Fesselndes Buch von Thomas Käsbohrer

Bergwachtler erzählen: Das war der Einsatz ihres Lebens

Andrea Pitsch

Redakteurin

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19.6.2022, 19:00 Uhr
Bei dem Einsatz am Säuling, von dem Jörg Häusler  im Buch von Thomas Käsbohrer erzählt, ist dieses beeindruckende Bild im Moment der Rettung entstanden.

© Jörg Häusler Bei dem Einsatz am Säuling, von dem Jörg Häusler  im Buch von Thomas Käsbohrer erzählt, ist dieses beeindruckende Bild im Moment der Rettung entstanden.

Das wurde Käsbohrer aber erst im Lauf der vielen langen Gespräche bewusst, wie er in seinem Vorwort schreibt: „Ich stellte bald fest, dass meine Frage weniger auf den Superlativ zielte, sondern auf das, was meinen Gesprächspartnern Sinn im Leben gibt.“ Daher sind die 24 Geschichten, die Käsbohrer unheimlich lebendig rüberbringt, oft leise, unspektakulär oder sogar mit „positiven Erinnerungen“ behaftet.

So wie bei Jörg Häusler. Dem 49-jährigen hauptamtlichen Landesbeauftragten für den Katastrophenschutz bei der Bergwacht Bayern und ehrenamtlichen Bergretter bei der Bergwacht Füssen, der in Vorra geboren ist und dort lange gelebt hat, hat sich ein Einsatz im Mai 2020 am Säuling in seiner jetzigen Heimat Schwangau ins Gedächtnis eingebrannt. Wenn er von der „beeindruckenden, sternenklaren Nacht unter einem mondlosen Himmel, die erhellt wurde vom Schnee, der von allen Bergspitzen leuchtete,“ berichtet, ist es fast, als wäre man dabei. Dabei, als 15 Retter nachts um 2 Uhr auf den über 2000 Meter hohen Säuling aufsteigen, um einen abgestürzten, leblosen 53-jährigen Oberfranken zu finden und zu bergen.

Käsbohrer gewährt Häusler lange Passagen in direkter Rede. Das lässt Platz für viele Details, persönliche Eindrücke („Beim Rauflaufen schwitzt du wie ein Esel.“) und die Gedankenspiele von damals: Nacht, Nebel, verschneites Absturzgelände – geht eine nächtliche Bergungsaktion? Kommt ein Hubschrauber? Wird er helfen können oder vorher abdrehen müssen? Kurz gesagt: Wie viele Leben setzt man für ein anderes aufs Spiel? Wie weit geht man als Retter, also wofür setzt man sein Leben ein?

Ohne viel Aufhebens

Häusler betont: „Du denkst nicht: Mist, warum tue ich das?“ Denn jeder liebe, das was er tue – auch in diesem Moment. Trotz der Ungewissheit, was passieren wird. Trotz der Zweifel. Es zeugt von innerer Stärke, das auszuhalten – und von Vertrauen in sich. Mit solchen Zitaten ist Käsbohrer schon ganz nah dran, dem Typus Bergwachtler auf die Spur zu kommen. Einem ruhigen Menschenschlag, der seine Einsätze im Stillen absolviert. „Wir sind nicht viele und nicht das Klientel, das gerne im Mittelpunkt steht“, bekräftigt Häusler. Er ist – wie seine Kollegen – in erster Linie Bergsteiger, der sein Leben riskiert, um Gleichgesinnten zu helfen.

Angst kennt er dabei auch. „Sie ist etwas, das ich brauche, um gut zu funktionieren.“ Sie minimiert das Risiko, sagt er. Und das sorgt dafür, dass Bergwachtler keine Selbstdarsteller sind, sondern echte, fokussierte Teamplayer. „Keiner denkt: Den Hubschrauber brauchen wir nicht. Wir schaffen das allein.“ Aus diesem Teamgedanken heraus entspringt die Motivation nicht nur für diesen Einsatz. Und aus der Gewissheit: „Genau dafür übe und trainiere ich.“

Das ist das Buch von Thomas Käsbohrer.

Das ist das Buch von Thomas Käsbohrer. © PR

Doch nicht nur deshalb hat Häusler die Rettung am Säuling für Käsbohrers Buch ausgewählt. Als er gefragt worden sei, was sein Einsatz seines Lebens gewesen ist, „da sind mir wilde Sachen eingefallen“. Aber war da wirklich einer dabei? Nein. Er, der Feuerwehrmann, den nichts so schnell umhaut, entschied sich für den nicht „klassischen Einsatz, nach dem man nachts nicht schlafen kann“. Weil er zeigen wollte, wie aufwendig die Vorbereitung einer Rettungsaktion sein kann – wobei rund eine halbe Stunde im Vergleich zum gesamten Ablauf mickrig klingt.

Und weil es eine „Wahnsinns-Gemeinschaftsaktion war, ein toller Sonnenaufgang, die Person lebend gerettet wurde“. Häuslers Redefluss ist kaum zu bremsen, wenn er nach zwei Jahren an den trotz allem „hochgefährlichen Einsatz“ zurückdenkt. Andere seien vielleicht unspektakulärer, aber tragischer und schwerer zu verarbeiten. Bei jedem Wort ist seine Leidenschaft für sein Tun spürbar. Ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Einfach aus Überzeugung.

Zufällig am Watzmann

Michi Renner aus der Ramsau tickt genauso. Er schildert die Rettung einer jungen Frau im Juli 2019, die an der Watzmann-Ostwand über 50 Meter tief abgestürzt ist. Zufällig waren dabei zwei Mitglieder der Bergwacht Sulzbach-Rosenberg als Ersthelfer vor Ort; sie seilten sich als erstes zu der Verletzten ab. Renner hätte eigentlich frei gehabt. Er sieht seiner zehn Monate alten Tochter beim Spielen zu „und spürt, dass er gebraucht wird. Jetzt, in diesem Moment, wo er doch heute für sein Kind da sein wollte“.

Ein weiterer Baustein der „inneren Chemie von Bergrettern“ kommt für Käsbohrer bei Renner zum Vorschein: Demut. Vor der Natur und damit der Heimat. Käsbohrer meint, er hätte das Buch daher auch „Verwurzelt“ betiteln können. Denn auch dieser Aspekt macht die Bergretter zu dem, was sie sind: „Es sind weniger die Schicksale in ihren Erzählungen als vielmehr das, was das Erlebte aus den Erzählern gemacht hat, was mich fasziniert.“

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