Sturm auf Nürnbergs Altstadt: US-Truppen rückten vor 75 Jahren ein

20.4.2020, 05:53 Uhr
Sturm auf Nürnbergs Altstadt: US-Truppen rückten vor 75 Jahren ein

© Foto: Stadtarchiv Nürnberg

Auch am 19. April 1945 brannte die Sonne vom Himmel. Es war unnatürlich heiß in diesen turbulenten Tagen, wie Fritz Nadler in seinem Tagebuch vermerkte. Die Hitze steigerte den Durst, doch um die Wasserversorgung stand es nicht zum Besten und die Wirte in den bereits besetzten Stadtteilen hatten nicht einmal mehr eine Flasche fader Limonade auf Lager. Währenddessen schoben sich die amerikanischen Verbände gegen hartnäckigen, aber hoffnungslosen Widerstand immer näher an die Mauern der Altstadt heran.


Die Kapitulation: Vor 75 Jahren endete der Zweite Weltkrieg


Nürnbergs Kampfkommandant Richard Wolf hatte seinen Truppen zwar befohlen, sich hinter den trutzigen Steinwall zurückzuziehen, aber offenbar erreichte diese Nachricht nicht alle Einheiten. Den ganzen Tag über machten Luftwaffeninfanteristen den Regimentern der 3. US-Division zwischen Bucher Straße, Neutorgraben und Johannisstraße schwer zu schaffen.

Die deutschen Verteidiger hatten auch auf den Bastionen am Vestnertor- und Maxtorgraben günstige Abwehrstellungen bezogen. Während sich die Amerikaner im Norden nur langsam von Haus zu Haus an die Altstadt herantasteten, gelang es ihren Kameraden im östlichen Abschnitt, Wöhrd zu gewinnen und die Besatzung des Laufertorturms zur Kapitulation zu zwingen. Erste US-Stoßtrupps drangen in die Altstadt ein und erreichten einen Bunker, in dem 700 Zivilisten zusammengepfercht waren; die Menschen baten ihre Befreier dringend um Lebensmittel, da sie bereits drei Tage lang nichts mehr gegessen hatten.


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An diesem Tag wurden die GIs der 45. Infanterie-Division ebenfalls in schwerste Häuserkämpfe verwickelt. Die Schuttberge in den engen Straßen Gostenhofs bildeten nicht gerade das günstigste Gelände für die Sherman-Panzer, während ihre Gegner von der Waffen-SS in den Trümmern ausreichend Deckung fanden.

Letzte Akt der Tragödie

In der Leonhardstraße und am Kohlenhof empfing heftigstes Infanteriefeuer die US-Truppen, der Tafelfeldtunnel war durch brennende Fahrzeuge blockiert. Erst am Nachmittag kam ein Bataillon bis zum Färbertor durch, und erst in der Nacht konnte eine Einheit die Straße zur Altstadt überqueren. Da das Gefechtsfeld im Laufe des Tages stets enger geworden war, gerieten die amerikanischen Soldaten unversehens immer wieder in den Granatenhagel ihrer eigenen Artillerie.


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Obwohl die Verlustliste der 3. und 45. Division für den 19. April 38 Tote, 157 Verwundete und 14 Vermisste registrierte, verbuchte ihr Hauptquartier den Tag als Erfolg. Nürnbergs Altstadt war abgeriegelt, alle Einheiten hatten ihre Ausgangspositionen für den letzten Akt der Tragödie bezogen. Und bereits am Morgen hatte Fürth kapituliert.

Damit war der Weg für die 42. US-Infanteriedivision frei, die von Westen über Neuhof a. d. Zenn und Cadolzburg auf die Kleeblattstadt und Nürnberg vorgerückt war. Deren Truppen konnten nun widerstandslos nach Stein durchstoßen, um das einzig verbliebene Ausfalltor für die deutschen Verteidiger zu schließen, die noch nach Süden zu fliehen trachteten.

Sturm auf Nürnbergs Altstadt: US-Truppen rückten vor 75 Jahren ein

© Foto: Stadtarchiv Nürnberg

Ein weiteres herausragendes Ereignis dieses Tages war die kampflose Einnahme des Gerichtsgebäudes und des Gefängnisses in der Fürther Straße durch eine US-Kompanie. Nach amerikanischen Angaben saßen dort 500 bis 600 politische Häftlinge der Gestapo ein. Der prominenteste von ihnen war Pfarrer Hans Lilje, der Sekretär des Lutherischen Weltbundes und spätere Landesbischof von Hannover. Seinen Mitgefangenen Dietrich Bonhoeffer hatten braune Schergen wenige Tage vor dem Eintreffen der US-Soldaten nach Flossenbürg transportiert und mit anderen Widerständlern ermordet. Selbst während der Kämpfe um Nürnberg musste Lilje im Gefängnishof noch Erschießungen miterleben.

"In der letzten Nacht", so berichtete er in einem Aufsatz mit dem Titel "Im finstern Tal", "während ich ein Bett wegen des besseren Schutzes gegen Granatsplitter unter das Gitterfenster gezogen hatte, drang aus dem Keller, wo die Gefängnisleitung mit ihren Getreuesten noch ein Abschiedsgelage veranstaltete, der Duft von Gebratenem und der Lärm weinseliger Männer herauf, während oben in ihren Zellen Hunderte von Männern zwischen Hunger und Todesangst fiebernd auf ihre herannahende Befreiung hofften."

Tohuwabohu und Widersprüche

An diesem vorletzten Tag der Schlacht um Nürnberg fuhr auch so manchem Nürnberger noch einmal der Schrecken heftig in die Glieder. Denn in Neumarkt, in Oberferrieden, in Ochenbruck und Burgthann hatten Angehörige der SS-Panzergrenadierdivision "Götz von Berlichingen" die Amerikaner kurzfristig gestoppt. Der Burgthanner Bürgermeister war gar erschossen worden, weil er voreilig weiße Tücher aus den Fenstern hatte hängen lassen.

Blitzartig kursierte die Mär, SS-Divisionen seien im Anmarsch, um die Noris mit Wunderwaffen zurückzuerobern, berichtete der Zeitzeuge Fritz Nadler. "Angesichts dieser Gerüchte sattelten viele Nürnberger, die Ähnliches auf dem Kerbholz hatten wie der Bürgermeister von Burgthann, ihre Räder, um rechtzeitig abhauen zu können."

Ob dem stellvertretenden Gauleiter Karl Holz im Palmenhofbunker ebenfalls die Latrinenparole von der nahenden Waffen-SS zu Ohren gekommen war, ist nicht verbürgt, darf aber vorausgesetzt werden. Jedenfalls versuchte er, den Kommandeur der Schutzpolizei, Fritz Schade, am Abend gegen 22 Uhr noch zu überreden, seine Männer für den Endkampf zur Verfügung zu stellen. "Holz fragte mich, wie viel ich noch an Polizisten bei mir hätte. Ich nannte die Zahl 60, obwohl es kaum mehr 25 waren. Daraufhin wüstes Gebrüll von Holz: 'Sie müssen noch 600 Mann haben. Rücken Sie sofort zum Gegenangriff in Richtung Insel Schütt (aus).'"

Schade aber ließ sich nicht einschüchtern. Seine Weigerung begründete er mit einem Befehl Himmlers, die Schutzpolizei dürfe sich unter keinen Umständen an Kampfhandlungen beteiligen. Der Gag dabei: Eine solche Weisung des Reichsführers-SS hatte es nie gegeben. Doch Holz schluckte die Kröte. In dem Tohuwabohu sich teils sogar widersprechender Anordnungen aus Berlin oder von anderen Kommandostellen hatte der bornierte Parteisoldat längst den Überblick verloren.

Zwei Stunden Schießerei

Um 23.06 Uhr schickte der Reichsverteidigungskommissar seinen letzten Funkspruch an Hitler. "Mein Führer! Nürnberg von allen Seiten eingeschlossen. Gegner hat sich bis an den inneren Stadtring herangekämpft. Er hat schwere Verluste. Bis jetzt 24 Panzer abgeschossen, davon 18 mit Panzerfaust. Tagelanges Art.- und Granatwerferfeuer auf brennende Stadt. Auch unsere Verluste schwer. Alle Flakgeschütze und Pak vernichtet. Munitionsmangel! Beste Zusammenarbeit mit Kampfkommandanten. Volksgenossen auf der Straße grüßen mit Heil Hitler. Feind ergreift gegen fränkische Bevölkerung besondere Repressalien. Unsere Treue, unsere Liebe, unser Leben gehören Ihnen, mein Führer. Alle unsere guten Wünsche zu Ihrem Geburtstag. Ihr Karl Holz." Auf diesen Lagebericht hin verlieh Hitler dem Kampfkommandanten Richard Wolf das Eichenlaub zum Ritterkreuz.

Gegen 4 Uhr morgens startete Gauleiter Holz dann den geplanten Gegenangriff. Mit rund 70 Mann, aufgeteilt in zwei Gruppen und bewaffnet mit MGs sowie Panzerfäusten, stürmte er unter Gebrüll die Insel Schütt. Es gelang ihm tatsächlich, die dort lagernden Amerikaner in die Bredouille zu bringen. Zwei Stunden dauerte die Schießerei. Doch trotz aller Verbissenheit gelang es dem Häuflein der Verteidiger nicht, die GIs aus der Altstadt zu werfen. Unverrichteter Dinge kehrte Holz mit dem Rest seiner Truppe im Morgengrauen in den Palmenhof zurück. Dort war inzwischen Oberbürgermeister Willy Liebel durch einen Kopfschuss ums Leben gekommen. Ob Selbstmord oder Mord, ist bis heute nicht restlos geklärt.

Der Letzte, der mit ihm sprach, war Nürnbergs Kampfkommandant Richard Wolf. Liebel, so berichtete er später, habe gesagt, "er wolle keinesfalls den Siegern lebendig in die Hände fallen und ihnen als Oberbürgermeister der Stadt der Reichsparteitage den Triumph eines Schauprozesses gönnen. Lieber wolle er freiwillig aus dem Leben scheiden."

Kurze Zeit später, sagte Wolf, habe er einen Knall gehört, sei in das Quartier Liebels geeilt und habe diesen tot aufgefunden. Der Kopfschuss jedoch war an der linken Schläfe aufgesetzt, obgleich der Oberbürgermeister ein Rechtshänder war. Rasch erhielt das Gerücht Flügel, Holz habe Liebel nach einem Streit erschossen, weil dieser für die Übergabe Nürnbergs an die Amerikaner votierte. Der Reichsverteidigungskommissar seinerseits wiederum streute die Lügengeschichte, der OB sei im Gefecht gefallen — musste er doch verhindern, dass der Freitod eines führenden NS-Repräsentanten seinen letzten Getreuen den Mut raubte.


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