Von der Muse geküsst

3.8.2011, 17:30 Uhr
Von der Muse geküsst

© Harald Sippel

ein eher ungewöhnliches Motto für einen Spaziergang durch Nürnberg, oder? Schließlich haben wir weder Größen wie Goethe noch Schiller vorzuweisen – wenngleich Goethe sich zu einem Lob für unseren Mundartdichter Grübel hinreißen ließ. Dieser sei ein Beispiel für „Geradsinn, Menschenverstand und Scharfblick!“ Nur seinen „unangenehmen“ Dialekt monierte er. Trotzdem: Wir können stolz sein auf das, was in unserer Stadt gedacht, gedichtet, komponiert und gemalt worden ist, sei es von Einheimischen oder Zugereisten.

Begeben wir uns auf den Ölberg. Im Fachwerkhaus Nr. 9 unterhalb der Burg wohnte und arbeitete der Drucker Johannes Petreius (um 1497– 1550). Wenn er auch selbst keine literarischen Werke verfasst hat, so hatte er doch den Mut, ein weltveränderndes Buch „De revolutionibus orbium coelestium“ („Über die Umschwünge der himmlischen Kugelschalen“) zu drucken und zu verlegen. „Kopernekisch“, kam diese Schrift manchen Zeitgenossen vor, anderen waren die Erkenntnisse des Nikolaus Kopernikus (1473–1543) ein Ärgernis. Kurz vor seinem Tod, die Todesstrafe brauchte Kopernikus nun nicht mehr zu fürchten, wurden seine astronomischen Beobachtungen an die Öffentlichkeit gebracht. Was sich keiner zu sagen traute, stand von da an schwarz auf weiß zu lesen: „In der Mitte von allem steht die Sonne, denn wer möchte diese Leuchte an einen anderen oder besseren Ort versetzen als dahin, von wo aus sie das Ganze zugleich zu erhellen vermag...!“ Fazit: Die Erde ist nicht der Mittelpunkt des Weltalls, sondern auch sie dreht sich um die Sonne! Diese Behauptung stellte das Weltbild der Gelehrten auf den Kopf.

Etwas weiter, in der Bergstraße, begegnet uns eine andere große Persönlichkeit: Maria Sibylla Merian (1647–1717). Elf Jahre lebte die Gräffin, die Ehefrau des Malers Andreas Graff, im Haus Nr. 10. Als Frau konnte sie sich nicht allzu weit aus dem Fenster lehnen, schon deswegen nicht, weil auf ihren Fensterbrettern allerlei Kisten und Gläser mit Unkräutern, Würmern und Käfern standen. Sie beobachtete, dass unsere wunderbaren Schmetterlinge nicht, wie man dachte, aus Schlamm und faulem Obst schlüpfen. „Der Raupen wundersame Verwandlung und sonderbare Blumennahrung“ lautete der Titel ihres Buches, in dem sie alle Entwicklungsstadien ihrer sogenannten „Sommervögel“ gezeichnet hat. Maria Sibylla Merian, Malerin, Geschäftsfrau, Forscherin und Weltreisende – eine ungewöhnliche Frau mit dem Herzen am rechten Fleck. Im Vorwort ihres Buches ist ein Vers von C. Schäfer zu lesen:

„Liebster Gott, so wirst Du handeln,

auch mit uns zu seiner Zeit,

wie die Raupen sich verwandeln,

die durch ihre Sterblichkeit

wiederum lebendig werden,

gleich den Toten in der Erden,

lass mich armes Würmelein,

Dir alsdann befohlen sein.“

Wir kommen zum Platz am Tiergärtnertor, mit dem Dürerhaus. Die Werke unseres Meisters Albrecht Dürer (1471–1528) sind Ihnen sicher bekannt.

Ein anderer Dürer soll heute zu Wort kommen:

Der Lehrmeister, der das Sachkundebuch „Speis der Malerknaben“ für seine Lehrlinge verfasst hat.

Der Baumeister, der Berechnungen über Stadtbefestigungen anstellte, die dann in Ulm Anwendung fanden.

Der Bewunderer der Schönheit, der die Proportionen des menschlichen Körpers erforscht und verinnerlicht hat und trotzdem zu dem Schluss kam: „Was die wahre Schönheit sei, das weiß ich nit!“

Der Freund, den manchmal auch der Hafer gestochen hat. Als Gespräche unter Männern sind die Auszüge aus Briefen an den ehrbaren Willibald Pirckheimer (1470–1530) zu lesen:

„...Ihr (Pirckheimer) seht gar wild und sonderlich aus im Sonntagsstaat, wenn Ihr den Hüpfschritt geht. Ihr wollt wohl ein rechter Seidenschwanz werden und meint, wenn Ihr nun den Hur’n wohlgefallt, so sei es ausgerichtet. Wenn Ihr doch ein so liebenswürdiger Mensch wäret wie ich (Albrecht)...“

Oder:

„...ich bin ein Gentleman zu Venedig geworden. Auch hab ich wohl vernommen, dass Ihr gut reimen könnt. Ihr würdet gut zu unseren Geigern hier passen, die machen's so lieblich, dass sie selbst weinen...“

Wir schlendern die Bergstraße hinunter und bleiben vor der Sebalduskirche stehen. Die Augen können sich nicht satt sehen am Maßwerk der Fenster und Portale und an den in Stein gehauenen biblischen Darstellungen. Dazu wimmelt es von Heiligen. Zu diesem Status haben es die beiden über dem Marienportal allerdings nicht gebracht. Trotz allem sind sie Vorbilder – für Mut und Gottvertrauen und für eine lebenslange Freundschaft: Martin Luther (1483– 1546) und Philipp Melanchthon (1497– 1560). Noch heute werden ihre Glaubensüberzeugung und Lebensweisheit vielfach zitiert. Zum Thema Bildung schreibt Philipp Melanchthon:

„Die Spartaner sagen, die Mauern (einer Stadt) müssen aus Eisen, nicht aus Stein sein. Ich aber bin der Meinung, dass eine Stadt nicht so sehr durch Waffen als durch Klugheit, Besonnenheit und Frömmigkeit verteidigt werden sollte!“

Ins 21. Jahrhundert übersetzt, mag das heißen: Auf Bildung kommt es an, des Geistes und des Herzens.

Ein Zitat aus Luthers Tischreden:

„Es ist keine Tugend, edel geboren werden, sondern sich edel machen.“

Betreten wir das Gotteshaus. Vielleicht spielt die Orgel. Wenn nicht, schließen Sie die Augen und summen Sie in Gedanken eine passende Melodie, etwa den „Canon in D-Dur“ des Nürnberger Organisten Johann Pachelbel (1653–1706). Brauchen Sie dazu einen Text, dann singen Sie einfach „Halleluja...“

Johann Pachelbel zählt zu den bedeutendsten süddeutschen Barockkomponisten. Sein Weg führte ihn von Nürnberg nach Regensburg, Erfurt und Stuttgart und wieder zurück in seine Heimatstadt. Auf dem Rochusfriedhof finden wir sein Grab. Doch Pachelbels Canon in D-Dur lebt. Diese Weise wurde zur Hochzeitsmelodie. Sie klingt noch durch moderne Songs wie „Streets of London...“ oder „When a man loves a woman...“

Wir gehen Richtung Südwest, um am Gestade der Pegnitz ein wenig zu ruhen. So ähnlich hätte es Georg Philipp Harsdörffer (1607–1658) ausgedrückt, Mitbegründer des Pegnesischen Blumenordens, Erfinder der Schäferstündchen und des Nürnberger Trichters. Er gilt als originellster Dichter des deutschen Frühbarocks, der Wortschöpfungen wie Verfasser, Briefwechsel oder Hochschule in die deutsche Sprache einführt hat. Generationen waren entzückt von seinen Lust- und Lehrstücken. Ein Beispiel aus dem Kapital Tugendfreyer in „Der Grosse Schauplatz Lust- und Lehrreicher Geschichte“:

„Den Leib allein lieben, ist viehisch; den Verstand allein lieben, ist englisch; die Schönheit aber des Verstandes und des Leibes in Ehren verlangen, ist menschlich.“

PS: Die Verfasserinnen erheben keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Indes: Sie wurden von der Muse geküsst. Bedarf es der Empfehlungen mehr?!

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