„Wir brauchen Vorbilder“

26.7.2015, 19:50 Uhr
„Wir brauchen Vorbilder“

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Frau Leicht, in einer Studie der Universität Kiel klagten zwei Drittel der homosexuellen Paare über soziale Diskriminierung. Warum sind die Vorbehalte immer noch so groß?

Imke Leicht: Das liegt daran, dass das Thema alle Menschen betrifft. Die sexuelle Orientierung und das damit verbundene Wertesystem berühren intime individuelle Fragen. Wenn Menschen von dem abweichen, was als allgemeingültig angesehen wird, fühlen sich manche in ihrem eigenen Wertesystem angegriffen. Homosexuelle Paare stellen für sie die Zuschreibung von männlich und weiblich und damit die gesamtgesellschaftliche Rollenverteilung infrage. Die Gesellschaft ist nun mal auf heterosexuelle Beziehungen ausgelegt. Durch andere Lebensformen kommt für viele scheinbar das ganze Weltbild ins Wanken.

Heißt das, selbst im engsten Freundes- und Familienkreis ist ein offener Umgang mit dem Thema nicht leicht?

Leicht: Ja, genauso ist es. Es lässt sich schwer vorhersagen, wie beispielsweise die eigenen Eltern reagieren. Selbst aufgeklärte Familien können entsetzt sein. Und viele Eltern stellen sich tatsächlich die Frage: Was habe ich falsch gemacht?

Haben es denn lesbische Paare etwas einfacher?

Leicht: Davon kann keine Rede sein. Sie leiden oft unter einer mehrfachen Diskriminierung, als Frau und als Lesbe. Lange Zeit wurde Frauen ja ohnehin jedes Begehren abgesprochen und ihre Liebe aufs typisch weibliche Händchenhalten reduziert. Damit wurde ihre Sexualität quasi unsichtbar gemacht — auch das ist eine massive Form der Diskriminierung.

Aber wir leben doch in aufgeklärten Zeiten. Haben die Outings von Klaus Wowereit und Thomas Hitzlsperger gar nichts gebracht?

Leicht: Dadurch hat sich auf jeden Fall etwas getan. Dass solche Beziehungen sichtbar sind, dass Menschen merken, man kann damit auch Karriere machen, schafft Akzeptanz. Wir brauchen deshalb solche Vorbilder. Aber damit ist noch keine breite gesellschaftliche Akzeptanz erreicht. Dazu gehört mehr.

Sie haben sicher ein paar Beispiele?

Leicht: Wichtig ist, dass die sexuelle Orientierung in ihrer Vielfalt in den unterschiedlichsten Bereichen Thema ist. Zum Beispiel in den Schulen. Warum gibt es keine Textaufgaben, in denen statt der klassischen Kleinfamilie zwei Väter oder Mütter mit Kind am Tisch sitzen? Gerade die Lehrer brauchen außerdem eine sogenannte Diversity-Kompetenz, das heißt, sie sollten sensibel für unterschiedliche sexuelle Entwicklungen der Schüler sein und auf mögliche Angriffe reagieren.

Wie wichtig ist eine rechtliche Gleichstellung?

Leicht: Ungemein wichtig und da hat sich viel getan, aber es reicht noch nicht. Durch eine volle rechtliche Gleichstellung von homosexueller und heterosexueller Ehe wäre schon vieles gelöst. Aber auch die unterschiedlichen Formen von Diskriminierung müssten konsequenter bekämpft werden. Darüber hinaus müssen auch die Kommunen dafür sorgen, dass andere Beziehungsformen sichtbar werden und ihren Platz haben in der Gesellschaft. Und auch die Kirchen müssten sich in dieser Frage bewegen. Da gibt es noch viel Nachholbedarf.

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