verfall preiszugeben? Und dort gerade sichtbar zu machen, wie "schlampig" die vermeintlich großartige Verherrlichungsarchitektur gebaut war? "Klappt nicht", hielt Maly dagegen und verwies auf die Verkehrssicherungspflicht. Die verlange der Stadt schon heute einen jährlichen Aufwand in sechsstelliger Höhe ab – Teilabriegelungen seien praktisch kaum umsetzbar. Würden die Mauern weiter bröckeln, wären immer umfangreichere Absperrungen erforderlich. "Eines Tages bliebe womöglich nur noch Sand, dann hat man die Tribüne erfolgreich beseitigt."

In einer Art Zwickmühle sah sich Karl Freller. Der CSU-Abgeordnete und Vizepräsident des Landtags könne und wolle die geplante Sicherung und pädagogisch verstärkte Erschließung des Areals nicht kritisieren, beteuerte er als Direktor der bayerischen Gedenkstätten. Um dann aber doch vehement und leidenschaftlich eine finanzielle Gleichstellung der "Opferorte" einzufordern, also eine kräftige Aufstockung der Etats. "Sonst kommen wir in eine Schieflage." Beispiel für die Misere: Schon um die Summe für die Herrichtung eines Parkplatzes an der KZ-Gedenkstätte musste jahrelang gerungen werden, während gleichzeitig Millionen in das Doku-Zentrum am Obersalzberg verbuddelt werden.

"Vogelschiss"

Natürlich sei es unerlässlich, in Nürnberg etwas zu tun – zumal angesichts des aktuellen politischen Klimas. "Unsere Gesellschaft hat eine Riesenverpflichtung, gegen Verharmlosungen wie die Rede von einem 'Vogelschiss', anzugehen!" Als roten Faden aller Nürnberger Bemühungen beschrieb OB Maly, an den authentischen Orten zu vermitteln, "wie eine Gesellschaft, die sich für zivilisiert hielt, so verkommen konnte und so unvorstellbares Grauen möglich wurde."

Das Zeppelinfeld werde dabei mit dem Doku-Zentrum – das demnächst erweitert werde – und dem Memorium im Zusammenhang gesehen und "bespielt". Dabei werden Tag für Tag das ganze Jahr hindurch Gruppen und Schulklassen über das Gelände geführt, unterstrich die Rundgangsleiterin von "Geschichte für alle". "Es ist keineswegs so, dass hier Massen orientierungslos herumlaufen. Was wir brauchen, sind genau die Steine, die es jetzt zu sichern gilt." Beim Blick über das Areal, so ihre Erfahrungen, seien auch oft erst weniger motivierte Teilnehmer ganz Ohr.

Im übrigen plädierten Wagner und Freller dafür, die Führerkanzel abzusperren und allenfalls bei Führungen zugänglich zu machen. "Ich will nicht wissen", sagte Freller, "wie viele Bilder mit Nachahme-Posen in der Welt kursieren". Und während kulturelle Nutzungen des Geländes zur "demokratischen Aneignung" sinnvoll seien, habe ein Autorennen hier nichts zu suchen, wettete Wagner schließlich noch. "Aber das hat sich in zehn Jahren, aus ökologischen Gründen, von selbst erledigt", unkte Maly.

Als eine der entscheidenden Herausforderungen hatte zu Beginn schon Kulturreferentin Prof. Julia Lehner in einer kompakten Einführung hingewiesen: Mehr denn je wird es künftig darauf ankommen, auch jungen (und nicht mehr so jungen) Leuten aus anderen Kulturkreisen zu vermitteln, wie sich hier ein diktatorisches Regime in Szene gesetzt und Menschen auf seinen in der Konsequenz mörderischen Kurs eingeschworen hatte. "Hier lässt sich das Text-Drehbuch aller Diktaturen bis heute studieren", so Maly.

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