Verkehr in Nürnberg: Dominieren die Interessen autofahrender Männer?

5.5.2021, 05:55 Uhr
"Der Alltag einer versorgenden Frau wird in der Verkehrs- und Stadtplanung noch viel zu wenig berücksichtigt", sagt eine Expertin.

© Roland Fengler, NZ "Der Alltag einer versorgenden Frau wird in der Verkehrs- und Stadtplanung noch viel zu wenig berücksichtigt", sagt eine Expertin.

Nach den ersten Stolpersteinen müssen Natalie Keller und Mike Bock nicht lange suchen. Schon der Weg über die Bucher Straße wird mit Fahrradanhänger und zwei Kindern zur Herausforderung. Kaum haben die Vier bei "Grün" die Fahrbahn betreten, springt die Fußgängerampel auf der gegenüberliegenden Seite auf "Rot" - eine Zwangspause auf der Mittelinsel ist angesagt.

Die aber ist so schmal, dass Bock den Fahrradanhänger mit seiner Vierjährigen quer stellen muss. Parallel dazu muss er noch seine siebenjährige Tochter beaufsichtigen, die schon mit dem eigenen Fahrrad unterwegs ist. Vor und hinter dem Quartett rauschen derweil Autos und Straßenbahn vorbei.

Eine ziemlich gefährliche Situation aus Sicht des jungen Vaters, der auch verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im Nürnberger Stadtrat ist. Zudem ist sie für ihn kein Einzelfall. Vor allem junge Mütter, die immer noch den größeren Teil der Betreuungsarbeit stemmen, kämpfen laut Bock häufig mit solchen Hindernissen. Denn zu kurze Ampelphasen für Fußgänger und zu schmale Mittelinseln gibt es nicht nur am Friedrich-Ebert-Platz, einem Hauptverkehrsknotenpunkt im Nürnberger Norden, sondern auch anderswo in der Stadt.

Und dass es sie gibt, sei kein Zufall, sondern das Ergebnis einer Verkehrsplanung, die sich viel zu sehr an den Bedürfnissen autofahrender Männer orientiere. Dahinter stecke noch nicht einmal eine böse Absicht, sagt Bock. "Meistens haben die Planer das Thema einfach nicht im Blick." Man müsse es erst einmal ins Bewusstsein rücken. Deshalb fordert er gemeinsam mit seiner Fraktionskollegin Natalie Keller eine Anhörung zur "gendergerechten Mobilitätsplanung".

Das Wort klingt sperrig, doch bei einem kurzen Spaziergang rund um den Friedrich-Ebert-Platz füllen die beiden Politiker den Begriff im Nu mit Inhalt. Da sind die Autos und Motorräder, die ganz legal in der Schweppermannstraße auf einem Teil des Gehwegs parken, für Fußgänger oder gar Radfahrer fehlt dadurch aber der Platz. Bocks siebenjährige Tochter muss mit ihrem Rad den Gehweg nutzen, sie kommt kaum durch und ist für andere Verkehrsteilnehmer nur schwer zu sehen.

Positiv fallen Bock und Keller zwar die überdachten Fahrradständer auf. Doch auch hier hätten die Planer nur an durchschnittliche Zweiräder gedacht, sagt Keller. "Für Fahrradsitze oder gar Anhänger fehlt der Platz." Auch die schicken Leihräder der VAG seien nur bedingt alltagstauglich, "in den kleinen Körbchen am Lenker kann man keine größeren Einkäufe transportieren".

Keller fordert deshalb ein Umdenken in der Planung. Bemerkbar machen sich die Unterschiede aus ihrer Sicht vor allem in der Familienphase. "Frauen mit Betreuungsaufgaben haben andere Wege als Männer." Doch bislang gebe es dazu nicht einmal genügend Daten. In den Studien werde zwar nach der Art des Verkehrsmittels gefragt, das die Menschen benutzen. "Aber es fehlt die Frage nach dem Zweck." Bekannt ist aus der Studie "Mobilität in Deutschland" immerhin, dass Frauen im Schnitt kürzere Wege zurücklegen als Männer, dafür aber ähnlich so lange unterwegs sind, weil sie seltener ein Auto zur Verfügung haben.


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Die Geschlechterrollen hätten sich zwar in den vergangenen Jahren verändert, sagt Uta Bauer vom Forschungsbereich Mobilität am Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin. Doch wenn Kinder zu betreuen sind, gebe es nach wie vor große Unterschiede im Mobilitätsverhalten. Beachtet werde das kaum. "Der Alltag einer versorgenden Frau wird in der Verkehrs- und Stadtplanung noch viel zu wenig berücksichtigt."

Mobilität werde noch immer viel zu sehr mit Autofahren gleich gesetzt, dabei stoße dieses Konzept in den Städten längst an seine Grenzen. Bauer fordert eine "Mobilität für alle Bevölkerungsgruppen", man müsse die unterschiedlichen Lebensbedingungen wahrnehmen und abbilden. Dazu gehöre auch, dass Mobilität mit dem Einkommen zusammenhängt - manche können sich ein Auto schlicht nicht leisten.

Vorreiter ist Österreich

Vorreiter bei diesem Thema ist Österreich, wo das unterschiedliche Mobilitätsverhalten von Frauen und Männern nicht nur Gegenstand der Forschung ist, auch in der Praxis wurden einige Forderungen schon umgesetzt. Pilotprojekt war der Wiener Stadtteil Mariahilf, dort wurden nicht nur Gehwege verbreitet und Ampelphasen verlängert, sondern auch viele Treppen mit Rampen und Liften ausgestattet.

Nicht nur Frauen und Männer mit Kinderwagen profitieren davon, auch Senioren oder Behinderte kommen besser voran. Es gehe um "inklusive Räume, die für möglichst viele Menschen attraktiv sind", sagt die Wiener Stadtplanerin Bente Knoll. Dazu gehören aus ihrer Sicht außerdem Sitzplätze, kühle Orte, Wasser und Grün.

Man müsse den Blick für die unterschiedlichen Bedürfnisse schärfen, sagen auch Keller und Bock, die sich deshalb bei diesem Thema auch mehr Bürgerbeteiligung wünschen. Positive Beispiele haben sie am Friedrich-Ebert-Platz übrigens auch parat: abgesenkte Bordsteine zum Beispiel, und Fahrkartenautomaten direkt an den Fahrstühlen. Oft, sagt Keller, stünden diese an den U-Bahn-Haltestellen nur im Zwischengeschoss. "Manchmal muss man dann noch schnell die Treppe hochjagen, um ein Ticket zu ziehen, und den Kinderwagen so lange alleine lassen."

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