Trotz abgeschaffter Sargpflicht

Warum Bestattungen ohne Sarg in Nürnberg noch nicht möglich sind

31.5.2021, 05:57 Uhr
Ali Akilli bereitet in seinem islamischen Bestattungsinstitut in Frankfurt den Kefen, das Leichentuch, vor. In anderen Bundesländern ist die sarglose Bestattung schon lange möglich, in Bayern erst seit dem 1. April dieses Jahres. Das stellt die Kommunen vor Herausforderungen. Während in Nürnberg noch geplant wird, probt man in München schon mit Attrappen.

© Arne Dedert, NN Ali Akilli bereitet in seinem islamischen Bestattungsinstitut in Frankfurt den Kefen, das Leichentuch, vor. In anderen Bundesländern ist die sarglose Bestattung schon lange möglich, in Bayern erst seit dem 1. April dieses Jahres. Das stellt die Kommunen vor Herausforderungen. Während in Nürnberg noch geplant wird, probt man in München schon mit Attrappen.

Die Änderung der Bestattungsverordnung ist zwar ab 1. April gültig, die praktische Umsetzung obliegt jedoch den Kommunen. Und diese müssen dafür erst die Voraussetzungen schaffen. Die Abschaffung der Sargpflicht ist in Bayern schon seit mehr als einem Jahrzehnt immer wieder Thema, in anderen Bundesländern gibt es sie längst nicht mehr, lediglich Sachsen, Sachsen-Anhalt und Bayern hatten noch daran festgehalten. Vor allem Muslime und Juden begraben ihre Toten aus religiösen Gründen in einem Tuch. Sie fordern schon lange die Aufhebung der Sargpflicht in Bayern, auf politischer Ebene wurden sie von SPD und Grünen sowie Freien Wählern unterstützt.

Gerhard Wellenhöfer, seit diesem Jahr Chef der Nürnberger Friedhofsverwaltung, sagt, die Stadt Nürnberg sei überzeugt, dass es an der Zeit sei, den Menschen eine Bestattung im Tuch zu ermöglichen. "Es laufen bereits die Planungen dazu." Konzepte möchte er noch nicht öffentlich machen, sondern zunächst den politischen Instanzen vorlegen.

Kontakt zu Gemeinden

Um diese Konzepte möglichst schnell zu konkretisieren, stehe die Friedhofsverwaltung im Austausch mit anderen Städten, in denen man bereits seit Jahren Bestattungen im Tuch vollziehe. Zudem plane man, sich mit den muslimischen Gemeinden zusammenzusetzen, um deren konkrete Wünsche zu berücksichtigen.

"Wir müssen bei allen Planungen die Pietät, aber auch die Arbeitssicherheit im Blick behalten", so Wellenhöfer. Denn eine Bestattung im Tuch ist nicht so unkompliziert durchzuführen wie eine Sarg- oder Urnenbeisetzung.

Es geht vor allem um technische Fragen: Wie lagert man den Leichnam bis zur Beerdigung? Welche Räume kann man für rituelle Waschungen zur Verfügung stellen? Wie richtet man den Kopf des Verstorbenen in einem 1,80 Meter tiefen Grab gen Mekka aus? Wie kann ich den Leichnam beim Ablegen ins Grab stabilisieren? Muss man über eine Verlängerung der Liegezeiten nachdenken, weil sich ein Leichnam, der nur in ein Tuch gewickelt ist, durch eine geringere Sauerstoffzufuhr langsamer zersetzt als in einem Sarg? Auch verwaltungstechnische Fragen tauchen auf: Wie kann man mit dem Wunsch vieler Muslime nach unbegrenzter Ruhezeit umgehen?

Münchener proben mit Puppen

Ab wann die Bestattung im Tuch in Nürnberg tatsächlich möglich sein wird, kann Wellenhöfer nicht sagen: "Aber wir wollen das noch innerhalb dieses Jahres schaffen!"

In München ist man schon weiter. Seit Februar probt man dort die praktische Umsetzung. Während es die Hinterbliebenen Kraft kostet, seelisch den Verlust eines Menschen zu verkraften, muss der Betriebsleiter der städtischen Friedhöfe München, Alois Maderspacher, die technischen Voraussetzungen für ein pietätvolles Abschiednehmen schaffen.

Muslimische Gräberfelder gibt es inzwischen fast bundesweit, die Bestattung darin musste in Bayern bis zum 31.März jedoch im Sarg erfolgen.

Muslimische Gräberfelder gibt es inzwischen fast bundesweit, die Bestattung darin musste in Bayern bis zum 31.März jedoch im Sarg erfolgen. © Jan-Philipp Strobel, NN

"Es klingt alles sehr technisch, aber ohne diese Proben könnten wir das nicht hinbekommen", erklärt er. Man habe sich bei der Feuerwehr Puppen geliehen. Diese Attrappen entsprechen in Größe und Gewicht einem Durchschnittsmenschen. Die Puppen seien wichtig, denn es sei ein enormer Unterschied, ob man einen Leichnam in einem stabilen Sarg ins Grab absenkt oder in einem Tuch.

Boden des Grabs abgeschrägt

Die ersten Versuche haben gezeigt, dass es ratsam ist, den Leichnam in ein Tuch gewickelt in einem geschlossenen Sarg von der Trauerhalle zum Grab zu tragen. Dabei liegt der Leichnam bereits im Sarg auf einem Tragetuch, mit dem er am Grab aus dem Sarg herausgehoben und von den Sargträgern anschließend langsam ins Grab herabgelassen wird. "Es geht aber nicht nur darum, dass der Bestattungsvorgang technisch funktioniert, es geht auch darum, unsere Sargträger vorzubereiten. Es ist ein Unterschied, ob man auf einen hölzernen Sarg blickt oder unter einem Tuch die Konturen eines menschlichen Körpers erkennt", so Maderspacher.

Für die Muslime ist auch die Ausrichtung des Leichnams wichtig, sein Gesicht soll sich gen Mekka, also in Richtung aufgehender Sonne, wenden. Um das zu ermöglichen, haben die Münchner versucht, die Grabsohle, also den Boden des Grabes, leicht abzuschrägen, sodass sich der Leichnam automatisch richtig positioniert.

München hat bereits seit 50 Jahren muslimische Gräberfelder, dort wurden die Toten bislang – in ein Tuch gewickelt und in einem Sarg liegend – beigesetzt. Weil sich dadurch die Verwesungsdauer verlängert, hatte man die Liegezeit dort bereits um fünf Jahre auf 15 Jahre verlängert. Gleiches wird auch für die nun geplanten Tuch-Bestattungen gelten. "Aber wie bei allen anderen Gräbern auch, kann die Grabnutzung danach verlängert werden." Treten keine unvorhersehbaren Hindernisse auf, soll ab Juni / Juli im Tuch bestattet werden können.

Der Umgang mit Tod und Bestattungen erfordert viel Sensibilität. Und nach den Proben mit den Attrappen wird eine echte Tuch-Beisetzung vollzogen werden müssen, deswegen stehen die städtischen Friedhöfe in Kontakt mit muslimischen Bestattungsunternehmen, so Maderspacher. "Denn das Wichtigste ist eine würdevolle Zeremonie."

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