Wo die Cluberer einst heimisch waren

28.3.2017, 17:32 Uhr
Vorstädtische Beschaulichkeit vor den Häusern Waldgärtnerstraße 1 und Waldluststraße 111–121 (rechts) im Jahr 1953.

© Ernst Basel Vorstädtische Beschaulichkeit vor den Häusern Waldgärtnerstraße 1 und Waldluststraße 111–121 (rechts) im Jahr 1953.

Die Forderung nach "bezahlbarem Wohnraum" ist keine Erfindung unserer Tage, auch wenn die Begrifflichkeiten früher andere waren. Schon während und nach dem Ersten Weltkrieg herrschte eine regelrechte Wohnungsnot. Waren vor 1914 im Deutschen Reich jährlich Zehntausende von Wohnungen entstanden, um dem Bevölkerungswachstum Herr zu werden, hatte der unendliche Hunger der Kriegswirtschaft nach Material und Menschen den Baubetrieb praktisch zum Erliegen gebracht.

64 Jahre später sind die Häuser an der Waldluststraße verlassen und warten auf den Abbruch.

64 Jahre später sind die Häuser an der Waldluststraße verlassen und warten auf den Abbruch. © Boris Leuthold

Um 1920 schossen überall in der Weimarer Republik die Baugenossenschaften wie Pilze aus dem Boden. Meist taten sich in ihnen Angehörige bestimmter Berufsgruppen zusammen, etwa Eisenbahner, Fabrikarbeiter und Postbeamte. Ihre Devise: "Hilfe zur Selbsthilfe!" Gegen Arbeits- und Kapitaleinsatz beim Bau der Siedlungen boten die Vereinigungen ihren Mitgliedern günstige Mieten und oft sogar die Möglichkeit, die Häuser als Eigenheim zu erwerben.

Besonders viele Genossenschaften tummelten sich in Zerzabelshof – Zabo –, das 1925 nach Nürnberg eingemeindet wurde. Im Südwesten des Stadtteils errichtete der gemeinnützige Beamtenwohnungsbauverein Nürnberg-Fürth ab Mitte der 1920er Jahre rund um das Gasthaus Heidekrug nach Planung des Architekturbüros Brendel & Kälberer eine Kolonie aus zweigeschossigen Reihenhäusern mit Nutzgärten.

Schon die Bezeichnungen der hiesigen Straßen – Waldluststraße, Waldgärtnerstraße, Heimgartenweg – wecken Bilder von puppenstubigen Vorgärtchen mit perfekt getrimmtem Rasen und Gartenzwerg-Besatzung. Ganz so idyllisch gestaltete sich das Leben hier nicht, doch die Häuser waren modern und von Grün umgürtet, etwas, das die meisten Nürnberger von ihren Mietskasernen nicht kannten.

Zwei Spezln – Gerhard Bergner und Ernst Basel (rechts) – 1937 am Gartentürchen des Hauses Waldluststraße 113.

Zwei Spezln – Gerhard Bergner und Ernst Basel (rechts) – 1937 am Gartentürchen des Hauses Waldluststraße 113. © Hans Basel

Durch die schmalen Straßen wehte der Geist der Lebensreform: Ein gewisser Ebenezer Howard träumte 1898 den Traum von den "Gartenstädten", in denen die Bewohner abseits der Stadtzentren ein gesundes Leben nah an der Natur mit Licht, Luft und ohne Schimmelpilze und Bettwanzen genossen.

In der Nürnberger Gartenstadt, der Werderau und der Rangierbahnhof-Siedlung setzten Architekten der Jahrhundertwende diese Ideale zumindest teilweise um. In den 1920ern musste die Sache aus Geldmangel jedoch sparsamer ausfallen. Auf gemütliches Flair und "heimatgebundene" Architektur wollte man dennoch nicht verzichten: Ausladende Walmdächer mit Giebelgauben, Erker, helle Faschen um die Fenster und Fensterläden sorgten auch an der Waldluststraße für urwüchsige Beschaulichkeit.

Der Zaboaner Ernst Basel, Sohn eines Oberpostinspektors und heute fast 90 Jahre alt, gehörte zu den Bewohnern der ersten Stunde. Seine frühesten Erinnerungen beginnen in der Waldluststraße 113, wo seine Familie 1928 einzog.

Lebhaft erinnert er sich an die Siedlung und seinen Jugendfreund, den Fußballprofi Gerhard Bergner, der gleich um die Ecke in der Waldgärtnerstraße 5 wohnte. An der Seite der Fußballlegende Max Morlock errang er für den 1. FC Nürnberg in der Saison 1948/1949 den deutschen Meistertitel.

Der Traum jedes Hausbesitzers: 1953 grünte und blühte es vor dem Haus Waldluststraße 113.

Der Traum jedes Hausbesitzers: 1953 grünte und blühte es vor dem Haus Waldluststraße 113. © Ernst Basel

Überhaupt gab es fast niemanden in der Siedlung, der nicht irgendwie mit dem Verein verbandelt war. Auch Ernst Basel hält "seinem" Club seit nunmehr 80 Jahren als ordentliches Mitglied die Treue und war lange Jahre Schriftführer in der Leichtathletikabteilung. Weit hatten es die Sportler und ihre Anhänger ja nicht zu ihrer Heimspielstätte: Der Sportpark an der Kachletstraße lag nur einen Steinwurf von der Siedlung des Beamtenwohnungsbauvereins entfernt.

2017 sind die einstige Gartenpracht und der alte Holzzaun Untergangsstimmung und Tristesse gewichen.

2017 sind die einstige Gartenpracht und der alte Holzzaun Untergangsstimmung und Tristesse gewichen. © Boris Leuthold

Den Bauten an der Waldluststraße erging es wie den meisten Nürnberger Siedlungen: Im Zweiten Weltkrieg beschädigten und zerstörten Fliegerbomben manches Haus. In der fortschrittsgläubigen Nachkriegszeit flogen die alten, aber schönen Haustüren und die Holzfenster mit ihren filigranen Sprossen zugunsten von neuen Türen mit großen Glasflächen und ungeteilten Fenstern heraus – und mit ihnen ein Stück der Beschaulichkeit von einst.

Der Sportpark mit seinem neubarocken Clubhaus musste 1966 einer Wohnanlage weichen. Und auch der Block, in dem Ernst Basel fast sein ganzes Leben lang wohnte, soll bald Geschichte sein: Das Wohnungsbauunternehmen Nürnberg-Ost, in dessen Eigentum die Anwesen Waldluststraße 111–121 heute sind, will alle sechs Reihenhäuser abreißen und durch einen Neubau ersetzen. Sollten die Pläne zur Umsetzung gelangen, werden nicht nur historische Mauern, sondern auch ein Stück Zabo und ein Stück Clubgeschichte für immer verschwinden.

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