VAG-Tickets werden immer teurer: Muss das eigentlich sein?

17.1.2014, 06:56 Uhr
VAG-Tickets werden immer teurer - das ärgert nicht nur die Fahrgäste.

© Michael Matejka VAG-Tickets werden immer teurer - das ärgert nicht nur die Fahrgäste.

„Ich find’s voll daneben!“ Anita Z. ärgert sich. Die 40-Jährige steht vor dem Nürnberger Handwerkerhof und blickt genervt auf die Fahrkarte in ihrer Hand – vor allem auf deren Preis. In die Innenstadt gefahren ist sie mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Als Gelegenheitsfahrerin nutzt sie im Verbundgebiet dafür ab und zu ein Tagesticket. Den Preis von 5,10 Euro fand sie im vergangenen Jahr schon „sehr teuer“.

Heute hat Anita Z. für das Tagesticket Solo zum ersten Mal 5,30 Euro bezahlt. Eigentlich ‚nur‘ 20 Cent mehr, möchte man meinen. Denkt man jedoch ein wenig zurück an die Zeit, in der es in Nürnberg noch keinen Stadttarif gab – 2011 war das –, da kostete das gleiche Ticket 4,20 Euro.

Noch eine Erhöhung

Eine Preiserhöhung von durchschnittlich fast 50 Prozent innerhalb von zehn Jahren – bei Unternehmen im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) ist das keine Seltenheit. Nach der turnusgemäßen „Anpassung der Fahrpreise“ zum 1. Januar hat der Verkehrsverbund Großraum Nürnberg (VGN) eine weitere Erhöhung für 2015 bereits beschlossen. Gedeckt werden müssen jedes Jahr Verluste in dreistelliger Millionenhöhe. „Trotz alljährlicher Anpassung tragen die Fahrgeldeinnahmen nur teilweise zur Deckung des Aufwands bei“, heißt es auf der Homepage des Verkehrsverbunds.

Betriebswirtschaftlich gesehen ist der ÖPNV ein Verlustgeschäft. Den größten Teil der Ausgaben übernehmen öffentliche Haushalte – 344 Millionen Euro waren es im letzten Jahr. Allein für die VAG fielen 61 Millionen Euro Verlust an, den die Stadt Nürnberg ausgleichen musste, was keine Überraschung ist.

Grundrecht auf Mobilität

„Der ÖPNV auf der ganzen Welt ist ein Draufzahlgeschäft, genauso wie das Gesundheits- und Betreuungswesen“, weiß Stadträtin Marion Padua (Linke Liste). Im Rahmen der Daseinsfürsorge ist die Kommune verpflichtet, dem Bürger eine Teilhabe am öffentlichen Leben zu ermöglichen. Der Bürger hat ein Grundrecht auf Mobilität. Auch die Fahrkarte für den Nahverkehr darf nicht zum Luxus werden.

Um für möglichst alle Bürger bezahlbar zu sein, wird der ÖPNV deshalb quersubventioniert. „Eine betriebswirtschaftliche Berechnungs-grundlage ist hier die falsche“, stellt der Trierer Verkehrswissenschaftler Karl-Georg Schroll klar.

Auf Einladung des Bündnisses gegen Fahrpreiserhöhung stellte er den Nürnbergern bereits 2012 Alternativen zur Preissteigerung im öffentlichen Nahverkehr vor. Es sei sinnvoll, volkswirtschaftlich zu rechnen: „Dann lohnt sich der ÖPNV, weil er andere Bereiche der Volkswirtschaft entlastet. Wenn beispielsweise weniger mit dem Auto gefahren wird, fallen geringere Kosten für die Straßen- und Brückensanierung an. Die meisten Politiker rechnen trotzdem betriebswirtschaftlich. Eine Milchmädchenrechnung.“


Allerdings habe die Stadt Nürnberg nur begrenzte Mittel und müsse darauf achten, „den Verlust der VAG nicht in Bereiche zu steigern, die für den städtischen Haushalt nicht mehr tragbar sind“, gibt Stadtrat Jürgen Fischer (SPD) zu bedenken. „Als Daseinsfürsorgeeinrichtung müsste der ÖPNV von Freistaat und Bund mehr unterstützt werden. Es ist natürlich nicht gut, jedes Jahr die Preise zu erhöhen. Aber wenn der Staat uns im Stich lässt, können wir nicht anders.“

Eine Chance, diese Situation künftig zu verbessern, sieht Stadtrat und VAG-Aufsichtsratsvorsitzender Michael Reindl (CSU) in der Gründung eines Sonderfonds für den ÖPNV. Diese Idee beruht unter anderem auf dem Bericht der Daehre-Kommission zur „Zukunft der Verkehrsinfrastruktur“ vom Dezember 2012. Geld in den Fonds fließen könne beispielsweise durch eine Umverteilung der Mineralölsteuer. Dabei bleibt die Frage, ob dieser Fonds dann tatsächlich rein für den ÖPNV verwendet werden dürfte oder ob damit die gesamte Infrastruktur von Deutschlands Städten finanziert werden soll.

Blick nach Österreich

Angenommen, Großprojekte wie der 450 Millionen Euro teure Ausbau des Frankenschnellwegs (wovon die Kommune immerhin 54 Millionen Euro selbst trägt) dürften ebenso aus dem geplanten Sonderfonds bezahlt werden – dann bliebe eine gleichzeitige Unterstützung der VAG vielleicht auf der Strecke. Wie die einzelnen Bedingungen für einen solchen Fonds aussehen könnten, wird derzeit diskutiert. Reindl scheint bereits überzeugt: „Mit diesem sogenannten Schweizer Modell könnte man den jährlichen Preisanstieg stoppen.“

Ein möglicher Sonderfonds soll nicht die einzige Alternative zu steigenden Fahrscheinpreisen bleiben. Ebenso interessant erscheint es dem Nürnberger Stadtrat, sich in anderen Ecken Europas umzusehen – zum Beispiel in Österreich. Dort hat Wiens stellvertretende Bürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne) entscheidend zur Durchsetzung des „Wiener Modells“ für den ÖPNV beigetragen.

Aushängeschild dieses Modells ist eine Jahreskarte für 365 Euro. Dem Besitzer eines solchen Fahrscheins wird so ermöglicht, die Wiener Linien für einen Euro pro Tag zu nutzen. Stadträtin Padua ist sich sicher, dass dieses Modell auch in Nürnberg Erfolg haben würde: „In Wien wurden die Leute motiviert, das Auto stehenzulassen und sich ein Jahresticket zu kaufen. Im Stadtrat hatte man eigentlich mit einer höheren Bezuschussung gerechnet, aber das Konzept trägt sich voll.“ Nun würden 36 Prozent aller Wiener den ÖPNV nutzen, in Nürnberg seien es dagegen nur 22 Prozent. Volkswirtschaftlich rechne sich das Wiener Modell auf Dauer.

Diesen Ansatz sieht Reindl allerdings kritisch: „Ich glaube schon, dass zusätzliche Verluste gemacht werden könnten. Mehr Fahrgäste bedeuten auch, dass mehr Fahrzeuge und mehr Personal nötig sind. Diesen Faktor hat man noch nicht richtig berücksichtigt. In Nürnberg fahren bereits jetzt Linien wie die U1 an der Kapazitätsgrenze.“

„Wiener Verhältnisse – Vorbild für Nürnberg?“ – diese Frage wird das geplante Streitgespräch am heutigen Freitag, 17. Januar, prägen. Nürnbergs grüne Stadtratsfraktion lädt dazu in die Kulturwerkstatt auf AEG, Muggenhofer Straße 141, ein — erreichbar übrigens mit der U1. Beginn ist um 18 Uhr.

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