Behörden müssen bürgerfreundlicher werden

Nürnberger IT-Experte: "Die Digitalisierung kann Menschenleben retten"

2.11.2021, 06:42 Uhr
Mesut Yavuz ist selbstständiger Prozess- und Organisationsberater und hilft derzeit den Berliner Gesundheitsämtern bei der Umstellung auf digitale Abläufe.

© Foto: Fatma Yavuz Mesut Yavuz ist selbstständiger Prozess- und Organisationsberater und hilft derzeit den Berliner Gesundheitsämtern bei der Umstellung auf digitale Abläufe.

Unsere Behörden geben sich gerne fortschrittlich und kundenorientiert. Doch Corona hat schonungslos offengelegt, dass gerade die Gesundheitsämter technisch in der Steinzeit stecken geblieben waren, in vielen Verwaltungen ratterte noch das Fax. Inzwischen hat sich die Lage gebessert. Doch wie digital sind Rathäuser und Bürgerämter wirklich? Ein Gespräch mit dem Nürnberger IT-Experten Mesut Yavuz.

Mesut Yavuz (37) arbeitet als selbstständiger Prozess- und Organisationsberater für die Gesundheitsämter in verschiedenen Berliner Bezirken. Er wohnt in Nürnberg und pendelt regelmäßig zum Arbeiten in die Hauptstadt. Mit den IT-Fachleuten in der Metropolregion ist er gut vernetzt.

"Laptop und neue Software reichen nicht": Behörden benötigten arbeitserleichternde Programme, sagt der Experte.

"Laptop und neue Software reichen nicht": Behörden benötigten arbeitserleichternde Programme, sagt der Experte. © Matthias Balk, dpa

Herr Yavuz, zu Beginn der Pandemie haben Sie beklagt, dass die Gesundheitsämter in Deutschland zwar über sehr motivierte Mitarbeiter verfügen, ihnen jedoch technische Hürden die Arbeit schwer machen würden. Die Buschtrommeln sind jetzt weggepackt, die neue Software Sormas, zu der die Stadt Nürnberg in Zusammenarbeit mit der Technischen Hochschule Nürnberg wichtige Bausteine beigetragen hat, ist ausgerollt. Alles gut?

Mesut Yavuz: Nein! Die Gesundheitsämter sind gar nicht auf dem Pfad der Digitalisierung. Denn Digitalisierung heißt ja nicht, dass man eine neue Software anwendet und den Mitarbeitern ein paar Laptops in die Hand drückt.

Sondern?

Mesut Yavuz: Es bedeutet, dass man anschlussfähig ist zu den Bürgern, digital barrierefrei und insgesamt medienbruchfrei und effizient arbeiten kann. Sehen Sie, ich bin jetzt von der Innenstadt nach Großgründlach gezogen. Der erste Termin, den ich am Einwohnermeldeamt bekommen habe, ist wegen der Überlastung dort der 30. Dezember! Wenn ich aber so lange warte, müsste ich mit einem Bußgeld rechnen. Denn ich muss mich innerhalb von vier Wochen ummelden.

Und Sie sind sicher: Mit einem funktionierenden digitalen System kämen Sie früher dran?

Mesut Yavuz: Ja! Das würde gehen. Wenn arbeitserleichternde Programme modular aufeinander aufgebaut sind und wir sagen würden, dass Behörden auf Open Source umstellen dürften, dann können wir die Bedürfnisse sowohl der Beschäftigten als auch der Bürger einbeziehen.

Open Source heißt, dass jeder den Quellcode einsehen, verändern und sogar an Dritte weitergeben kann. Wo soll da der Vorteil liegen?

Mesut Yavuz: Mit Open Source können Behörden Programme weiterentwickeln, und das intern als auch überregional mit Behörden. Ich gebe mal ein Beispiel: Das Gesundheitsamt der Stadt Nürnberg plant im Bereich der Hygiene- und Umweltmedizin eine Anwendung, sagen wir, für den Bereich Trinkwasser. Das könnte dann auch die Stadt Erlangen nutzen und hätte darauf Zugriff, gleichzeitig könnte Nürnberg auf die Erlanger Verordnung zum Thema Mäusebefall zugreifen. Mitarbeiter- und Entwicklungsressourcen würden nicht verloren gehen und die Gesundheitsämter würden vom gegenseitigen Wissen profitieren.

Sie haben da keine Sicherheitsbedenken?

Mesut Yavuz:

Nein. Open Source ist im Gegenteil sicherer, weil transparenter. Die IT-Fachleute der beteiligten Kommunen können bei Open Source ja darauf schauen und bei sicherheitsrechtlichen Bedenken könnte man schnell reagieren, denn ein Datenleck würde sofort sichtbar werden, und man kann es beheben. Derzeit haben wir lauter Einzel- und Insellösungen. So würde die Region auch technisch ein Stück mehr zusammenwachsen. Und man ist nicht mehr abhängig von den individuellen Zielen einzelner Unternehmen.

Was meinen Sie konkret?

Mesut Yavuz: Derzeit ist es so, dass sich Firmen bei den Ausschreibungen der Kommunen durchsetzen, die konträre Ziele zur Digitalisierung haben, und dann ihre Software installieren. Danach lassen sie sich jede einzelne Vernetzung teuer bezahlen. Zudem werden die Programme häufig gar nicht genutzt. In Berlin erlebe ich es, dass rund 30 Prozent der Anwendungen, die dort in den Gesundheitsämtern neu aufgespielt werden, überhaupt nicht verwendet werden. Der Arzt oder der Hygienekontrolleur arbeitet dann lieber mit Stift und Papier.

Warum? Hat er keine Einweisung erhalten?

Mesut Yavuz: Das kommt hinzu, dass man beim Onboarding die Leute nicht mitnimmt, die IT der Behörden vom Anbieter keine ordentliche Einweisung bekommt und die Mitarbeiter nicht ordentlich geschult werden. Ich erlebe es in Berlin aber auch, dass der Personalrat oder die Behindertenvertretung die Zustimmung zum Programm nicht erteilt, das längst bezahlt und installiert ist. Dann bleibt die teure Software ungenutzt.

Wie sieht es in Nürnberg aus?

Mesut Yavuz: Nürnberg ist technisch schon ganz gut aufgestellt. Aber auch hier gibt es Insellösungen. Der Gedanke der Digitalisierung ist hier meiner Meinung nach noch nicht richtig angekommen. Die Softwareprogramme müssen miteinander kommunizieren können, eigentlich in ganz Franken. Mir liegt das am Herzen, denn Nürnberg, Mittelfranken, ist meine Heimat. Mindestens Nürnberg, Fürth, Erlangen und Schwabach müssen sich technisch so positionieren, dass medienbruchfrei kommuniziert werden kann, damit sich Mitarbeiter auf ihren Bereich konzentrieren können. Letztendlich geht es um Gesundheit, ja Leben der Bürger.

Inwiefern?

Mesut Yavuz: Das haben wir ja bei der Kontaktnachverfolgung während der großen Corona-Wellen gesehen. Weil es technische Probleme gab, wurden Menschen nicht rechtzeitig in Quarantäne geschickt. Womöglich haben sie in dieser Zeit andere angesteckt, die das Virus nicht überlebt haben.

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