"Was isst man im Himmel?"

23.12.2016, 08:00 Uhr

© Eduard Weigert

Emil (Namen aller Betroffenen geändert) bricht in Tränen aus, als er die Geschichte vom Heiligen Nikolaus hört: Nikolaus’ Eltern sterben an einer bösen Krankheit. Der Vierjährige weiß genau, was Tod bedeutet. Für ihn ist das der Verlust seiner Schwester. Die Elfjährige leidet am Rett-Syndrom, einer unheilbaren Entwicklungsstörung. Nach zwei lebensbedrohlichen Zwischenfällen stellen die Schwestern und Pfleger im Krankenhaus einen Kontakt zum Verein Hospizteam her. Zu diesem Zeitpunkt ist klar: Sophie wird sterben. Ihr 13-jähriger Bruder verabschiedet sich am Krankenbett von ihr.

Einige Monate später liegt Sophie in einem Bett im Zimmer neben der Küche. Geräte überwachen rund um die Uhr ihren Gesundheitszustand. Meist um sechs, manchmal auch um drei Uhr morgens, tappt ihre Mutter die Treppen hinunter zu ihrer Tochter. Dann löst sie Medikamente auf, Sophie wird über eine Magensonde ernährt, und wickelt das schwer kranke Mädchen. Keine zehn Minuter später hat sie Emil neben sich stehen. Seit einigen Monaten schläft er wieder im Bett seiner Eltern.

Emil macht sich große Sorgen. Er fragt seine Eltern: "Was gibt es im Himmel zu essen?" Im Regal hat seine Mutter ein Buch für kleine Kinder zum Thema Tod liegen. "Wenn es einmal so weit ist", wie sie sagt. In den meisten Kinderbüchern sind es aber die Alten oder Tiere, die sterben. Dass auch Kinder unheilbar krank sein können, ist in unserer Gesellschaft wenig präsent.

Emils Eltern können seine bohrenden Fragen ("Wo wird Sophie beerdigt?") aushalten. Nicht alle Eltern haben die Kraft dazu. "Sie haben Angst, den Tod herbeizureden", sagt Marion Langfritz vom Hospizteam.

Im Gegensatz zu seinem Bruder schweigt Jakob. Seine Eltern vermuten, dass er ihnen nicht zur Last fallen möchte. Mitten in der Pubertät – Jakob ist 13 Jahre alt - testet er seine Grenzen anders aus als viele seiner Altersgenossen. "Jakob zieht sich in sein Zimmer zurück", sagt seine Mutter. Reden will er nicht mit ihr.

Obwohl Sophie im Zimmer nebenan liegt, der Monitor piepst von Zeit zu Zeit, hat die Trauerphase der Familie längst begonnen. Zu fünft einmal ins Schwimmbad gehen oder Snowboard fahren - das ist unmöglich. Nun hat Jakob auch noch eine Absage für den Schüleraustausch nach England bekommen. Er ist enttäuscht und wütend.

Diese Gefühle zu benennen und auch zuzulassen, das will das Hospizteam den Geschwistern von unheilbar kranken Kindern ermöglichen. Sie sollen einmal ohne schlechtes Gewissen sagen dürfen: "Das kotzt mich an." Oder einfach nur lauthals lachen.

Der Kinderhospizdienst des Vereins plant ab kommendem Jahr ein Treffen für die Geschwisterkinder. Weil es dafür keine Fördermittel gibt, kann das Projekt nur durch Spenden finanziert werden. Bisher gibt es noch nicht einmal Malstifte. Dabei wünschen sich die ehrenamtlichen Helfer für ihr Projekt sogar eine Bibliothek mit Kinderbüchern zum Thema Tod. Einmal im Monat sollen sich die Kinder in den Räumen des Hospizteams in der Deutschherrnstraße treffen können. "Das wird nicht jedes Mal der große Stuhlkreis sein", sagt Langfritz. Eine pädagogische Begleitung wird es trotzdem geben.

Keiner weiß, ob Jakob als verwaistes Geschwisterkind die Gruppe besuchen wird. Wie seine Eltern bekommt er derzeit Unterstützung vom Hospizteam. Jakobs Ansprechpartnerin ist die ehrenamtliche Mitarbeiterin Sabine. Mit ihr geht er mal ins Kino oder sie hilft ihm, eine neue Brille auszusuchen. Vieles von dem, was bei seinen Mitschülern noch die Eltern übernehmen, muss er alleine machen. "Wenn Jakob krank ist, muss ich mich darauf verlassen, dass er von der Schule alleine nach Hause kommt", sagt seine Mutter. Ihr bleibt keine andere Wahl. Als Pflegekraft ist sie 24 Stunden am Tag für Sophie im Einsatz. Ihren Beruf musste sie schon lange aufgeben. Für die Eltern ist es eine Gratwanderung, den anderen Kindern nicht das Gefühl zu geben, sich abgeschoben zu fühlen. Emil beäugt die ehrenamtliche Helferin noch kritisch.

Wie lange die Familie vom Hospizteam begleitet werden möchte, kann sie selbst entscheiden. "Irgendwann ist der Punkt gekommen, an dem wir nicht mehr gebraucht werden", sagt Marion Langfritz vom "Hospizteam Nürnberg". Ob Emil bis dahin eine Antwort darauf gefunden hat, was es im Himmel zu essen gibt?

Um eine Versorgung von Geschwisterkindern unheilbar erkrankter Kinder aufzubauen, ist das Hospizteam Nürnberg auf Spenden angewiesen. Davon sol­len Stifte, Bücher und Spiele gekauft werden. Wer die Arbeit des Kinderhospizdienstes unter­stützen möchte, kann seine Spen­de überweisen an:
 - Kinderhospizdienst (KHD)
 - Stichwort: "NZ-Weihnachtsaktion"
 - IBAN: DE44760501010006609986
- Sparkasse Nürnberg
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