Zwangsehen unter Flüchtlingen gibt es auch in Nürnberg

12.8.2016, 06:00 Uhr
Zwangsehen unter Flüchtlingen gibt es auch in Nürnberg

© Thaier Al-Sudani/Reuters

Zahra (Name geändert) war 13, als sie in Syrien nach jesidischem Recht verheiratet wurde. Der elf Jahre ältere Ehemann floh mit der heute 15-Jährigen nach Deutschland, das Paar landete in einer Nürnberger Gemeinschaftsunterkunft – anfangs von den Behörden unbemerkt. "Manchmal werden wir durch Zufall auf solche Fälle aufmerksam. Oder wenn es Probleme gibt", sagt Claudia Amm vom Allgemeinen Sozialdienst (ASD).

Sie berichtet von zehn Kinderehen in Nürnberg im vergangenen Jahr, die dem Jugendamt bekannt sind. 2016 hat sich diese Zahl verdoppelt. "Die Sozialdienste in den Unterkünften sind inzwischen sensibilisiert für das Thema und schauen genauer hin", so die ASD-Chefin. Dabei handelt es sich überwiegend um 15- und 16-jährige Mädchen aus Syrien und dem Irak.

Es ist die Aufgabe der Behörde, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Obhut zu nehmen. Bei einer Kinderheirat gestaltet sich die Sachlage etwas anders, da der Ehemann und die Familien einen gewissen Einfluss haben. Wenn jedoch das Kindeswohl gefährdet ist – so die Amtssprache – greift das Jugendamt sofort ein.

Immer mehr Fälle erwartet

"Es wäre jedoch schön, wenn wir früher von solchen Ehen erfahren würden – im besten Fall gleich bei der Ankunft in Nürnberg – und nicht erst, wenn die Problematik auffällt", sagt die ASD-Chefin. "Wir werden uns künftig häufiger diesem Thema widmen müssen", weiß sie.

Seit Beginn der Flüchtlingskrise kommen immer mehr Mädchen nach Deutschland, die in ihrer Heimat verheiratet wurden, und hier ihre Ehe fortführen. Für Bayern gibt es keine offiziellen Zahlen. Mathias Rohe, Leiter des Erlanger Zentrums für Recht und Islam in Europa, dazu: "Es handelt sich bei den Kinderehen längst nicht mehr um krasse Einzelfälle, ihre Zahl ist deutlich nach oben gegangen."

Er dringt auf eine klare gesetzliche Regelung, "auch um den Menschen, die in unser Land kommen, deutlich zu machen, wie die rechtlichen Rahmenbedingungen sind".

Rohe spricht ein weiteres Problem an: "Manche Menschen aus patriarchalisch orientierten Kulturen verstehen nicht, dass sich der Staat hier einmischt. Für sie hat er sich bei Familienstreitigkeiten außerhalb von Mord und Totschlag herauszuhalten. Da gilt es zu vermitteln, dass unser starker Staat vor allem dem Schutz der Schwächeren dient."

Der Jurist fordert in einem ersten Schritt von der Politik, "dass der Staat grundsätzlich die Möglichkeit haben soll, bei den Mädchen bis zum Alter von 18 Jahren über Jugendämter Fürsorgemaßnahmen vorzunehmen". Er warnt davor, die Rechtswirkungen im Ausland geschlossener Ehen kategorisch abzulehnen.

Hier müsse man zum Schutz der Kinderbräute abwägen; bei genereller Nichtanerkennung der Ehe würden auch ihre Rechte, zum Beispiel Unterhaltsansprüche, erlöschen. Rohe: "Wir machen sie dann im Grunde zum zweiten Mal zum Opfer. Es gilt also, effizienten Schutz nach den Maßstäben unseres Rechts durchzusetzen – ohne den Betroffenen zu schaden."

 

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