Munitionsschwund

Wie kamen Patronen der bayerischen Spezialeinheiten nach Norddeutschland?

29.6.2021, 05:29 Uhr
Wie kommt Munition der bayerischen Spezialeinheiten auf einen privaten Schießplatz in Mecklenburg-Vorpommern? Die Generalstaatsanwaltschaft München hat gegen zwei bayerische Polizisten ermittelt. Inzwischen wurden die Ermittlungen gegen einen der Beschuldigten eingestellt.

© Karl-Josef Hildenbrand, NN Wie kommt Munition der bayerischen Spezialeinheiten auf einen privaten Schießplatz in Mecklenburg-Vorpommern? Die Generalstaatsanwaltschaft München hat gegen zwei bayerische Polizisten ermittelt. Inzwischen wurden die Ermittlungen gegen einen der Beschuldigten eingestellt.

Ende April 2021 ließen die Generalstaatsanwaltschaft München und das Bayerische Landeskriminalamt Dienststellen der Spezialeinheiten der Polizei in Nürnberg und Augsburg durchsuchen. Auch eine Wohnung stand im Fokus der Ermittler. Hintergrund ist ein Munitionsverlust bei Schießübungen in Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern. Der Schießplatzbetreiber soll zum Umfeld der mutmaßlich rechtsextremen Gruppierung "Nordkreuz" gehören.

Nach Recherchen des Bayerischen Rundfunks wurden beim "Nordkreuz"-Gründer 90 Patronen der Sorte "223 Remington Sniperline" gefunden, die zuvor an die Spezialeinheiten Nordbayern in Nürnberg geliefert worden sein sollen. Nach Angaben eines Sprechers des Landgerichts Schwerin im März 2020 entdeckten die Ermittler 540 Patronen einer anderen Marke, die in Zusammenhang mit dem Polizeipräsidium Mittelfranken stehen sollen. Eine Verbindung der verschwundenen Munition mit der mittelfränkischen Polizei erkannte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) seinerzeit nicht.

Speziell errichtete Munitionsräume

Auf Anfrage der Lokalredaktion verneint auch das Polizeipräsidium Mittelfranken einen Schwund an Munition aus eigenen Beständen: "Es ist keine Munition verschwunden", erklärt Elke Schönwald von der Polizeipressestelle und listet die in den vergangenen zehn Jahren dokumentierten Verluste auf: "Im Bereich des Polizeipräsidiums Mittelfranken wurden in den vergangenen zehn Jahren neun Patronen (Einsatzmunition 9x9 Millimeter) als Verlust über die Sachgebiete P3 und V4 gemeldet (P3 gehört zur Abteilung Personal, V4 zur Abteilung Versorgung; Anm. d. Red.). Hierfür liegen entsprechende Schilderungen zum Hergang zugrunde wie beispielsweise Unachtsamkeit bei Entlade- und Ladetätigkeiten, Mehrschussabgabe im Einsatz beim Töten von verletzten Tieren."

Doch wie wird bei der Polizei mit Munition umgegangen? Munition, so Schönwald, wird in zertifizierten Tresoren aufbewahrt. Größere Mengen in speziell dafür errichteten Munitionsräumen. Zugang zu den Beständen habe ein "namentlich festgelegter, eingeschränkter Personenkreis". Munition werde mittels eines Buchungsbeleges gegen Unterschrift vom Sachgebiet V4 an die Dienststellen ausgegeben, Eingänge und Abgänge würden elektronisch dokumentiert. Benötigt ein Polizeibeamter Munition, muss er das schriftlich begründen, Ersatz bekommt er erst nach einem Genehmigungsverfahren. Jeder abgefeuerte Schuss wird dokumentiert, im Präsidium Mittelfranken gibt es sogar einen Aktenvermerk. "Beim SEK und MEK Nordbayern (SEK: Spezialeinsatzkommando; MEK: Mobiles Einsatzkommando) erfolgt die Beschaffung zentral über das Präsidium der Bereitschaftspolizei, analog aller Dienststellen in Bayern."

"Die Munition stammt aus bayerischen Beständen"

Es wird offenkundig penibel kontrolliert, welchen Weg die Munition in Bayerischen Polizeidienststellen geht. Und dennoch tauchten im Zuge von Ermittlungen Patronen aus Bayerischen Polizeibeständen unerlaubt auf einem Schießplatz in Mecklenburg-Vorpommern auf. Eine Erklärung für diesen Widerspruch liefern weder das bayerische Innenministerium noch das Polizeipräsidium Mittelfranken.

Die Ermittlungen durch die Generalstaatsanwaltschaft München haben sich gegen zwei namentlich bekannte Polizeibeamte, die Angehörige der Spezialeinheiten sind, gerichtet. Nach Paragraf 170 der Strafprozessordnung (StPO) wurden die Ermittlungen gegen einen der Beschuldigten "wegen erwiesener Unschuld" mittlerweile eingestellt, berichtet Oberstaatsanwalt Klaus Ruhland. Der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft München betont aber, man habe festgestellt, "dass die Munition aus bayerischen Beständen" stammt. Die Ermittler gehen weiterhin der Frage nach, wie die Patronen in den Norden Deutschlands gekommen waren.

Gegen den zweiten beschuldigten Polizisten werde weiterhin ermittelt. "Die EDV- und Handy-Auswertung gestaltet sich in diesem Fall allerdings relativ aufwendig", sagt Ruhland. Bisher hätten sich keine Hinweise auf einen rechtsextremistischen Hintergrund ergeben. Auch für weitere, noch unbekannte Tatverdächtige gebe es noch keine Anhaltspunkte.

Nur noch mit Genehmigung

Wirkung zeigen die laufenden Ermittlungen im Bayerischen Innenministerium aber doch: Mit Blick auf die Schießübungen auf dem privaten Schießplatz in Güstrow heißt es, dass derartiges Training durch die Bayerische Polizei "aufgrund besonderer Ausbildungsinhalte" erforderlich und sinnvoll sein könne, sagt Ministeriumssprecher Michael Siefener. "Wir nehmen aber die aktuellen Ermittlungen zum Anlass, die dienstliche Nutzung oder Anmietung privater Schieß- und Trainingsstätten unter den Genehmigungsvorbehalt der Behördenleiter der jeweiligen Polizeiverbände zu stellen."

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