Was gegen Rüpel hilft

20.3.2018, 17:06 Uhr
Was gegen Rüpel hilft
Was gegen Rüpel hilft

Frau Herzog, wie sind Sie auf die schwierigen Menschen gekommen?

Ute Herzog: Es ist ein Thema, das Menschen bewegt. Wenn ich zum Beispiel in meinen Seminaren die schwierigen Zeitgenossen erwähne, lachen die Menschen schon. Weil sie sich an bestimmte Situationen erinnern, weil Bilder entstehen.

Wer ist denn überhaupt ein schwieriger Mensch?

Herzog: Wenn ich mich als Beispiel nehmen darf: Ich bin jemand, der lebendig ist, und ich mache voran, da muss nicht alles erst aufs Komma stimmen. Für mich kann schon jemand schwierig sein, der genau das Gegenteil ist – einer, der exakt ist, der viele Bedenken hat. Darüber hinaus natürlich Menschen, die übergriffig sind und unverschämt, unfreundlich, unhöflich.

Alles mit un- ?

Herzog: Alles mit: geht gar nicht!

Was ist im Alltag problematischer: Jemand mit schwierigen Verhaltensweisen oder mit einem schwierigen Charakter?

Herzog: In der Persönlichkeitsforschung gehen wir von drei Typen aus: Es gibt Macher, analytische Denker und die Gemütlichen – mal ganz grob. Das Verhalten leitet sich aus dem Charakter ab. Züge, von denen man selbst am weitesten entfernt ist, ärgern einen am meisten. Denn unser Gehirn vergleicht und interpretiert ständig, es geht dabei immer von den eigenen Werten und dem eigenen Verhalten als dem "normalen" aus.

Motto: Den Splitter im Auge des anderen erkennen, aber nicht den Balken im eigenen?

Herzog: Menschliche Schwächen sind oft Übertreibungen von positiven Eigenschaften. Wenn ich mich noch mal als Beispiel nehmen darf: Ich habe viel Energie und fange gern Neues an. Wenn das aber dazu führt, dass ich andere überfahre und nur noch meine Meinung gilt – dann ist es eine Schwäche. Wer beruflich im Team denkt oder in der Familie, braucht aber jede Charakterausprägung.

So weit die Theorie. Was tue ich ganz praktisch, wenn in der U-Bahn ein Rüpel andere rücksichtslos anrempelt und sich breitmacht?

Herzog: Zunächst sollte ich grundsätzlich meine Einstellung überdenken. Denn wie ist es denn? Ich denke sofort: Dieser Idiot, der hat ja keine Kinderstube. Dabei wissen wir nicht, warum der Rüpel das tut. Ob er einfach gedankenlos ist oder ein Bedürfnis hat, sich wichtig zu machen. Ob er einen Hilferuf aussendet — "Beachte mich!". Es ist ein langer Lernprozess, zu trennen, was sehe ich und was interpretiere ich.

Wenn ich den Ellbogen in meinem Rippen spüre, ist mir das eigentlich egal . . .

Herzog: Das ist unangenehm und auch klar, dass man sich das nicht gefallen lässt. Aber es ist gut zu wissen: Dass der andere so ist, hat jetzt nichts mit mir persönlich zu tun. Dann kann ich ruhig bleiben und ich mache mich gerade – das wirkt auf den anderen. Der Gesamteindruck, den wir aussenden, wird ja zu 50 Prozent durch Körpersprache bestimmt. Ein Beispiel: Kürzlich bin ich U-Bahn gefahren und mir gegenüber setzte sich ein Mann, der seine Beine weit von sich streckte und zwischen meine stellte. Ich habe mich aufgerichtet, ihn direkt angeschaut und meine Beine so ausgestreckt wie er seine. Es hat keine Minute gedauert, da saß er ganz normal und an der nächsten Haltestelle ist er raus. Dabei ist kein böses Wort gefallen.

So auf Augenhöhe sein, wollen wir das nicht alle?

Herzog: Wollen schon! In meinem Trainingskonzept sprechen wir von Hoch-Status und Tief-Status: Die einen fühlen sich als die Stärkeren und als etwas Besseres, die anderen machen sich klein. Wenn man sich das bewusstmacht und das Schema auch einmal bewusst durchbricht, klären sich Situationen schnell.

Apropos Machtgefälle. In der aktuellen MeToo-Debatte geht es um anzügliche Bemerkungen, um Blicke und ungewollte Berührungen. Wie sollen Frauen sich verhalten?

Herzog: Auch hier ist für mich wieder die erste Frage, was will der andere erreichen? Hat er ein Defizit, will er seine Macht ausspielen oder sich Anerkennung und Liebe holen? Das ist natürlich Käse, das kann nicht funktionieren, weil es dem anderen schadet. Was also tun, wenn sich zum
Beispiel der Chef von hinten über Sie räkelt und in die Tastatur greift? Dann empfehle ich: aufstehen. Da muss man gar nicht sprechen oder böse schauen, wer aufsteht, geht auf Augenhöhe und demonstriert: "Hier stehe ich!".

Ein anderes Beispiel sind die Menschen, die einen zutexten – ungefragt und gefühlt stundenlang.

Herzog: Aha, der Vielredner. Im ersten Schritt geht es auch da wieder darum: Was hat er für ein Anliegen? Mein Tipp ist, Fragen zu stellen. Dann kommen Vielredner eher auf den Punkt. Warten Sie auf den Moment, wo der andere Luft holt – dann können Sie rein. Und wenn der andere weiterredet, sprechen Sie selbst auch weiter. Und wenn das nicht hilft, unterbrechen Sie wieder. Sagen Sie: "Es interessiert mich, was du zu sagen hast, wir haben jetzt zehn Minuten Zeit, Folgendes zu klären." Dem anderen nicht ins Wort zu fallen, ist oft eine Höflichkeitsgeschichte. Aber wenn man nicht unterbricht oder sogar mehrmals reingrätscht, leidet man weiter. Gleiches in Besprechungen, wenn Kollegen nicht zu reden aufhören und sich die Diskussion auf der Stelle dreht. Dann unterbreche ich gern mit einem Geräusch, lasse meinen Stift fallen oder remple mein Glas an. Es gibt einen Moment der Stille, da können Sie rein.

Eine andere Unsitte greift um sich, nicht nur bei Jugendlichen: Menschen, die im Gespräch ständig auf ihr Handy schauen oder sogar Nachrichten schreiben.

Herzog: Ich empfehle, das anzusprechen. Denn alles, was einen ärgert, sendet Signale der Missgunst, und die verstärken das unerwünschte Verhalten meist noch. Man kann ganz ruhig sagen: "Leg das bitte an die Seite, wenn wir uns hier besprechen."

Soll man das wirklich immer sagen?

Herzog: Ich bin ein großer Freund von Ehrlichkeit. Ich gehe grundsätzlich davon aus, dass niemand etwas böse meint. Viele Verhaltensweisen entstehen, weil Menschen einfach gedankenlos sind oder sie sich das angewöhnt haben. Sie sind oft dankbar, wenn man sie drauf aufmerksam macht.

Und die Schwiegermutter? Die ist – zumindest im Klischee – ja eine, die sich ungefragt einmischt und alles besser weiß. Vor allem merkt sie nicht, wenn sie nervt.

Herzog: Wenn man eine solche Schwiegermutter hat, hilft es, den Spieß umzudrehen. Machen Sie sie sich zum Freund! Am einfachsten ist, ein menschliches Grundmuster zu nutzen: Wenn Sie jemanden um einen Gefallen bitten, den er erfüllen kann, dann werden Sie ihm sympathisch. Sagen Sie: "Ich bin froh, dass du da bist. Ich bräuchte unbedingt deine Unterstützung."

Wenn Sie sich nicht über Bevormundung aufregen, sondern sagen, bei dieser oder jener Gelegenheit musste ich an dich denken, dann entsteht eine positive Stimmung. Aber wenn jemand schon die Augen verdreht, wenn der andere zur Tür hereinkommt, dann fühlt der sich ausgeschlossen . . .

Aber irgendwann gibt es doch einen Moment, in dem man sagen muss: Jetzt ist Schluss!

Herzog: Unbedingt. Und das kann man auch körpersprachlich tun, gerade wenn einen jemand bedrängt, und sei es nur verbal. Wer sich aufrichtet und sich seinen Raum nimmt, der demonstriert: Du bedrängst mich nicht mehr. Wichtig ist aber, ruhig zu bleiben und sich zu überlegen, wo ist der andere? Wenn er schreit, ist es besser zu sagen: Ich sehe, du regst dich auf – wollen wir eine Pause machen oder an einem anderen Tag weitersprechen?

Wenn alle anderen schon so schwierig sind, hilft es, selbst ein Ekel zu werden?

Herzog: Zumindest der beruflichen Karriere wäre es förderlich. Wer keine Rücksicht nimmt und die Leistung anderer zur eigenen macht, kommt meist besser voran. Aber das stelle ich mir lieber nicht vor.

Sie arbeiten schon lange an diesem Thema. Haben Sie selbst noch Schwierigkeiten im Umgang mit anderen?

Herzog: Oh ja! Mittlerweile amüsiert es mich sogar, wenn ich mich ertappe: "Herzog, du tust es schon wieder!" Natürlich falle auch ich in meine Muster zurück. Es gibt Menschen, die können gar nichts dafür, dass sie einen aufregen. Man verbindet ihre Stimme, ihren Geruch oder auch nur die Nickelbrille mit einem anderen Menschen, mit dem man ein unangenehmes Erlebnis hatte. Die damalige Erfahrung wird – unbewusst – auf die aktuelle Situation übertragen. Das ist ganz normal, so arbeitet ein normales, gesundes Gehirn.

Muss man sich das verzeihen?

Herzog: In meiner Ausbildung zur Trainerin hat mir die Erkenntnis, dass der andere ein anderer Mensch ist und eine andere Brille aufhat, viel Ballast genommen. Das Gegenüber hat eine andere Art, findet eine andere Lösung – die muss mir nicht gefallen, sie ist einfach anders als meine eigene. Wenn man das akzeptiert, befreit man sich von vielem, was einen zuvor wütend oder traurig gemacht hat.

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