Katholische Kirche

Viel Zuspruch für Kardinal Marx: "Ein starkes kirchenpolitisches Signal"

4.6.2021, 18:44 Uhr
Am Freitagnachmittag legt Kardinal Reinhard Marx in München bei einer Pressekonferenz noch einmal persönlich seine verheerende Bilanz zu seiner Kirche dar. Das Medieninteresse ist riesig.

© Lennart Preiss, AFP Am Freitagnachmittag legt Kardinal Reinhard Marx in München bei einer Pressekonferenz noch einmal persönlich seine verheerende Bilanz zu seiner Kirche dar. Das Medieninteresse ist riesig.

Da sei eine "Bombe geplatzt", stellt Andreas Lurz fest. Nürnbergs katholischer Stadtdekan ist am Freitagmittag nicht der einzige Kirchenvertreter in der Region, der sich die Augen reibt wegen der Nachricht aus München. Kardinal Reinhard Marx bittet Papst Franziskus, ihn von seinem Amt als Erzbischof zu entbinden – als Ausdruck seiner Mitverantwortung für eine Kirche, die er nach der Vertuschung der Missbrauchsskandale in einer Sackgasse stecken sieht.

Das stimme ihn "verwundert, enttäuscht und ein bisschen desillusioniert", gesteht Lurz. "Es ist ja nicht der Richtige, der um seinen Rücktritt bittet. Marx ist einer der profiliertesten Kirchenvertreter, der sich gerade für die Aufarbeitung der Missbrauchsthematik hervorgetan hat." Für das "Zeichen für die Sache und gegen alle persönlichen Eitelkeiten" zollt Lurz dem Kardinal aber auch Respekt. Die Kirchenmitglieder an der Basis dürften es unterschiedlich aufnehmen, so seine Prognose: "Manche wird das enttäuschen, andere nehmen es als positives Signal für Veränderungswillen, und viele werden ratlos zurückbleiben."

So weit wie Marx, der seine Kirche an einem "toten Punkt" sieht, geht der Fürther Dekan André Hermany nicht. Er hält sie für "wiederbelebungsfähig". Dafür müssten aber endlich geeignete Schritte unternommen werden. Hermany nennt in dieses Zusammenhang Veränderungen der Amtsstrukturen, die Zulassung von Frauen zu Weiheämtern der Kirche, aber auch Fortschritte in der Ökumene.

"Wir hatten in Frankfurt diesen wunderbaren ökumenischen Kirchentag", sagt der Fürther Geistliche, "schaffen es aber immer noch nicht einmal, dass Katholiken und Protestanten gemeinsam am Abendmahl teilnehmen können." Hermany nennt seine Kirche bei manchen notwendigen Diskussionen "bockig" und "sperrig". Als Grund für ausbleibende Lösungen sieht er Machtkämpfe innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz. Dort würden Reformer regelmäßig gegen Mauern stoßen.

Bambergs Erzbischof Ludwig Schick beim diesjährigen Hochfest der Heiligsten Dreifaltigkeit in Gößweinstein.

Bambergs Erzbischof Ludwig Schick beim diesjährigen Hochfest der Heiligsten Dreifaltigkeit in Gößweinstein. © Thomas Weichert

Eine ähnliche Position bezieht Hermanys Kollege in Lauf, Stefan Alexander, Dekan des katholischen Seelsorgebereichs Pegnitztal. Alexander zollt Kardinal Marx "hohen Respekt" für seine Entscheidung und spricht von einem "kirchenpolitischen Signal" und der Bereitschaft, auch persönliche Verantwortung für Fälle von Missbrauch zu übernehmen.


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Der Laufer Geistliche, der sich bei aller wertvoller Tradition in seiner Kirche auf der Seite der Reformer sieht, macht an der Kirchenbasis Ermüdungserscheinungen aus. Seit Jahrzehnten würden Fragen der Rolle von Laien und Frauen in der Kirche oder der Haltung zur Sexualität behandelt, aber man komme nicht voran: "Bei jedem neuen Diskussionsprozess heißt es da und dort: Das haben wir doch schon alles durchdiskutiert." Das sei für viele "desillusionierend", vielleicht auch für Kardinal Marx, fügte Stefan Alexander hinzu.

Manche Bischöfe schweigen

Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick zeigt sich erschüttert von dem Rücktrittsgesuch seines Amtsbruders. Marx sei ein wichtiger Akteur für die Kirche in München, in Bayern und in ganz Deutschland "sowie weltweit". Der Ausdruck "toter Punkt" müsse, so Schick, präzisiert werden. Man könne und solle darüber nachdenken, wo die Kirche in Deutschland als Instrument und Institution der Evangelisierung, der Gottesdienste und der Caritas stehe. Marx meine nach Ansicht Schicks, "dass wir hier an einem toten Punkt stehen, der aber ein Wendepunkt werden soll". Dazu wolle der Kardinal mit seinem Rücktrittsgesuch an den Papst beitragen, meint Ludwig Schick.

Das Bistum Eichstätt wollte sich nicht zu dem Aufsehen erregenden Vorgang um Kardinal Marx äußern. "Aktuell wird es kein Statement von Bischof Gregor Maria Hanke dazu geben", heißt es aus der Pressestelle.


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Kaum erstaunlich, da der Münchner die unangenehme Frage nach Verantwortungsübernahme indirekt allen Kollegen gestellt hat. Auch wenn der Name Rainer Maria Woelki nicht fällt, so greift Marx in seinem Brief doch unmissverständlich den Kölner Erzbischof an, wenn er die Tendenz beklagt, beim Thema sexueller Missbrauch die "systemischen Ursachen und Gefährdungen auszuklammern und die Aufarbeitung auf eine Verbesserung der Verwaltung zu reduzieren". Das findet Siegfried Grillmeyer, Direktor der katholischen Akademie Caritas-Pirckheimer-Haus, besonders mutig an dem Schreiben. "Aber unabhängig von der kircheninternen Diskussion halte ich es wirklich für ein wichtiges Zeichen."

"Stehen am Ende einer Sackgasse"

Der katholische Dekan für Nürnberg-Süd, Rudolf Batzdorf, äußert sich ähnlich. "Ich bin erschrocken, aber ich kann die Entscheidung nachvollziehen. Als Bischof können Sie eine furchtbare Last erben und von Bremsern umgeben sein – irgendwann sind Sie mit Ihrem Latein am Ende." Dieselbe Mischung aus Bedauern und Aufatmen vom früheren Stadtdekan Hubertus Förster: "Ich finde es ganz toll, was er sagt, und dass er mit diesem Schritt der Handelnde bleibt." Aber schade sei es halt doch, wenn Marx‘ gewichtige Stimme künftig im stockenden Reformprozess des "Synodalen Wegs" fehle.


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Das vielbeschworene starke Zeichen – bei der Frage, wohin es führen könnte, klingen die Gesprächspartner ratlos. Peter Laufkötter, einer der beiden ehrenamtlichen Vorsitzenden des Nürnberger Katholikenrats, des Gremiums der Laien, lobt Marx’ Schritt zwar als singulär. "So ein starkes Eingeständnis eines institutionellen Versagens gab es noch nie." Er denkt aber auch an die Folgen. "Wenn jetzt an diesem Ende einer Sackgasse keine radikale Wendung passiert, sehe ich die Gefahr der Kirchenspaltung. Die Sprachlosigkeit, die Unversöhnlichkeit zwischen Reformern und Royalisten – das betrifft derzeit ja nicht nur die Bischöfe, sondern genauso längst die Basis."

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