Vom Laufrad zum E-Bike: Fahrrad feiert 200. Geburtstag

12.6.2017, 05:55 Uhr
Vom Laufrad zum E-Bike: Fahrrad feiert 200. Geburtstag

© Museum Industriekultur

Vor 200 Jahren, am 12. Juni 1817, schwang sich Karl Friedrich Freiherr Drais von Sauerbronn zum ersten Mal auf sein später Draisine genanntes Laufrad, den Urtyp des heutigen Fahrrads. Auch dank fränkischem Erfindergeist entwickelte sich die Erfindung zum weltweit erfolgreichsten Fortbewegungsmittel. Unter anderem war Nürnberg einst das Zentrum der deutschen Fahrradindustrie. Die einstigen Steigerungsraten werden später höchstens noch von Apples iPhone übertroffen. 1882 werden in ganz Deutschland gerade mal 2500 Fahrräder hergestellt, 1897 beträgt die Jahresproduktion bereits über 350.000 Exemplare. Ähnlich eindrucksvoll lesen sich die Produktionszahlen der einstigen Hersteller: 50 Prozent, 60 Prozent oder gar 82 Prozent mehr hergestellte Fahrräder gegenüber dem Vorjahr weisen zum Beispiel die Geschäftszahlen von Hercules, Premier und Victoria im Jahr 1892 aus.

Der Fahrradboom in Deutschland ist auf einem ersten Höhepunkt angelangt, das neue Fortbewegungsmittel verkauft sich wie warme Semmeln, nachdem es durch rationelle industrielle Fertigung auch für Normalverdiener erschwinglich geworden ist. 

Goldgräberstimmung macht sich in Nürnberg breit, zwischen 1880 und 1890 nimmt eine stattliche Zahl von Fahrradfabriken und Zuliefererbetrieben die Produktion auf. 1886 schlägt die Geburtsstunde der Firma Hercules, die zunächst als Velozipedfabrik Carl Marschütz & Co. firmiert, 1887 folgt die Gründung von Victoria, 1888 die von Premier.
Weitere Unternehmen springen in den Folgejahren auf den Zug auf, etwa Mars (1894) oder die Triumph Werke Aktiengesellschaft (1896).

Günstige Rahmenbedingungen in Nürnberg

Verantwortlich für die rasante Entwicklung sind unter anderem die günstigen Rahmenbedingungen, denn in der Frankenmetropole schlägt damals das industrielle Herz Bayerns. "In Nürnberg konnte man auf eine jahrhundertelange Erfahrung in der Metallwarenproduktion zurückgreifen", erklärt Matthias Murko, der frühere Leiter des Museums Industriekultur. Dazu kommen kurze Wege, denn die Stadt ist zu jener Zeit auch ein wichtiger Standort der Eisenverarbeitung. Im Osten Nürnbergs wird zum Beispiel im Jahr 1876 von Julius Tafel ein Eisenwerk gegründet, das der Gegend einen Hauch von Ruhrgebiet verleiht. 

Und im Nürnberger Stadtteil Doos gibt es damals bereits eine eigene Bahnstation. Von dort aus können die zahlreichen Produzenten, die sich rund um die Fürther Straße angesiedelt haben, ihre Fahrräder und Zubehör-Artikel, unkompliziert verschicken. Die Fahrradstraße, eine Parallelstraße zu der einstigen Nürnberger Industriemeile, erinnert noch heute an dieses Kapitel bayerischer Wirtschaftsgeschichte.

Fahrrad als aussichtsreiches Produkt

Einige der damaligen Unternehmer waren ursprünglich in ganz anderen Branchen aktiv und erweiterten angesichts der enormen Nachfrage nach Fahrrädern ihr Portfolio. Paul Reissmann etwa produziert in seiner 1873 gegründeten Firma "Mars" zunächst ausschließlich gusseiserne Öfen, doch da dieses Geschäft starken saisonalen Schwankungen unterliegt, schafft er sich ein weiteres Standbein. Die Inhaber der 1897 gegründeten Panzer-Fahrradwerke wiederum verdienen ihr Geld ursprünglich mit dem Handel von Schafwolle.

Darüber hinaus ergänzen viele kleinere Unternehmen ihr Sortiment um fahrradspezifische Komponenten. Die Palette reicht von dem Familienbetrieb Karl Holtz, der Leuchtöl für Fahrradlaternen produziert, über den Bürsten-Hersteller Carl Obitsch, der sein Angebot um spezielle Fahrradreinigungsbürsten erweitert, bis hin zu der Firma W. Schaarschmidt, die auf die steigende Nachfrage nach Veloziped-Transportkörben reagiert. Einer der namhaftesten Hersteller ist die Firma Scharlach, die mit ihren Fahrradleuchten den gesamten deutschen Markt beliefert. 

Um die Jahrhundertwende bekommt dann der Traum vom immerwährenden Wachstum einen herben Dämpfer. 1898 stiegen die Produktionszahlen der fünf großen Nürnberger Fahrradhersteller noch um 14 Prozent, im Jahr darauf aber kam der Einbruch. Die Produktionszahlen gingen um 21 Prozent zurück. 

Die Folge: Überkapazitäten und ein Preiskampf, bei dem viele kleinere Hersteller auf der Strecke bleiben. Die oben erwähnten Panzer-Fahrradwerke zum Beispiel gehen 1901 bereits pleite, im selben Jahr wird die Firma Sirius von Triumph übernommen.

Ein weiterer Rückschlag für Nürnbergs Fahrradindustrie folgt nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, die viele Werke im jüdischen Besitz arisieren. Unternehmer wie Hercules-Gründer Carl Marschütz werden im Dritten Reich enteignet. 

Später wird die Stadt bekanntlich zur Hochburg der Motorradindustrie mit Dutzenden von verschiedenen Herstellern, doch auch diese Ära währt nicht sehr lange. Heute erinnern nur noch zahlreiche Exponate im Museum Industriekultur, einige Straßennamen oder ein Zeichen von Triumph an einer Hausfassade in der Fürther Straße an diese Zeiten wirtschaftlicher Blüte. Der aktuelle Fahrradboom geht an Nürnberg weitgehend vorbei, dafür haben sich in Oberfranken und in der Oberpfalz einige neue Hersteller angesiedelt.

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