Unterwegs mit harten Kerlen

29.6.2011, 07:59 Uhr
Unterwegs mit harten Kerlen

© Peter Kunz

„Schreib fei ned nei, dass mer den Baum gstohlen ham“, steckt mir einer der Alt-Kärwaburschen verschmitzt. Wir stehen im Bayerischen Staatsforst, ein paar Wegminuten vom Irrhain bei Neunhof. Vor uns liegt eine mächtige Fichte – der diesjährige Kärwabaum von Kleinreuth.

Während beim Kärwabaum-Aufstellen das ganze Dorf zuschauen kann, genieße ich heute das Privileg, beim Schlagen des Baumes dabeizusein. Wir warten auf die Ankunft des Pferdefuhrwerks mit den eigentlichen Kärwaburschen, die mit den weißen Hemden und roten Halstüchern. Die knapp zwanzig „Alten Herren“ hier sind zweckmäßiger gekleidet. Wie es die Tradition vorschreibt, wird der Baum nämlich von den verheirateten, ehemaligen Kärwaburschen geschlagen, die das rote Halstuch bereits abgelegt haben.

Den Baum zu fällen, ist das Wenigste. Man muss ihn dann auch irgendwie auf den Waldweg bekommen und verladen. Herbert Walter und sein Sohn Andreas sind dafür zuständig, dass es im Wald fachgerecht zugeht. Bäume fällen ist schließlich nicht ganz ungefährlich. Die Fichte liegt etwas eingekeilt und muss beim Ziehen zweimal um 90 Grad gedreht werden. Für die beiden Walters kein Problem, die Familie betreibt ein Gartenbau-Unternehmen.

Ein Unimog mit Kran steht bereit. Gestern nach der Arbeit hat Herbert sich schnell noch vom Heilpraktiker den Rücken einrenken lassen. „Es passt scho wieder“, sagt er. Bei dem alljährlichen Ritual will keiner fehlen – schließlich kann man bei der reinen Männerveranstaltung nicht nur mit ein paar Stunden anstrengender körperlicher Arbeit rechnen, sondern auch mit einer der großen Gaudi des Jahres.

„Neunazwanzig Meter“

Gerade gewachsen und vor allem höher als der vom Nachbardorf sollte ein guter Kärwabaum sein. Der emeritierte Kärwabou mit dem Zollstock geht beim Abmessen des Baumes daher auch nicht allzu pendantisch vor. „Neunazwanzig Meter, na sagmer dreißiganhalb“, ruft er von der Spitze des Baums herüber. Dann wird die Fichte vorsichtig herausgezogen. Weitere Bäume, die im Weg stehen, fallen.

Alle, die es noch erlebt haben, erzählen mit leuchtenden Augen von früher, als der Kärwabaum ausschließlich mit Muskelkraft von Mensch und Pferd aus dem Wald geholt wurde. Große Wehmut kommt allerdings nicht darüber auf, dass der Stamm, der so viel wie zwei Kleinwagen wiegt, vor allem vom Unimog aus der Lichtung gezogen wird. Nur einmal müssen die Männer kräftig Hand anlegen, bis der Baum neben dem Forstweg liegt. Dort wird er mit Axt und Kettensäge vom Rest seiner unteren Äste befreit.

Ein bisschen abseits konzentriert sich eine Gruppe auf beschaulichere Arbeit. „Des is des Allerwichtigste“, flachsen die Herren geheimnisvoll. Aus frisch geschlagenen Nadelzweigen haben sie einen riesigen Kranz von gut zwei Meter Durchmesser geflochten, der später wie eine Krone am Baum hängen wird.

Völlig eingeweiht in alle fränkischen Geheimwissenschaften, von Kranzbinden bis Kärwalieder singen, ist Stefan Petranyi. Er kam als Siebenjähriger mit den Eltern von Hamburg nach Kleinreuth. Damit ist und bleibt man auf dem Dorf ein „Eigschlaffter“, ein Zugezogener. Was nicht bedeutet, dass man nicht dazugehört. Über den Posaunenchor kam er als Jugendlicher zu den Kärwaburschen und war später 13 Jahre lang Kärwavorstand in Kleinreuth. „Aber was mir eigentlich singen, versteht der heut no ned“, versucht ein Alt-Kleinreuther ihn aufzuziehen.

Ebenfalls nicht ganz ernst gemeint, aber deutlich handfester sind da schon die Rivalitäten mit den Nachbardörfern. Die Nachbarn zu verspotten und ihnen Streiche zu spielen, ist fester Bestandteil der Tradition. Allerdings gibt es da Spielregeln.

Ehrenkodex missachtet

Für Gesprächsstoff sorgten am Vortag vorwitzige Kärwaburschen aus Sack. Die Fürther, die gleichzeitig Kärwa feiern, hatten in dreister Missachtung des ungeschriebenen Kärwa-Ehrenkodex außerhalb ihres Reviers gewildert und mitten in Kleinreuth Kärwaplakate abgerissen und mit ihren eigenen überklebt. „So etwas geht gar nicht“, empört sich Stefan. Nach einem Telefonat der Kärwaburschen-Häuptlinge war die Sache aber schnell aus der Welt geschafft.

Auf gar keinen Fall wiederholen soll sich dagegen der Super-Gau unter den klassischen Kärwa-Streichen, dem die Kleinreuther im Vorjahr zum Opfer fielen: Unbekannte hatten in der Nacht auf den Kärwasonntag den Kärwabaum gefällt. Eine saubere Aktion, zu der sich bis heute keines der Nachbardörfer bekannt hat. Um so wilder wird spekuliert und Rache geschworen. Auch das gehört schließlich zur Traditionspflege. Eine auf dem Festplatz installierte Nachtsicht-Kamera soll künftig solche ehrenrührigen Schandtaten vereiteln.

Endlich kommt der Wagen mit den Kärwaburschen, gezogen von zwei fleißigen Rheinländern: dem Hengst Heiner und dem Wallach Milano. Auch bei den Jungen spielen die Walters mit: Herberts zweiter Sohn Alex ist Ober-Kärwabursche. Etwas matt schauen einige der „Boum“ aus der Wäsche, sie haben gut vorgefeiert. „Mei Mutter hat mi ned um neun aufwecken könna, weili erscht um Viertel zehn hamkumma bin“, erklärt einer mit leicht beschwerter Zunge.

Jetzt müssen alle zusammen helfen. Der Wagen wird in der Mitte auseinander geschoben und der sakrisch schwere Baum muss für die Reise einigermaßen ausgewogen auf den beiden Achsen platziert werden. Dann spannt Kutscher Heinz Lehneis die Kaltblüter wieder an und gemütlich schaukeln Kärwaboum und -baum durch den Wald nach Neunhof, dem ersten Boxenstopp. Da gibt’s erstmal eine Vesper.

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