Verlorene Zeit: Wie geht es Jugendlichen in der Pandemie?

26.4.2021, 05:43 Uhr
Für eine ganze Generation wird die Erinnerung an ihre Jugend mit Corona verbunden sein. Sie werden an geschlossene Schulen denken, Partys, die nicht stattfinden konnten, an Regeln, die sie heimlich gebrochen haben und an Treffen im Sonnenschein, mit immer nur einer Person, draußen im Park.   

© Roland Fengler, NNZ Für eine ganze Generation wird die Erinnerung an ihre Jugend mit Corona verbunden sein. Sie werden an geschlossene Schulen denken, Partys, die nicht stattfinden konnten, an Regeln, die sie heimlich gebrochen haben und an Treffen im Sonnenschein, mit immer nur einer Person, draußen im Park.   


Eigentlich sollten sie stressfrei lernen, sie sollten feiern, tanzen, im Park grillen, sich mit Freunden die Nächte um die Ohren schlagen, im Schwimmbad flirten, sich im Sportverein messen. All das können junge Menschen seit Beginn der Corona-Pandemie nicht mehr, außer, sie tun es heimlich. Aus "Verschwende deine Jugend" ist längst "Deine Jugend wird verschwendet" geworden – und die Schule ein Sehnsuchtsort.


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Marvin ist 20, macht eine Ausbildung zum Anlagenmechaniker. An diesem Samstag sitzt er auf einer Mauer auf der Insel Schütt in der Sonne. Wie war sein Leben vor Corona? "Auf jeden Fall bunter", sagt er und lächelt schief. Vor Corona hat er oft mit Freunden gefeiert, ist ins Kino gegangen. Und jetzt? "Nicht viel. Man geht bis 15 Uhr zur Arbeit und danach gibt‘s Streamingdienste. Es gibt ja quasi keine Freizeitmöglichkeiten mehr." Er spielte seit vielen Jahren Handball. Bis die Pandemie begann. Dann war auch das passé. "Am Anfang haben wir noch versucht, im Wald joggen zu gehen, aber so richtig lange hat das nicht funktioniert. Und klar, man könnte alleine Sport machen, aber allein kann ich mich so schlecht motivieren."

"Manchmal denke ich, die Politiker sind überfordert"

Was sagt man dem Kumpel, der zufällig vorbei kommt, wenn man schon mit einem Freund auf der Band sitzt? Die Polizei fährt auch in den Parks Streife. Gerade für Jugendliche ist die Ein-Person-Kontaktregel schwer einzuhalten.   

Was sagt man dem Kumpel, der zufällig vorbei kommt, wenn man schon mit einem Freund auf der Band sitzt? Die Polizei fährt auch in den Parks Streife. Gerade für Jugendliche ist die Ein-Person-Kontaktregel schwer einzuhalten.    © Roland Fengler, NNZ

Neben Marvin sitzt Annika. Hätte man die 21-Jährige vor einem Jahr gefragt, hätte sie gesagt: Nach dem Sommer ist Corona vorbei. Jetzt, ein Jahr später, sind die Infektionszahlen noch immer hoch. Noch immer ist das Leben der Jugendlichen auf das Nötigste reduziert. Sie trägt die Maßnahmen der Regierung mit, auch wenn sie manches unlogisch findet. "Man darf sich nur mit einer Person treffen, nicht zusammen in die Schule, aber in Bus und Bahn stehen die Menschen nah beieinander." Man müsse die Infektionszahlen in Relation zu anderen Lebensrisiken stellen, findet sie.


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"Und manchmal habe ich das Gefühl, die Politiker sagen uns nicht die Wahrheit oder sind überfordert. Aber es wäre für mich okay, wenn sie sagen würden: Wir wissen es auch nicht so genau, aber wir versuchen jetzt mal, das Beste zu machen. Sie sind ja auch nur Menschen."
Auch Marvin ist für die Einschränkungen: "Aber die Lockdowns sind immer nur so eine halbe Sache. Man hätte zu Beginn zwei, drei Wochen alles, wirklich alles, dichtmachen müssen. Auch die Lebensmittelmärkte, dann hätten sich die Menschen eben vorher für diese Zeit eindecken müssen. Das wäre schon mal gegangen."

"Ich bekam Angst, dass mich die Nachbarn anzeigen"

Jetzt fühle es sich an wie gestohlene Zeit, findet er. "Wir verpassen schon einiges. Meine Eltern leben getrennt und mir fällt auf: Wenn ich mit meinem Vater spreche und er mich fragt: ,Was gibt‘s Neues?‘ kann ich immer nur sagen: ,Nichts‘. Vor einem Jahr habe ich gedacht: Corona – das geht nie mehr weg. Und jetzt geht alles kaputt, die Gastronomie, die Tattoostudios, Kultureinrichtungen."

Und zu Hause mit seiner Mutter sei die Streithäufigkeit auch höher als sonst, weil man sich mehr auf die Nerven gehe.
Es gebe abseits von Corona kaum ein anderes Thema, sagt Annika, auch unter ihren Freunden nicht. Lange haben beide versucht, sich an alle Vorschriften zu halten, aber je länger es dauert, desto schwerer wird es. Auch jetzt – das ist ihnen vollkommen klar – verstoßen sie gegen die Eine-Kontakperson-Regel, denn Freundin Lilli ist noch dabei. "Aber irgendwann kann man einfach nicht mehr", sagt Annika. Und Marvin sagt: "Ich versuche mich inzwischen an alles zu halten. Aber anfangs hatte ich mal vier Freunde zu Hause, doch dann bekam ich Angst, dass mich die Nachbarn anzeigen. Ich fände es besser, wenn man im öffentlichen Raum wieder mehr erlauben würde, auch die Ausgangssperre ist nicht sinnvoll, die Kontakte verlagern sich dadurch nur in die Häuser und das ist nicht kontrollierbar."
Lilli ist 17 und geht noch zur Schule. Sie hat lange nichts gesagt, doch das Thema Ausgangsbeschränkungen macht ihr zu schaffen. "Ich bin ein Nachtmensch, ich gehe gerne im Dunkeln raus, nicht um zu feiern, einfach so. Das fehlt mir."

"Warum öffnet man Vereine nicht, wenn man vorher testet?"

Letztes Jahr hatten sich Freunde an der Wöhrder Wiese versammelt. "Am Ende waren es 15 Leute. Das war natürlich dumm. Ich wollte nur kurz bleiben, aber habe mich verquatscht." Dann kam die Polizei, nahm die Personalien auf, ein Bußgeldbescheid sollte folgen – sie weiß nicht, ob das nur eine Drohung war.


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Was sagt man zu einem Freund, der zufällig vorbeikommt, wenn man mit einem anderen schon auf einer Bank im Park sitzt? Sorry, du musst weitergehen, sonst sind wir einer zu viel? Marvin sagte das nicht – die Polizei kam auch hier. "Die waren aber echt korrekt. Sie haben die Personalien aufgenommen. Dann haben sie auf die vielen Kippen vor der Bank gezeigt und gesagt: ,Wir kommen in einer Viertelstunde wieder. Dann sind die Kippen weg. Wenn nicht, verfolgen wir den Kontakt-Verstoß." Die Kippen waren nach einer Viertelstunde weg. Die Polizisten hielten Wort.

"Meine Eltern sitzen fast nur noch vor dem Fernseher"

Nicht immer geht es so aus. "Eine Freundin von mir wurde auch mit zwei statt einer Freundin erwischt. Sie sollte 300 Euro Strafe zahlen. Das killt ein Azubigehalt. Sie kann es auch mit Sozialstunden abarbeiten oder mit Ersatzhaft", erzählt Lilli.


Der Jugend fehlt die Perspektive. "Ich bin in einem Musicalverein, seit einem Jahr können wir nichts mehr machen, online geht so etwas nicht. Warum erlaubt man nicht die Öffnung von Vereinen oder das Treffen von Familien und mehreren Freunden, wenn sich davor alle testen lassen?"
Schule, Ausbildung – die Geschichten gleichen sich: fehlende Technik, schlechtes Internet, Lehrer, die den neuen Herausforderungen nicht gewachsen sind. Die Azubis müssen nun oft parallel zur praktischen Arbeit noch Videos und Referate online vorbereiten. Klausuren werden dann in die wenigen Präsenztage des Wechselunterrichts gequetscht. "Unsere Ausbildung wird eine schlechtere sein", befürchtet Annika.
Normal in die Schule gehen und Freunde treffen – das sind die größten Wünsche von Melissa, 15, und Vanessa, 16, die gerade Handyfotos an der Pegnitz machen. Das Internet bei ihnen zu Hause sei schlecht, auch habe der Umfang der Hausaufgaben enorm zugenommen. Gerne hätten sie mit Schwimmen und Tanzen angefangen, aber das geht nicht. Zu Hause sei es okay, die Beziehung zu den Eltern sogar intensiver geworden, sagt Vanessa.
Das geht nicht allen so. Melanie, die eigentlich anders heißt, sagt: "Meine Eltern sind reizbarer. Sie können nicht so viel arbeiten zur Zeit und wir haben weniger Geld." Außerdem fehlten die vielen Verwandten. Die Großfamilie komme sonst oft zu privaten und religiösen Feiern zusammen. "Wir waren eigentlich immer unterwegs." Ihre Freundin Anna sagt: "Meine Eltern sitzen fast nur noch vor dem Fernseher, wenn sie nicht arbeiten." Ihr Blick ist bitter.

"Jeder Verstoß verlängert den Lockdown"

Nach der Schule gefragt, winken die 16-jährigen Mittel- und Realschülerinnen ab. "Ich habe das Gefühl, keiner lernt mehr was", sagt Melanie. Sie erzählt von Mitschülern, die es verlernt haben, morgens aufzustehen. "Sie stellen sich dann fünf Minuten vor dem Video-Unterricht den Wecker und in den Pausen schlafen sie."


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Die beiden jungen Mädchen haben sich gerade die Lippen geschminkt, die gleich unter einer Maske verschwinden werden, sie tragen coole Klamotten, wollen einfach nur durch die Innenstadt spazieren. "Wir machen das viel seltener als früher", sagt Melanie. "Man verliert die Lust, auch weil ja nicht mal ein Café aufhat." Ob sie jetzt viel mehr am Handy hänge? "Nein, ich versuche mich, mit meinem Klavier zu beschäftigen oder spiele mit meinen Geschwistern."


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Sie hat Verständnis für die Corona-Máßnahmen. Aber viele hielten sich nicht dran. "Ich kenne einige, die so genannte House-Partys feiern. Da sind dann 50 Leute. Sie sagen: ,Wir haben doch kein Corona. Und wenn wir es kriegen, wird‘s nicht so schlimm.‘ Aber jeder dieser Verstöße verlängert den Lockdown. Ich hätte schon den ersten Lockdown strenger gemacht. Australien hat es mit solch einer Maßnahme auch geschafft."

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