Zum Abschluss unserer Serie: Lucas Cranach

29.8.2012, 13:23 Uhr
Zum Abschluss unserer Serie: Lucas Cranach

© dpa

Die arme Seele hat den Leib soeben verlassen, ihre Gestalt wendet sich nach links einem Engel zu. Doch ihr Gesicht blickt ängstlich nach rechts, wo das Inferno aufmarschiert: Der Teufel spaziert aus dem Höllenrachen, über ihm halten drei Dämonen für jedes Alter das Sündenregister bereit: für die Jugend, die Mannesjahre und die letzten Jahre. Wogegen der Himmel gar nicht so massig

präsent ist. Nur ein Engel weist auf die guten Werke des Sterbenden hin. Darüber thront in eisiger Majestät die Dreifaltigkeit. Allmächt, und da soll einem nicht bange werden? So schildert Lucas Cranach der Ältere die Ängste seiner Zeitgenossen in dem Bild „Der Sterbende“ (1518).

Mit der Reformation waren Altäre nicht mehr gefragt

Als 1525 die Reformation in Nürnberg Einzug hielt, brach den Malern ein bedeutender Auftragsmarkt weg. Bis dato bestellten Patrizier Altäre für diverse Heilige und ließen sich als devote Stifterfiguren darauf verewigen. Wer kein Patrizier, aber vermögend war, stiftete seinen Altar für ein Kloster vor den Stadtmauern. Mit der Reformation änderte sich das. Zwar gab es keinen Bildersturm, dennoch waren solche Altäre nun als Zeugnisse der Werkgerechtigkeit verpönt und von heute auf morgen nicht mehr gefragt.

Das sah für Albrecht Dürer ziemlich schlecht aus. Aber der Meister war eh schon krank und sowieso mit seinen Lehrbüchern für Proportion beschäftigt. Andere Maler sahen sich schleunigst nach anderen Aufträgen um oder wanderten in katholische Fürstentümer aus.

Wenn einer von der veränderten religiösen Situation profitierte, dann war das Lucas Cranach. 1472 oder 1475 in Kronach geboren, also beinahe gleichalt wie Albrecht Dürer, ging auch Cranach auf eine Wanderschaft, deren Stationen sich nicht mehr rekonstruieren lassen. 1501 gelangte er nach Wien, wo seine ersten bedeutenden Gemälde herrühren. 1505 holte ihn Kurfürst Friedrich der Weise nach

Wittenberg, wo Cranach an Macht und Einfluss gewann, einen riesigen Atelierbetrieb aufbaute, eine Apotheke unterhielt und sogar zum Bürgermeister avancierte.

Der „schnellste Maler“ arbeitete mit einem Team von Assistenten

Bis zu seinem Tod 1553 sollen rund 5000 Gemälde aus seiner Bilderfabrik hervorgegangen sein. Gut tausend sind erhalten, darunter köstliche Paradiesgärtlein, entzückende Grazien und „ungleiche Paare“, meist geifernde Lustgreise und hübsche Frauen, die dem Alten nach dem Geldsack trachten. Auch wenn Cranachs Epitaph ihn als den „schnellsten Maler“ preist – eine solche Zahl ist nur durch ein vielköpfiges Team von Assistenten zu bewerkstelligen, sowie durch eine ausgefuchste Mehrfachverwendung erprobter Muster. In dieser Hinsicht war Cranach Dürer überlegen.

Obwohl Cranach auch weiterhin für katholische Kunden malte – vor allem für den Kardinal Albrecht von Brandenburg –, fungierte die Propagierung der Reformation und ihrer führenden Köpfe als eine tragende Säule seines Atelierbetriebs. Zahlreiche Portraits von Luther, Melanchthon und Bugenhagen nach immer demselben Schema verließen sein Atelier und fanden ihren Platz in evangelischen Kirchen und Studierstuben. Wenn auch Gestus und Mimik der Dargestellten meist gleich blieben, so aktualisierte Cranach alle paar Jahre deren Aussehen, je nachdem, wie das Haar ergraute, der Bart wucherte oder fiel. Heute nennt man das wohl „graphisches Updating“.

In protestantischen Landen waren also Altäre für Heilige verpönt. Was an deren Stelle setzen? Nur kahle Wände, wie kulturlose Bilderstürmer verlangten? Soll die arme Seele das Evangelium nur übers Ohr vernehmen, das Auge aber leer ausgehen? Cranach erfand für die Protestanten zusammen mit Martin Luther etwas Neues, ein spezifisch protestantisches Sujet: die Rechtfertigungslehre in einem Bild zusammengefasst! Mit „Gesetz und Gnade“ schuf Cranach 1529 das idealtypische evangelische Lehrbild.

„Gesetz und Gnade“ ist im Grunde ein Diptychon. Ein Baum trennt die beiden Bildhälften und scheidet das Geschehen in Altes (links) und Neues Testament (rechts). Zur linken Seite ist der Baum verdorrt, zur rechten hin grünt und blüht er.

Erst der Sündenfall, dann die Erlösung

Auf der linken Seite sieht der Betrachter im Hintergrund die Urszene, mit der der christliche Schlamassel beginnt: den Sündenfall. Im Vordergrund jagen Tod und Teufel den armen Sünder,

der sich aus eigener Kraft nicht zu rechtfertigen weiß, zum Höllenschlund. Gibt es denn gar keine Rettung? Doch, am Rande stehen Moses und die Propheten mit den Zehn Geboten. Damit ist schon mal ein Anfang gemacht. Es gibt also die Gerechten. Doch da lauert auch die Gefahr der Selbstgerechtigkeit. Andere Interpretation: Der Mensch erschrickt vor der Erkenntnis, dass er die Zehn Gebote nicht einhalten kann.

In der rechten Hälfte vollzieht sich die Erlösung: Johannes der Täufer nimmt den Sünder bei der Hand und verweist auf den gekreuzigten Jesus, dessen Blutstrahl direkt auf den Sünder fällt und ihn von seiner Sünde reinwäscht. Eine paradoxe Bildfindung: Blutbesudelung als Reinwaschung. Der auferstandene Jesus besiegt Tod und Teufel und fährt gen Himmel. Im Hintergrund sehen wir noch etwas Vorgeschichte. Die eherne Schlange, die sich um das Kreuz ringelt, verweist auf das Kreuz Jesu; daneben steht Maria auf einem Hügel und empfängt die Verkündigung, ein Engel verkündet den Hirten auf dem Felde die Geburt.

Wie bei Cranach üblich, gibt es mehrere Fassungen von „Gesetz und Gnade“, eine davon steht im Germanischen Nationalmuseum, eine andere in Gotha. Somit steht Cranachs Gemälde auch ganz in der Tradition der Fresken in den romanischen Kirchen, anhand derer der Pfarrer dem analphabetischen Volk die Bibel erklärt.

Was die beiden Maler miteinander verbindet

Man mag sich fragen, ob Dürer, hätte er länger gelebt, die Idee aufgegriffen hätte, und wie er die Sache angegangen wäre. Schließlich waren er und Cranach miteinander bekannt, eine Zeichnung Cranachs aus Dürers Hand bei einem Besuch 1524 ist erhalten geblieben.

Auch monetär waren Dürer und Cranach miteinander verbunden. Die alten Banknoten ab 1961 zeigen auf der Vorderseite Köpfe nach Vorlagen alter Meister, darunter Dürers Schöne Venezianerin (5 DM) und Elisabeth Tucher (20 DM). Der gelockte Jüngling auf dem Zehn-Mark-Schein und der bärtige Herr auf dem Tausender stammen von Lucas Cranach. Den Jüngling hatte man damals noch Dürer zugeschrieben.

Zuletzt stellte sich der alte Cranach selbst im Cranach-Altar der Weimarer Stadtkirche dar: Eingerahmt zwischen Johannes dem Täufer und Martin Luther empfängt der greise Künstler den Blutstrahl des Gekreuzigten auf seinem Haupt, während im Hintergrund das bekannte Programm um Sünde und Gesetz abläuft. Ein Siegel der Rechtfertigung oder eine Bitte um Vergebung?

Auf jeden Fall ein Bekenntnis zu Luthers Lehre. Lucas Cranach starb über der Arbeit an dem Altarbild, sein Sohn Lucas der Jüngere malte es für ihn zu Ende.
 

Verwandte Themen


Keine Kommentare