Vor 70 Jahren begannen die Nürnberger Prozesse

19.11.2015, 15:30 Uhr
Erstmals in der Geschichte wurden Staatsführer für die von ihnen befohlenen Verbrechen persönlich zur Verantwortung gezogen. In zwölf Fällen fielen Todesurteile, zehn davon wurden vollstreckt.

© Ray D'Addario Erstmals in der Geschichte wurden Staatsführer für die von ihnen befohlenen Verbrechen persönlich zur Verantwortung gezogen. In zwölf Fällen fielen Todesurteile, zehn davon wurden vollstreckt.

Heute werden in dem holzgetäfelten Raum U-Bahn-Schläger, Drogendealer, Autoschieber und Messerstecher verurteilt - vor 70 Jahren mussten sich im Saal 600 des Nürnberger Justizpalasts 21 Hauptkriegsverbrecher des Zweiten Weltkriegs verantworten. Vom 20. November 1945 bis zum 1. Oktober 1946 tagte in dem Schwurgerichtssaal das Internationale Militärtribunal. Das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte wurde in dem düsteren Raum aufgearbeitet. Zum Jahrestag ist dort am Freitag eine Konferenz zum internationalen Strafrecht in Krisenzeiten geplant.

In Nürnberg wurde Justizgeschichte geschrieben. Erstmals in der Geschichte wurden Staatsführer für die von ihnen befohlenen Verbrechen persönlich zur Verantwortung gezogen. In zwölf Fällen fielen Todesurteile, zehn davon wurden vollstreckt. Einige Haftstrafen gab es und drei Freisprüche. Zuvor waren nach verlorenen Kriegen immer Staaten und ihre Völker für den Krieg verantwortlich gemacht und dafür von den Siegermächten mit Abgaben und Reparationen belegt worden.

"Trotzdem, und das ist es, wofür dieser Saal steht, trotzdem wollten die alliierten Siegermächte an den Drahtziehern dieser unvorstellbaren Gräueltaten keine Rache üben", betonte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) in einer Rede im Juni zur Eröffnung der Internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien. Die Fortbildungsstätte soll Richter, Staatsanwälte und Verteidiger auf ihre Mitwirkung an internationalen Strafgerichten vorbereiten.

Vermächtnis der Prozesse

Das eigentliche Vermächtnis der Prozesse war das "Nürnberger Versprechen", wie es Henrike Claussen, Leiterin des "Memoriums Nürnberger Prozesse", nennt. Das Versprechen, einen permanenten und dauerhaften Strafgerichtshof zu etablieren. Später erklärten die Vereinten Nationen die wesentlichen Rechtsgrundsätze der Nürnberger Prozesse zu allgemeinen Prinzipien des Menschenrechts.

Dass Nürnberg so in die Justizgeschichte einging, war vor 70 Jahren eher pragmatischen Gründen geschuldet. Dass die Wahl der Alliierten auf die Stadt der Reichsparteitage fiel, war zwar naheliegend, hatte aber wenig mit der düsteren Nazi-Vergangenheit der Franken-Metropole zu tun. Vielmehr war das Justizgebäude als eines von wenigen in Deutschland von Bombenangriffen weitgehend verschont geblieben.

Der Saal mit seinen vier schweren Kronleuchtern und der üppigen Marmorverzierung an den Türrahmen kann besichtigt werden - allerdings nur abseits des Justizbetriebs. In rund drei Jahren soll der Raum dank eines neu entstehenden Anbaus dauerhaft zugänglich sein. Laut Claussen sind die Besucherzahlen seit der Öffnung des altehrwürdigen Saals für Touristen zum Jahrestag der Prozesse im Jahr 2010 stark gestiegen. Seitdem kamen knapp 370.000 Besucher. Im vergangenen Jahr wurden 83.000 Besucher registriert, dieses Jahr soll zumindest die 90.000-Marke überschritten werden. Ein kleines Besucherhoch gibt es immer zum Christkindles-Markt, wenn besonders viele Touristen in Nürnberg sind.

"Rund 70 Prozent der Besucher kommen aus dem Ausland, weil dort Nürnberg einfach noch sehr, sehr stark mit dem Prozess verbunden wird", sagt Claussen. Vor allem in den USA sei das der Fall. In Deutschland sei Nürnberg immer noch vielen Menschen eher als Stadt der Reichsparteitage in Erinnerung. "70 Jahre Kriegsende - 8. Mai - und 70 Jahre Nürnberger Prozesse - das gehört eng zusammen", meint die Historikerin. Bei ihren zahlreichen Führungen mit Jugendlichen stellt sie immer wieder fest: Die Nürnberger Prozesse sind vielen Jüngeren zwar ein Begriff, "damit verbunden wird aber nicht mehr viel".

2 Kommentare